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Keine Verstecke für das Gift

Werkstoffklassifizierung: Definierte Methode bewertet Reinraumtauglichkeit von Materialien
Keine Verstecke für das Gift

Die Werkstoffe, aus denen Reinraumausstattung hergestellt ist, sollten den Dekontaminationsmitteln möglichst wenig Spielraum zum Anhaften bieten. Eine neue Testmethode bewertet, welches Material am besten zum Einsatzzweck passt. Das soll vor bösen Überraschungen schützen.

Ob Pharmaindustrie, Medizinproduktefertigung oder Operationssaal – wo Reinraumbedingungen herrschen, gilt zweierlei: Die Belastung mit Partikeln ist minimal, und es darf keine mikrobiologischen Verunreinigungen geben. Um das zu erreichen, werden aber Medien eingesetzt, die ihrerseits zum Problem werden können. Wenn sie nach der Anwendung in der Ausstattung des Reinraum verbleiben und später freigesetzt werden, können sie Mitarbeiter oder Produkte schädigen.

Um das zu vermeiden, sollten speziell entwickelte Werkstoffe verwendet werden, die auf ihr Adsorptions- und Desorptionsverhalten gegenüber diesen Medien getestet wurden. Dann kann eine Dekontamination unter optimierten zeitlichen Bedingungen stattfinden: mit kürzerer Wartezeit, wenn zum Beispiel der Isolierbereich einer Seuchenstation mit H2O2-Gas oder -Nebel dekontaminiert wurde. Dabei werden typischerweise Konzentrationen von 800 ppm erreicht. Menschen dürfen diesen Raum erst wieder betreten, wenn die Konzentration auf 0,5 ppm gesunken ist, also den durch die Arbeitsschutzrichtlinien vorgegebenen Grenzwert erreicht hat. Ähnliches gilt für OP-Säle, die nach einer Zahnimplantation oder dem Einsetzen einer Hüftendoprothese dekontaminiert werden müssen, aber auch für Abfüllanlagen für ein oxidationsempfindliches Produkt oder eine Komponente in der pharmazeutischen Industrie.
Doch diffundiert das Wasserstoffperoxid während der Dekontamination auch in Bauteile oder adsorbiert an den im Reinraum verbauten Werkstoffen. Sobald es sich hieraus wieder löst, könnte seine Konzentration den zugelassenen Höchstwert überschreiten, was die Wartezeit verlängert.
Bessere Voraussetzungen bietet der Einsatz von „Inert-Werkstoffen“, die weder Adsorption noch Diffusion ermöglichen und bei denen auch keine verzögerte Ausgasung auftreten kann. Dabei lässt sich allerdings nicht pauschal sagen, welche Materialien in dieser Hinsicht als kritisch und welche als weniger kritisch anzusehen sind. Es ist sogar schwierig, verschiedene Werkstoffe wie PVC-Fliesen oder Bauteile wie PE-Schläuche zu Klassen zusammenzufassen und zu bewerten. Denn unter den für die Herstellung verwendeten Kunststoffen finden sich Varianten mit geringer oder höherer H2O2-Adsorption und -Diffusion. Auch die Porengröße, die exakte chemische Zusammensetzung des Materials und Volumen und Fläche des Bauteils spielen eine Rolle.
Mitarbeiter des Stuttgarter Fraunhofer IPA haben jedoch eine standardisierte Methode entwickelt, um Materialien zu bewerten und daraufhin zu vergleichen, welche nachträglichen Ausgasungen von Wasserstoffperoxid oder einem anderen Prüfgas wie Ethylenoxid auftreten, das ebenfalls als Dekontaminationsmittel eingesetzt wird.
Bei dieser Methode wird der so genannte k-Wert errechnet. Dazu wird das zu testende Material eine Stunde lang mit dem Gas beaufschlagt. Anschließend belüftet man es mit einer definierten Belüftungsrate. Der k-Wert entspricht der Zeit, die notwendig ist, um die Wasserstoffperoxid-Maximalkonzentration in der Luft auf ein Zehntel des Ausgangswertes zu senken. Der Blindwert wird mit Borsilikatglas ermittelt, einem diffusionsfreien und nicht-ausgasenden Werkstoff. Der Blindwert wird vom Wert für das Test-Material abgezogen, um auf den letztendlichen k-Wert zu kommen. Dieses neue Verfahren, mit dem sich Werkstoffe klassifizieren lassen, gab den Anstoß für eine neue Methodenrichtlinie, die als wichtige Reinraum-Empfehlung in der Richtlinien-Reihe VDI 2083 des Vereins Deutscher Ingenieure niedergelegt ist.
Ein Reinraum-Betreiber oder -Installateur kann sich in Zukunft darauf berufen. Zulieferer von Fußböden, Schläuchen, Wand- und Deckenbeschichtungen, Lüftern, Filtern und vielem mehr müssen dann nachweisen, aus welchen Werkstoffen ihre Komponenten bestehen, wie sie mit Blick auf die neue Klassifizierungsempfehlung in der VDI 2083 abschneiden und ob sie für den geplanten Reinraum tauglich sind. „Das Verfahren als solches ist zwar keine Revolution“, sagt Markus Keller, Reinraum-Spezialist am IPA. Es wirke sich aber unmittelbar aus, da es eine gezielte Werkstoffauswahl für schnelle Dekontaminationszyklen ermöglicht.
„Werkstoffe für den Reinraum sind auf jeden Fall ein praxisrelevantes Gebiet“, berichtet Claudia Pachl von der Avantalion Consulting Switzerland, Luzern. In der pharmazeutischen Industrie sei es vorgekommen, dass trotz Auswahl eines so genannten ,pharmatauglichen‘ Edelstahls in einer Probenzugkabine großflächig Korrosion auftrat. Doch die verwendete Legierung war für das Reinigen mit dem Standard-Reinigungsmittel nicht geeignet. Eine Nachbehandlung der angegriffenen Oberflächen, die Suche nach einem verträglichen Reinigungsmittel sowie die anschließende erneute Validierung kosteten viel Zeit und erhöhten die Kosten. „Dies hätte durch eine detaillierte Designplanung und eine korrekt aufgesetzte Qualifizierung vermieden werden können.“
Dr. Christian Ehrensberger Fachjournalist in Bad Homburg
Weitere Informationen Die internationale Fachmesse Cleanzone bietet eine Plattform, um sich unter anderem über Dekontaminationsmittel und neue reinraumtaugliche Verbrauchsmittel zu informieren. Messe und Kongresse finden – in diesem Jahr zum vierten Mal – am 27. und 28. Oktober in Frankfurt/M. statt. www.cleanzone.messefrankfurt.com

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