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Oft finden sich innovative Lösungen fernab der Medizintechnik

Open Innovation: Medizintechnikunternehmen können sich nicht drücken
Oft finden sich innovative Lösungen fernab der Medizintechnik

Oft finden sich innovative Lösungen fernab der Medizintechnik
Prof. Dr. Cornelius Herstatt von der technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH) fokussiert sich seit 1998 auf das Management von Innovationsprozessen Bild: Herstatt
Prof. Dr. Herstatt leitet das Institut für Technologie- und Innovationsmanagement an der TUHH. Im Gespräch erklärt er, wie Lead User Workshops Firmen beim Entwickeln neuer Produkte unterstützen und wie sich Prozesse zukünftig verändern.

Herr Professor Herstatt, warum ist Open Innovation wichtig für Medizintechnikhersteller?

Open Innovation ist ein globales Phänomen: Die Öffnung des Innovationsprozesses gegenüber Partnern ist ein wichtiges Wettbewerbsmerkmal der heutigen Innovationsarbeit. Das Thema ist für alle Unternehmen von Bedeutung – Medizintechnikunternehmen können sich da nicht ausnehmen.
Deutsche Medizintechnikunternehmen sind heute schon sehr innovativ. Wie unterscheiden sich Lead User Workshops von bisherigen Innovationsmethoden?
Gespräche mit heutigen Kunden führen häufig zur Verbesserung heutiger Leistungen. Will ein Unternehmen Themen zukunftsgerichtet anpacken und neue Trends setzen, muss es mit Lead Usern sprechen. Lead User sind keine gewöhnlichen Anwender, sondern zeichnen sich durch Bedarfs- und Lösungswissen aus. Das heißt, sie beschäftigen sich heute schon mit Themen, die erst später für die Mehrheit der Anwender relevant wird. Lead User sind somit trendführend. Da es für ihre frühzeitig erkannten Probleme noch keine Lösungen gibt, werden sie häufig auch selbst innovativ aktiv. Damit verfügen sie bereits über Lösungen.
Sie bieten Lead User Workshops für Unternehmen an. Wie läuft so ein Workshop ab?
Meist kommen kleinere oder sehr große Hersteller auf uns zu, weil sie ihre Produkte weiterbringen oder neue Lösungen eruieren wollen. Gemeinsam mit dem Hersteller grenzen wir zunächst das Innovations-Suchfeld ab und prüfen, wo zukunftsweisende Verfahren und Trends erkennbar sind. Dann werden Erstgespräche mit Anwendern, meist Ärzten, zur Trenderkennung geführt. Bei diesen Gesprächen unterscheiden sich zwei Anwendergruppen: Wir sprechen sowohl mit führenden Anwendern, das sind in der Regel Experten auf dem Kerngebiet der Anwendung. Aber wir suchen auch in analogen Bereichen nach Leuten, die hinsichtlich der anvisierten Funktionen Expertenwissen haben.
Wo könnte das zum Beispiel sein?
Das können Branchen fernab des Kernanwendungsgebiets in der Medizin sein. In einem Fall standen wir vor dem Problem, dass Einheitskittel verschiedenen OP-Anforderungen, also unterschiedlichen Dauer- und Temperaturbedingungen, nicht gerecht werden. Sucht man hier nach Bereichen mit ähnlicher Problematik, landet man in industriellen Reinsträumen. Dort sind Kleidungsschnitte, Materialien und die Art und Weise, wie man einen Kittel schließen und öffnen kann, weiter fortgeschritten. Manchmal beziehen wir Vorbilder aus der Natur mit ein.
Wie gehen Sie mit den Experten vor?
Für die Lead User Workshops sammeln wir relevante Anwender und arbeiten strukturiert an möglichen Lösungen. Je konkreter man mit den eigentlichen Anwendern arbeitet, desto schneller kann man Lösungen umsetzen. Am Ende der ein- bis zweitägigen Veranstaltung hat der Hersteller ein klareres Bild, wo die Reise künftig hingeht und häufig auch schon erste Ideen für neue Produkte und Dienstleistungen.
