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Schulden, Schönheit und Salute

Gesundheitsausgaben: Italien modernisiert medizinische Infrastruktur und baut neue Kliniken
Schulden, Schönheit und Salute

Italien investiert kräftig ins Gesundheitswesen – und zwar im privaten wie im staatlichen Bereich. Davon profitieren vor allem ausländische Hersteller, denn die meisten Medizinprodukte werden eingeführt. Vorzugsweise aus Deutschland.

Nicht nur Frauen sind schönheitsbewusst in Italien, wo der gute Eindruck mit der „Bella figura“ gleichgesetzt wird. Doch während eine Sophia Loren ihr blendendes Aussehen auch mit 75 noch beharrlich Pasta und Liebe zuschreibt, hat sich der um zwei Jahre jüngere Silvio Berlusconi offiziell zu einer Generalüberholung bekannt. Immer mehr Italienerinnen und Italiener folgen dem Beispiel ihres Ministerpräsidenten und vertrauen in Sachen Jugendlichkeit auf ärztliches Geschick. Das Geschäft mit der Schönheit floriert in Italien – dies spüren auch deutsche Unternehmen wie die Zimmer MedizinSysteme GmbH.

Im vergangenen Jahr hat der Neu-Ulmer Spezialist für Physikalische Therapie eigens eine ästhetische Abteilung gegründet. Ein Fachhändler vertreibt die Produkte in Italien und nimmt dem deutschen Hersteller auch das bürokratische Drumherum ab. „Das Besondere ist, dass wir auch aus Italien kaufen“, sagt Zimmer-Vertriebsleiter International Philippe Lagarde. Beim italienischen Vertriebspartner Mectronic in Bergamo handelt es sich um einen Laserhersteller, der wiederum einen Teil seiner Hardware nach Neu-Ulm verkauft. „Wir arbeiten Hand in Hand“, erklärt Lagarde.
Lästige Haare entfernen oder Falten reduzieren mittels Lasertherapie: Das ist ein Aspekt des italienischen Gesundheitsmarkts. Wenngleich Privatkliniken stark im Kommen sind, bleibt aber doch der öffentliche Sektor vorherrschend. Mit dem Servizio Sanitario Nazionale (SSN) besitzt Italien einen staatlichen Gesundheitsdienst, der sich überwiegend aus Steuermitteln finanziert. Die Beiträge zur Krankenversicherung bezahlen die Arbeitgeber. Für die Bürger ist die medizinische Versorgung im Rahmen des SSN weitgehend kostenfrei, es gibt jedoch Zuzahlungen. Zahnersatz ist Privatsache. Auch Hilfsmittel wie Bandagen oder Orthesen müssten in der Regel vom Patienten bezahlt werden, sagt Christian Grimm, Teamleiter Unternehmenskommunikation bei der Bauerfeind AG in Zeulenroda, die ihre Produkte in Italien über eine Tochtergesellschaft vertreibt.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) platzierte das italienische Gesundheitssystem in ihrem jüngsten und auch letzten Ländervergleich im Jahr 2000 auf Rang 2: hinter Frankreich und weit vor Deutschland, das auf Rang 25 landete. Freilich ist selbst in Italien nicht alles Gold, was glänzt. Wie in vielen Wirtschaftsbereichen, gibt es dort auch im Gesundheitssektor starke regionale Unterschiede und vor allem ein Nord-Süd-Gefälle, das sich unter anderem in der Ausstattung der Einrichtungen niederschlägt.
Kein Wunder, dass der Gesundheitstourismus boomt. Viele Süditaliener erhoffen sich Heilung im Norden und in Mittelitalien, wo man derzeit auch tüchtig investiert. Neue Kliniken werden gebaut, alte saniert. Mit der „Città della salute“ soll in Mailand bis 2015 für 520 Mio. Euro der größte Krankenhauskomplex des Landes entstehen. Diese Gesundheitsstadt mit 1405 Betten wird drei bestehende Krankenhäuser vereinen.
„Während in Deutschland die Gesundheitsinfrastruktur stark durch die niedergelassenen Ärzte geprägt ist, erbringen in Italien hauptsächlich die öffentlichen Krankenhäuser die Gesundheitsleistungen“, sagt Heinz-Georg Krolovitsch, der Leiter der Rechtsabteilung der Deutsch-Italienischen Handelskammer in Mailand (siehe Interview Seite 18). Den öffentlichen Krankenhäusern gleichgestellt sind private Kliniken, die sich vertraglich an den Servizio Sanitario Nazionale angeschlossen haben. Aus diesem Grund erfordere der italienische Gesundheitsmarkt eine andere Vertriebsstrategie als der deutsche, erklärt Krolovitsch.
