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Kollege Roboter saugt Kleinstteile an

Hörgerätefertigung: Millimetergenaues Arbeiten mit Leichtbaurobotik
Kollege Roboter saugt Kleinstteile an

Eine hohe Variantenvielfalt führt zu kleineren Losgrößen, die es wirtschaftlich zu realisieren gilt. Konventionelle Automationstechnologien stoßen dabei schnell an ihre Grenzen. Der Hörgerätehersteller Oticon setzt für den Umgang mit winzigen Bauteilen auf Robotertechnik.

Der weltweit tätige Hörgerätehersteller Oticon produziert an seinem Standort in Thisted in Dänemark einen Teil seiner Hörgeräte und erprobt diese bis zur Produktionsreife. „Wir sind zum einen eine Art Versuchslabor für neue Entwicklungen und zum anderen stellen wir hier unsere In-The-Ear-Produkte her. Dabei handelt es sich um Hörgeräte, die verborgen im Ohr getragen werden“, erklärt Arne Oddershede, Gruppenleiter der Wartungseinheit bei Oticon.

Das Unternehmen nutzt Robotertechnologie bereits seit zehn Jahren. Im Zuge seiner innovativen Entwicklungen stand der Hörgeräthersteller jedoch vor einer neuen Herausforderung: Da die Hörhilfen zugunsten des Tragekomforts immer kleiner werden, bedurfte es der Herstellung und Montage von winzigen Bauteilen. Die großen, zwei- oder dreiachsigen Roboter, die Oticon bislang in seiner Produktion einsetzte, kamen dafür nicht in Frage. Auch in Handarbeit war diese Anforderung kaum zu bewältigen. „Die Teile für die modernen Hörgeräte werden immer kleiner, oft sind sie nur noch einen Millimeter groß. Wir haben nach einer Lösung gesucht, die diese Teilchen aus einer Gussform aufsaugen kann.“ Manuell sei das schlicht unmöglich, so dass in der Produktion schon seit längerem Automationstechnologie eingesetzt werde. „In diesem Fall benötigten wir aber eine leichter zugängliche und flexiblere Lösung, die aufgrund niedriger Produktionszahlen auch wirtschaftlich sinnvoll ist“, sagt Arne Oddershede.
Der Systemintegrator Armiga, der ebenfalls in Thisted ansässig ist, hielt für all diese Anforderungen die geeignete Lösung bereit: den sechsachsigen Knickarmroboter UR-6-85-5-A des dänischen Herstellers Universal Robots, der lediglich 18 kg schwer ist und über eine Hebekapazität von 5 kg verfügt. „Uns war schnell klar, dass zwei- oder dreiachsige Roboter für die Aufgabe ungeeignet waren“, sagt Lars Gasberg, Vertriebsleiter von Armiga. Bewegungen nur vor und zurück und auf und ab reichten bei Weitem nicht aus. „Wenn ein kleines Teil etwa in der Gussform festsitzt, muss es zum Beispiel gekippt werden können.“ Besonders die intuitive Benutzerführung und die Präzision, mit der der Roboter arbeitet, überzeugten Oticon. Ausschlaggebend war auch, dass das Unternehmen den Roboterarm zur Produktion kleiner Stückzahlen nutzen und so seine Hörgeräte zu wettbewerbsfähigen Preisen anbieten kann.
Für seine neue Arbeitsaufgabe wurde der Roboter in der Gießerei von Oticon an nur einem Tag installiert. Dort handhabt er sehr kleine, kaum einen Millimeter große Bauteile, wie zum Beispiel Wachsfilter. Diese werden im Inneren des Hörgerätes angebracht, um die Elektronik vor dem Ohrenschmalz des Trägers zu schützen.
Fest auf der Spritzgießmaschine montiert, positioniert sich der Roboter über der Gussform und saugt die Kunststoff-Elemente über ein speziell angefertigtes Vakuum-System auf. Dabei kann er mit Hilfe eines Saugwerkzeugs bis zu vier Kleinstbauteile gleichzeitig aufnehmen. Der UR-6-85-5-A ist so programmiert, dass der Saugmechanismus nur dann reagiert, wenn die Gussform geöffnet ist. Nach Aufnahme der Teile, zieht sich der Roboter zurück, und die Spritzgießmaschine bereitet einen neuen Abguss vor. Alle Bauteile aus derselben Form werden anschließend in separaten Röhrchen gesammelt, so dass deren Rückverfolgbarkeit gewährleistet ist. Aufgrund des Vakuum- Systems wird zudem sichergestellt, dass die sensiblen Elemente nicht beschädigt werden.
Der dänische Hörgeratespezialist setzt den Roboter darüber hinaus für eine weitere Aufgabe – ebenfalls in der Gießerei – ein: Für das Handling von komplexeren Gussbauteilen wird das Saugwerkzeug durch ein pneumatisches Greifwerkzeug getauscht. So kann der UR-6-85-5-A, der dank seiner sechs Achsen sehr wendig ist, die Teile drehen oder kippen, um sie schnell aus der Form zu heben. Je nach Seriengröße und Bauteil arbeitet der Roboter in Zyklen von 4 bis 9 s. „Wichtig war, dass der Roboterarm leicht zugänglich und logisch aufgebaut ist. Da wir im Zuge unserer Neuentwicklungen unterschiedliche Stückzahlen und Bauteile produzieren, muss dieser leicht umprogrammiert werden können“, sagt Arne Oddershede. Bei einem traditionellen Roboter erfolge das über einen Computer und verlange geschultes Personal, in der Regel Programmierer. Den UR-6-85-5-A könne aber jeder technische Mitarbeiter buchstäblich anfassen und ihm den Bewegungsablauf anhand von Wegpunkten zeigen.
Um ohne zusätzliche Schutzeinhausung direkt neben Menschen arbeiten zu dürfen, verfügt der Roboter über einen eingebauten Absicherungsmodus. In jedem Gelenk sitzt ein Sensor, der bemerkt, wann der Roboterarm für die Bewegung mehr Kraft aufwenden muss als zuvor berechnet, beispielsweise wenn ein Arm oder ein Fuß im Weg ist. Wird ein Gegendruck von 150 N oder mehr ausgeübt, stoppt der Roboter sofort den Betrieb. Dieser Sicherheitsmodus wurde nach der europäischen ISO-Norm 10218 vom Dänischen Technologieinstitut zertifiziert.
Der Preis war ein weiteres Argument für die Anschaffung des Roboters von Universal Robots. Bereits nach wenigen Monaten amortisierte sich für Oticon die Investition. Auch die Betriebskosten sind überschaubar, da der Roboter energieeffizient arbeitet. „Der UR-6-85-5-A konnte alle unsere Anforderungen erfüllen“, sagt Arne Oddershede. Inzwischen setzt der Hörgerätehersteller bereits einen zweiten Roboter für denselben Anwendungsbereich an seinem Produktionsstandort in Polen ein.
Jennifer Appel Fachjournalistin in München

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