Mit welchen zeitlichen und finanziellen Aufwendungen sollten Unternehmen für einen Workshop rechnen?
Wenn das bestehende Produkt nur marginal verändert wird, ist das mit einem geringen Aufwand verbunden. Ein Beispiel: Früher war das Fixieren von Weich-Implantaten im Körper sehr aufwendig. Für den Operateur sind die Bereiche schlecht einsehbar, viel läuft über Haptik und Sensorik. In den USA wird häufig getackert, in Europa traditionell genäht. Wir haben damals mit wenigen Ärzten gesprochen, die mit am Patienten zugelassenen Fibrin-Klebern gearbeitet haben – heute ist das Standard. An die Workshops schließt sich oft ein Entwicklungsprojekt an. Je aufwendiger gearbeitet wird, desto stärker steigen die Kosten und die Projektdauer.
Wodurch werden die Lead User motiviert?
Das ist unterschiedlich. Manche sind glücklich, wenn der Hersteller anschließend ein Produkt bereitstellt, mit dem sie arbeiten können. Wenn Ärzte selbst bereits viel Zeit und Aufwand in eine Lösung investiert haben, erwarten sie finanzielle Entlohnung oder einen Vertrag. Unternehmen sollten die Lead User in einem frühen Stadium, idealerweise in der Problemerkennung und nicht der Lösungsgenerierung abholen.
An wen gehen die Rechte an möglichen Lösungen aus den Workshops?
Normalerweise gibt es im Vorfeld der Workshops ein Non-Disclosure-Agreement mit dem Anwender. Kommt es zu einer Zusammenarbeit im Workshop, regelt ein Vertrag, dass die gemeinsam generierten Ideen in das Eigentum des Unternehmens übergehen. Im Vertrag können die Modalitäten hinsichtlich der Entlohnung geregelt werden. Meine Erfahrung hat aber gezeigt, dass die Anwender Interesse an einer zukünftigen Lösung haben und dafür auch bereit sind, Zeit zu investieren.
Was sollten Unternehmen beachten?
Wenn sich aus Workshops spannende Lösungen ableiten, sollten Hersteller diese schnell patentieren. Zudem sollte eine partnerschaftliche und langfristige Beziehung zwischen Hersteller und Lead Usern entstehen. Das wird von Unternehmen häufig vernachlässigt, da sie mit der Umsetzung ihrer Ideen beschäftigt sind.
Was wird in Zukunft im Innovationsmanagement noch wichtiger werden?
Die Arbeitsweise hat sich in den letzten 20 Jahren stark verändert: Früher haben wir bei der Suche nach Lead Usern traditionell mit Literaturrecherche, Telefonaten und persönlichen Gesprächen gearbeitet. In Zukunft werden wir viel mehr auf Social Media – Blogs und Interest-Communities – zurückgreifen können. Zudem wird es viel wichtiger, schnell zu agieren und Wettbewerbspositionen aufzubauen. Gleichzeitig wird es schwerer, Dinge zu schützen. Die Open-Source-Bewegung ist eigentlich nicht kompatibel mit dem internationalen Patentrecht. Das ist ein Konflikt, der gelöst werden muss.

Was ist Open Innovation?
Open Innovation bezeichnet die Öffnung des Innovationsprozesses von Organisationen und damit die aktive Nutzung der Außenwelt zur Vergrößerung des Innovationspotenzials. Crowdsourcing, User Innovation und webbasierte Innovationsstudien sind wesentliche Ansätze, um Anwender und Konsumenten in die Neu-Produktentwicklung einzubeziehen. Lead User Workshops werden dem User-Innovation-Ansatz zugeordnet. Weitere Informationen: www.tuhh.de/tim

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