Ende der neunziger Jahre hat der Staat weitreichende Kompetenzen an die Regionen übertragen, die Mittel aus dem staatlichen Gesundheitsfonds erhalten. Diese 20 Regionen, die ihre eigenen Gesundheitspläne erstellen, sind auch weitgehend für die Finanzierung neuer Kliniken zuständig. Und sie genehmigen die Budgets der lokalen Sanitätsbetriebe, der Aziende sanitarie locali (ASL), sowie der öffentlichen Krankenhäuser, der Aziende Ospedaliere (AO).
Allein im Jahr 2010 sollen in Italien 4 Mrd. Euro in den Krankenhausbau investiert werden. Nach einem leichten Dämpfer durch die Finanz- und Wirtschaftskrise werden dem Markt für Medizinprodukte dort wieder gute Wachstums-chancen vorausgesagt. Für das laufende Jahr sieht der Gesundheitspakt zwischen dem Staat und den Regionen Ausgaben von 106 Mrd. Euro für das öffentliche Gesundheitswesen vor, das ein jährliches Wachstum von etwa 4 % aufweist.
Viele medizinische Geräte sind nicht mehr auf dem aktuellen Stand, der Erneuerungsbedarf gilt als verhältnismäßig hoch. Zudem vergreist das Land der „Bambini“. Auf 100 Erwerbstätige kommen bereits 50 Rentner, Tendenz steigend: Auch das belebt den Markt. Besonders gefragt werden künftig laut einer aktuellen Branchenstudie von Germany Trade and Invest (GTAI) unter anderem Computertomographen, Ausrüstungen für die Positronen-Emissions-Tomographie (PET), Geräte für die Intensivmedizin und die Kardiotherapie sein.
Etwa 80 % der Nachfrage werden durch Importe gedeckt. So hat Italien zwar im Jahr 2008 Medizintechnik im Wert von 2,4 Mrd. Euro hergestellt, aber zugleich Produkte im Wert von 1,2 Mrd. Euro exportiert. Die Importe beliefen sich auf 5,3 Mrd. Euro.
Deutschland bleibt – trotz leichter Markteinbußen aufgrund des starken Euro – neben den USA der wichtigste Lieferant für den italienischen Gesundheitsmarkt. Im Jahr 2007 führte das Land deutsche Medizintechnik im Wert von 649 Mio. Euro ein. Und 2008 hieß es beispielsweise bei 44 % aller importierten zahnmedizinischen Instrumente, bei 29 % aller Rollstühle oder 28 % aller Röntgenapparate „Made in Germany“.
„Das Qualitätsbewusstsein ist nach wie vor sehr stark in Italien“, sagt Markus Schmid. Und gerade deutsche Produkte seien hoch angesehen, ergänzt der Geschäftsführer von Martin Italia. Bei der 1992 gegründeten Tochter der Tuttlinger Unternehmensgruppe KLS Martin handelt es sich um eine Marketinggesellschaft mit zwölf Mitarbeitern, die das regionale Fachhändlernetz unterstützt. „Wir sind flexibler, wir sind direkt am Markt und können dann auch schneller reagieren“, erklärt Schmid. Und persönliche Beziehungen seien in Italien noch immer sehr wichtig. Großprojekte wie die Einrichtung neuer Operationssäle nimmt die Projektabteilung von Martin Italia in die eigene Hand.
Wie der Vertriebspartner der Zimmer MedizinSysteme GmbH hat sich auch Martin Italia im Norden des Landes etabliert, in der Lombardei. Hier finden sich nicht nur zahlreiche Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen: Hier sitzen auch 57 % aller Mitglieder des größten italienischen Branchenverbands Assobiomedica. Die Gegend um Mailand ist eine der dynamischsten Wachstumsregionen und einer der Spitzenreiter bei den Investitionen ins Gesundheitswesen.
Es gibt aber auch Regionen wie Ligurien oder Sizilien, die stark defizitär arbeiten. Laut der GTAI-Branchenstudie sind die staatlichen Gesundheitseinrichtungen landesweit mit etwa 60 Mrd. Euro verschuldet, Lieferanten müssen in Italien im Schnitt 300 Tage auf ihr Geld warten. Die Finanzlage verstärkt das Preisbewusstsein, und der Einkauf wird zunehmend zentralisiert. So überwacht die staatlich kontrollierte Aktiengesellschaft Consip Ausschreibungen für den Ankauf standardisierter Geräte, die sie anschließend an Krankenhäuser vertreibt. Die Wirtschafts- und Finanzkrise habe zwar, was das öffentliche Gesundheitswesen anbelangt, keine große Auswirkung gezeigt, sagt Martin-Italia-Geschäftsführer Markus Schmid: „Aber bei Standardprodukten wird die Preissensibilität höher.“
Bettina Gonser Freie Journalistin in Stuttgart

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