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Präzision verlängert das Prothesenleben

Glatte Oberflächen: Schleifen, Polieren und die richtige Geometrie für vollkeramische Knie-Implantate
Präzision verlängert das Prothesenleben

Um den Faktor 30 verringerte Verschleißtiefe: Das spricht für Vollkeramik in Knie-Implantaten. Damit diese in Zukunft so genau wie erforderlich gefertigt werden können, optimieren Forscher den Schleif- und Polierprozess. Ihre Resultate testen sie an einem speziellen Prüfstand.

Um in Zukunft zu vollkeramischen Knie-Implantaten zu kommen, müssen Mediziner, Entwickler und Fertigungsspezialisten zusammenarbeiten. Nicht nur ein spezielles Design ist erforderlich, um Spannungsspitzen unter Belastung und damit den Bruch der Prothese zu vermeiden. Auch Bearbeitungstechnologien und spezielle Werkzeugkonzepte müssen entwickelt werden, um die komplexen keramischen Funktionsflächen zu fertigen. Im Rahmen des Sonderforschungsbereiches 599 sollte beispielsweise am IFW der komplette Endbearbeitungsprozess eines Keramikteils für eine Knieprothese entwickelt werden, und zwar so, dass er auf einer Maschine in einer Aufspannung bewerkstelligt werden kann.

Herkömmliche metallische Prothesenkomponenten werden in mehreren Bearbeitungsschritten hergestellt. Im ersten Prozessschritt wird die Makrogeometrie gefräst, dann werden die dabei entstandenen Vorschubrillen durch Bandschleif- und Polierschritte mit Tuchscheiben oder Polierflüssigkeiten und Poliersuspensionen eingeebnet. Vereinzelt fällt manuelle Nacharbeit an. Wenn auch diese letzten Prozessschritte noch Formabweichungen hinterlassen, gleichen weiche Kunststoff-Inlays diese wieder aus. Hier wird also eine Hart-Weich-Paarung genutzt.
Für Hart-Hart-Paarungen mit Keramik wären die bei diesem Fertigungsprozess üblichen Abweichungen unzulässig hoch. Daher wird eine andere Strategie verfolgt. Zunächst wird ein Keramik-Bauteil endformnah gesintert und erhält nach dem Vorschleifen seine Makrogeometrie, indem es mit torischen Werkzeugen durch fünfachsiges Schleifen bearbeitet wird. Das führt bereits zu hohen Oberflächenqualitäten von Ra = 100 nm. Der fünfachsig durchgeführte Polierprozess ebnet dann die Rauheitsspitzen ein und glättet die Oberflächen auf bis zu Ra < 10 nm, wobei die Bauteilkontur erhalten bleibt.
Für das Schleifen und das Polieren werden unterschiedliche Werkzeugkonzepte eingesetzt. Die Schleifwerkzeuge weisen eine torisch geformte Belagsgeometrie auf. Wenn der Anstellwinkel angepasst wird, können sie die Formvariation der zu bearbeitenden Komponenten ausgleichen. Das funktioniert noch besser, wenn die mit Diamant durchsetzten Polierwerkzeuge nachgiebig sind und sich in ihrer Form der Bauteilkontur anpassen.
Um einen geeigneten Prozess für das Schleifen zu definieren, müssen die erzielbaren Rauheiten und der Materialabtrag bekannt sein. Für den Einsatz torischer Schleifwerkzeuge wurde ein Modell hergeleitet und experimentell validiert, mit dem sich der Materialabtrag am Bauteil sowie die daran erzeugte Rauheit vorhersagen lassen. Die praktisch erzielten Ergebnisse stimmen sehr gut mit den Modellen zur Prognose überein. Das Modell wurde modifiziert und berücksichtig nun auch den Einfluss der Schleifscheibentopographie. Weitere Untersuchungen dienen dazu, die Einflüsse der Schleifscheibenbindung, der Diamantkorngröße sowie des Geschwindigkeitsverhältnisses q auf die entstehende Rauheit zu bestimmen. Der Einfluss des Materials wird zunächst konstant gehalten.
Der fünfachsige Polierprozess, für den nachgiebige Diamantwerkzeuge eingesetzt werden, ermöglicht eine sowohl kraft- als auch weggebundene Bearbeitung der Implantate. So sollen die beim Schleifen entstandenen Rauheitsspitzen abgetragen werden, um die Bauteilkontur nur minimal zu verändern.
Wenn der Druck auf das Werkzeug und die Diamantkonzentration sowie Vorschubgeschwindigkeit und Bahnabstand variiert werden, lässt sich die Oberflächentopographie einstellen. Die beobachteten Zusammenhänge zwischen Prozess- und Systemgrößen und der Einebnung der Rauheitsspitzen werden derzeit in einem empirischen Modell abgebildet.
Im Rahmen des Sonderforschungsbereiches „Biomedizintechnik“ wurde am Labor für Biomechanik und Biomaterialien (LBB) der Medizinischen Hochschule Hannover ein Roll-Gleit-Prüfstand entwickelt. Damit lassen sich Gleitpaarungen experimentell prüfen. Hier können standardisierte, kniegelenksähnliche Bewegungen und Belastungen simuliert werden, ohne komplette Bauteile fertigen zu müssen. Welchen Einfluss die Oberflächentopographie, die Konturtreue sowie verschiedene Geometrien auf das Verschleißverhalten haben, lässt sich so an vereinfachten Bauteilen leicht feststellen. Durch nicht kongruente Flächen sowie Effekte wie beispielsweise einseitiges Abheben einer Implantatkomponente (condylar-lift-off) können Spannungskonzentrationen bei komplexen Knieprothesen auftreten. Ob Hart-Hart-Gleitpaarungen ohne ausgleichende weiche Kunststoff-Bestandteile diesen Bedingungen standhalten können, zeigt sich im Roll-Gleit-Prüfstand an zylindrischen Prüfkörpern und ebenen Gegenkörpern, wo auch Linienkontakt oder – bei doppelt gekrümmten Prüfkörpern – Punktkontakt nachgestellt werden können.
Mit Hilfe dieses Prüfstandes wurden die bearbeiteten Bauteile bewertet. Die Keramikteile hinterließen am ebenen Prüfkörper Verschleißmarken von nur 1,5 µm Tiefe. Bei Stahl und Kunststoff (CoCr-PE-Referenzpaarung) hingegen war der Verschleiß mit 45 µm erheblich größer. Die Reduktion der Verschleißtiefe um den Faktor 30 zeigt das Potential: Selbst unter verschärften Beanspruchungen erzielte die geprüfte Hart-Hart-Gleitpaarung erheblich bessere Ergebnisse.
  • Prof. Dr.-Ing. Berend Denkena, Dr.-Ing. Jens Köhler, Marijke van der Meer, Anke Turger Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen, Leibniz Universität Hannover
  • Weitere Informationen Übersichtsvideo und Infos zum SFB und seinen Teilprojekten: www.mhh-hno.de/sfb599

