Startseite » Allgemein »

„Nanotechnologe leistet einen Beitrag, die Welt zu verändern“

Dr. Ralph Nonninger zu den Chancen und Risiken für die Medizintechnik
„Nanotechnologe leistet einen Beitrag, die Welt zu verändern“

Die Nanotechnologie dringt mit hoher Geschwindigkeit in viele Bereiche unseres Alltags vor. Nano-Experte Dr. Ralph Nonninger erläutert im Interview was sie schon kann, was sie darf und wo gesundheitliche und ethische Bedenken angebracht sind.

Sehr geehrter Hr. Dr. Nonninger, was fasziniert Sie persönlich am meisten an der Nanotechnologie

Es ist das Ausmaß und die Geschwindigkeit, mit der sie unser Leben verändert. Lassen Sie mich das am Beispiel moderner Computerfestplatten beschreiben. Dass heute so viele Daten auf einer Festplatte gespeichert werden können, liegt an deren Leseköpfen. Diese nutzen einen quantenmechanischen Effekt, der erst 1988 entdeckt wurde und für den seine Entdecker 2007 den Physik-Nobelpreis bekommen haben. Innerhalb von etwa zehn Jahren hat diese neue Festplattengeneration den Markt nahezu vollständig erobert und ist heute Standard. Der Fernseher oder das Telefon, die ebenso zu selbstverständlichen Alltagsgegenständen zählen, haben sich im Vergleich dazu im Schneckentempo durchgesetzt.
Welche Chancen eröffnet die Nanotechnologie in der Medizintechnik
Das potenzielle Einsatzspektrum der Nanotechnologie in der Medizin und Medizintechnik ist nahezu grenzenlos. Aber niemand kann heute seriös voraussagen, welche Szenarien sich mittel- und langfristig realisieren. Ich möchte nur einige Stichpunkte nennen: Denken wir beispielsweise an Drug-Delivery-Systeme, bei denen Nanoteilchen als „Taxi“ fungieren, um Medikamente zielgenau an den Krankheitsherd zu transportieren. Die Größenskala zwischen einem Molekül und einer ganzen Zelle entspricht dem Unterschied zwischen einigen wenigen bis hin zu einigen tausend Nanometern. In diesem Bereich entscheidet es sich, ob ein Organismus krank oder gesund ist. Oder sprechen wir von Ferrofluiden in der Krebstherapie. Dabei werden nanoskalige Eisenoxidpartikel in das Tumorgewebe injiziert. Anschließend wird ein Magnetfeld angelegt, das die Nanoteilchen in Schwingungen versetzt, so dass sie sich erwärmen und den Tumor von innen verbrennen. Stellen sie sich jetzt noch vor, sie belegen die Oberfläche der Teilchen mit chemischen Substanzen, die Krebszellen aufspüren können (Schlüssel/Schloß Prinzip), injizieren diese in die Blutbahn und die Teilchen finden eigenständig alle Metastasen im Körper. Die Nanotechnologie kann durch gezielte Herstellung funktionalisierter Nanoteilchen einerseits Trägesubstanzen für Wirkstoffe bereitstellen oder andererseits Nanoteilchen schaffen, die zur gezielten Manipulation intrazellulärer Vorgänge dienen. Nanotechnologie spielt aber auch eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, biokompatible Implantate oder künstliche Gewebe herzustellen. Nicht zu vergessen das Riesenthema der Miniaturisierung: Winzige implantierbare Elektroden, die als Schnittstellen zum Nervensystem fungieren, so dass sich bioelektrische Potentiale erfassen und gezielt stimulieren lassen. Und schließlich sind Lab-on-a-chip-Systeme bereits Realität – komplett ausgestattete Minilabore für die Hosentasche, die nur noch winzigste Probenmengen benötigen.
Wo liegen die Risiken der Technologie, vor allem bezogen auf die Medizintechnik
Die Nanotechnologie leistet einen Beitrag, die Welt zu verändern und zeigt Möglichkeiten auf, die Natur und das menschliche Leben gezielt zu beeinflussen. Dabei stellt sich die alte Frage erneut, ob der Mensch all das machen darf, was er kann. Die Antwort müssen wir als Gesellschaft nach unseren ethischen Grundsätzen finden. Das oben skizzierte Beispiel miniaturisierter Hirn-Computer-Schnittstellen beschreibt das ganz gut, denn ein und dieselbe Technik könnte dazu dienen, kranke Menschen zu heilen oder aber gesunde zu „verbessern“.
Inwieweit haben wir diese Risiken im Griff? Wo herrscht der meiste Forschungsbedarf?
Wenn heute in Labors der Universitäten, Forschungsinstitute oder der Industrie neuartige Materialien oder Partikel hergestellt werden, dann sind die physikalisch und chemisch exakt charakterisiert. Forschungsbedarf herrscht genau dort, wo Nanomaterialien in großem Maßstab in Verbraucherprodukten vorliegen. Wir wissen eben heute noch nicht hundertprozentig, wie diese Nanos im Körper reagieren, wie sie umweltverträglich abgebaut oder entsorgt werden können. An diesen Themen wird derzeit überall gearbeitet, die Wissenslücken schließen sich kontinuierlich.
Was ist aus gesundheitlicher Sicht an Nanoteilchen gefährlich
Der Mensch ist seit Jahrtausenden Nanoteilchen ausgesetzt, da sie überall in unserer Umgebung vorliegen. Nur weil ein Stoff kleiner wird, wird er nicht automatisch gefährlich. Ich schließe in meiner Betrachtung metallische Nanoteilchen hier einmal aus, da sie bereits stoffspezifisch meist toxisch sind und aufgrund ihrer Kleinheit dazu neigen, sich selbst zu entzünden. Wenn ich von anorganischen oder organischen Nanoteilchen spreche, die in der Medizintechnik verwendet werden, sind diese Teilchen zunächst einmal genauso toxisch oder genauso nicht toxisch wie die größeren Teilchen des gleichen Stoffes. Dies bedeutet nicht, dass man sorglos mit Nanoteilchen umgehen sollte, sondern lediglich, dass man alle existierenden Schutzmaßnahmen auch bei Nanoteilchen ergreifen muss. Man muss weiterhin klar unterscheiden, ob wir von Nanoteilchen reden, die in eine Matrix fest eingeschlossen sind, in ein Polymer, in ein Metall, in eine Keramik; oder reden wir von isoliert vorliegenden Teilchen oder einem Aerosol. Hier müssen die bekannten arbeitsrechtlichen Vorschriften angewendet werden.
Ist eine Regulierung von staatlicher Seite erforderlich
Nach meiner Auffassung macht eine Regulierung immer Sinn, da ein bestehender Rechtsrahmen Sicherheit gibt, sowohl dem Produzenten als auch dem Verbraucher. Wichtig ist festzuhalten, dass bereits heute viele Bereiche reguliert sind. So haben wir eine Biozid- und Pflanzenschutzgesetzgebung, ein Lebensmittelrecht oder eine Kosmetikver-ordnung. Im Falle der chemischen Stoffe – und darunter fallen alle Nanoteilchen – haben wir REACH, wir haben den Arbeitsschutz u.v.m.
Was können Unternehmen der Nano-Branche konkret tun, um die Belastung ihrer Mitarbeiter abzuschätzen beziehungweise zu reduzieren.
Zunächst einmal alle bestehenden Gesetze zu Nanomaterialien und Arbeitsschutz einhalten. Im Zweifelsfall sollte man es immer vermeiden, Nanoteilchen zu isolieren, sondern sie immer nur in Lösung, im wässrigen Medium weiterverarbeiten. Man sollte Stäube und Aerosole verhindern und wenn dies nicht geht, zumindest Atemmasken verwenden.
Was ist die Aufgabe des cc-NanoBioNet
Der cc-NanoBioNet e. V. ist ein Netzwerk aus mehr als 100 Hochschulen, Forschungsinstituten, Kliniken und Unternehmen. Das Netz verstärkt die Interaktion zwischen Forschung, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Mit unserer Arbeit wollen wir die Schaffung neuer, innovativer und marktfähiger Produkte und Arbeitsplätze unterstützen, Forschung und Entwicklung fördern und nicht zuletzt die Öffentlichkeit über die spannende Welt der Nano- und Biotechnologie informieren.
Welche Services bietet das Netzwerk seinen Mitgliedern?