  • Implantate heute
    Allein in Deutschland werden jährlich etwa 170 000 Knieprothesen implantiert. Problematisch ist derzeit die nicht zufriedenstellende Implantatlebensdauer, da im Jahr etwa 9 600 Prothesen in Revisionsoperationen ersetzt werden müssen. Inspiriert durch die erfolgreich eingesetzten keramischen Hüftimplantate mit einer Haltbarkeit von bis zu 25 Jahren sollen auch vollkeramische Knie-Implantate entwickelt und gefertigt werden. Die Ausführung als Hart-Hart-Paarung soll die Lebensdauer solch komplexer Implantate signifikant erhöhen.
    Die relativ vielgestaltigen Geometrien des Kniegelenks, verbunden mit hohen Anforderungen an Oberflächenqualität und Formgenauigkeit, haben bis heute aber die Anwendung von Keramik als alleiniges Implantatmaterial in der Knieendoprothetik verhindert. Schließlich lassen sich die Kenntnisse zur Bearbeitung keramischer Komponenten, die einfache Geometrieelemente wie Kugel- oder Zylinderflächen beinhalten, nicht einfach auf frei geformte Flächen übertragen. Beispielsweise ist bei der Bearbeitung zu berücksichtigen, dass sich die Kontaktbedingungen kontinuierlich ändern. Nur so lassen sich ein gleichmäßiger Materialabtrag und damit die erforderliche Geometrietreue gewährleisten.

    Ihr Stichwort
    • Knieendoprothesen
    • Hart-Hart-Paarung
    • Keramikbearbeitung
    • Modelle für die Prozessoptimierung
    • Roll-Gleit-Prüfstand für kniegelenksähnliche Bewegungen
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