Es bietet ein umfangreiches Serviceportfolio. Die Palette reicht von der Vermittlung von Referenten über Hilfestellung bei Förderprogrammen, Betreuung von Messen, Verarbeitung von Technologieanfragen bis hin zur Vergabe von Machbarkeitsstudien. Für unsere Mitglieder sind diese Leistungen kostenlos. Darüber hinaus können sie zu besonders günstigen Konditionen an NanoBioNet-Veranstaltungen, wie Konferenzen und Workshops teilnehmen, PR-Services oder Eventmanagement-Dienste in Anspruch nehmen.
Im November letzten Jahres wurde der Deutsche Verband Nanotechnologie gegründet, dem Sie als Präsident vorstehen. Warum braucht es diesen Verband?
Im Gegensatz zur wachsenden wirtschaftlichen Bedeutung der Nanotechnologie steht eine mangelnde Interessenvertretung der Menschen, die diese technologische Entwicklung maßgeblich prägen – Wissenschaftler, Unternehmer, Techniker oder Laboranten. Diesen Menschen will der Verband eine Stimme geben. Während in der Vergangenheit mit den regional oder thematisch ausgerichteten Netzwerken und Kompetenzzentren hauptsächlich solche Instrumente geschaffen wurden, die Unternehmen und Forschungseinrichtungen vertreten haben, fehlte eine Interessenvertretung für Personen. Diese Lücke haben wir mit der Verbandsgründung geschlossen.
Worin unterscheidet er sich vom cc-NanoBioNet-Netzwerk?
Ziel des Verbandes ist es, Chancen und Risiken der Nanotechnologie für alle Interessengruppen transparent, neutral und proaktiv darzustellen. Er wird eine Datenbank mit den Kompetenzen, Leistungen und Produkten aller Nanotechnologie-relevanten Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Hochschulen aufsetzen. Darüber hinaus will der Verband in den entscheidungsrelevanten politischen Gremien mitarbeiten und nanotechnologische Lehrinhalte auf allen Aus- und Weiterbildungsebenen verankern. Der Verband wird sich dafür einsetzen, dem drohenden Fachkräftemangel in den technisch-wissenschaftlichen Fächern und Berufen wirksam zu begegnen. Er sieht sich damit auf der Linie der von der Bundesregierung vertretenen Positionen zur Förderung dieser Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts. Das NanoBioNet ist in erster Linie ein Netzwerk von Unternehmen und Institutionen; der Verband hingegen vertritt die Interessen von Personen. Also gibt es da schon einen fundamentalen Unterschied. Außerdem sind die Aktivitäten des NanoBioNet eher auf die Region beschränkt, während der Verband bundesweit agiert.
Welche Rolle spielt das Thema Nanosicherheit und Risikoforschung in der Verbandsarbeit.
Der Verband ist der Ansicht, die Kommunikation im Bereich Nanotechnologie proaktiv voranzutreiben. Wir können nicht abwarten, bis Halbwissen über die Medien transportiert wird und wir haben eine Verantwortung für die Menschen, die tagtäglich mit dieser Technologie in Berührung kommen. Der Verband nimmt sich der Nanosicherheit und Risikoforschung an und informiert darüber, was gefährlich ist und wie man sich davor schützt, zeigt aber ebenso den sicheren Korridor auf, in dem man forschen und arbeiten darf.
Weitere Informationen zum Netzwerk cc-NanoBioNet www.nanobionet.de zum Deutschen Verband Nanotechnologie www.dv-nano.de
Unsere Whitepaper-Empfehlung
Aktuelle Ausgabe
Titelbild medizin technik 2
Ausgabe
2.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Titelthema: PFAS

Medizintechnik ohne PFAS: Suche nach sinnvollem Ersatz

Alle Webinare & Webcasts

Webinare aller unserer Industrieseiten

Aktuelles Webinar

Multiphysik-Simulation

Medizintechnik: Multiphysik-Simulation

Whitepaper

Whitepaper aller unserer Industrieseiten


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de