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Keine Reizflächen bieten

Smart Materials: Die Zukunft in der Werkstofftechnik
Keine Reizflächen bieten

Zahnimplantate und Hüftprothesen begegnen uns heute überall. Doch neben technischen Innovationen wird auch nach neuen Materialien geforscht. Unter dem Begriff intelligente Werkstoffe gibt es bereits eine Reihe von Entwicklungen.

Auch wenn der Begriff es vermuten lässt, Werkstoffe sind natürlich nicht wirklich intelligent. Dennoch kann man ihre Eigenschaften so bezeichnen. Anstatt starr im Körper auszuharren, passen sie sich an dessen Bedingungen an. Werkstoffe lassen sich zum Beispiel gezielt durch elektrische Spannung oder Temperaturänderungen beeinflussen. Doch welcher Werkstoff eignet sich als Biomaterial und wirkt sich auf den menschlichen Körper nicht negativ aus? Materialien müssen langfristig mit dem menschlichen Körper verträglich sein, um das Prädikat „biokompatibel“ zu erhalten. Die Auflagen sind streng. Für Ingenieure ist die Entwicklung funktionaler, biokompatibler Werkstoffe deshalb immer eine Herausforderung.

Insbesondere die Schnittstelle zwischen Implantat und Gewebe ist von besonderer Bedeutung. An diesem Übergang muss beispielsweise bei Stents in der Kardiologie das zum Wiederverschließen des Gefäßes führende Gewebewachstum unterbunden werden, während es bei Hüftendoprothesen oder anderen lasttragenden Implantaten mit Knochenkontakt gefördert wird. Der Werkstoff muss dem biologischen Material zum Beispiel hinsichtlich Elastizitätsmodul und Festigkeit ähnlich sein, um sich in den menschlichen Organismus zu integrieren. Die körperfremden Stoffe sollen das Immunsystem möglichst nicht reizen, damit sie keine Entzündungen verursachen und nicht abgestoßen werden.
Verwendete Materialien sind vor allem Edelmetalle, Kunststoffe und Keramiken. Eine andere Möglichkeit ist es, das Implantat mit einer bioverträglichen Schicht zu überziehen. Hierzu kann man beispielsweise Hydrogele oder polyionische Schichten einsetzen, welche vorab integrierte, entzündungshemmende Wirkstoffe langsam abgeben. Ein anderer Weg ist das Herstellen von Knieknorpel aus entnommenem körpereigenem Gewebe, das im Labor zu implantierbarem Material heranwächst.
Auf das Thema Werkstoffe hat sich der Hochschulcampus Tuttlingen der Hochschule Furtwangen spezialisiert. Hier werden im Studiengang Industrial Materials Engineering Fachkräfte auf dem Gebiet der Werkstofftechnik ausgebildet. Medizintechnik, Maschinenbau/Fertigungstechnik und Elektrotechnik sind die Tuttlinger Kernbranchen. Diese haben einen wachsenden Bedarf an hochqualifizierten Ingenieuren. In Tuttlingen wird seit 2009 eine neue und in dieser Art bundesweit einmalige Form der Kooperation zwischen Hochschule, Wirtschaft und Staat gelebt. Dafür wurde eigens der Hochschulcampus Tuttlingen Förderverein e. V. gegründet, dem rund 100 Unternehmen der Region angehören.
„Werkstoffe unterliegen ständigen Veränderungen“, erklärt Harald Stallforth, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Aesculap AG. „Wir haben eng mit der Hochschule zusammen gearbeitet und die spezifischen Inhalte für zukünftige Werkstofftechnik-Ingenieure gestaltet, die in der Industrie benötigt werden.“ Einen besonderen Technologietransfer erhoffen sich die Tuttlinger Unternehmen durch die Forschungstätigkeiten, die der dritte Standort der Hochschule Furtwangen aufbaut.
In seiner Dissertation bearbeitet beispielsweise Tiago Soares seit dem Sommersemester 2011 das Thema intelligente Werkstoffe. Der 29-jährige Brasilianer ist der erste Doktorand am neu gegründeten Campus. Sein Thema ist die Beschaffenheit von Oberflächen. Durch Mikro- und Nanostrukturen kann eine bessere Biokompatibilität für medizinische Implantate erreicht werden, da sie vermehrtes, körpereigenes Zellwachstum fördern. Sie werden vom Körper besser akzeptiert und seltener abgestoßen. Das ist vor allem in der Orthopädie von besonderer Bedeutung. Denn der Markt für Implantate mit solchen Strukturen ist riesig: Allein in der Orthopädie und Traumatologie kommen heute in Deutschland rund 150 000 Hüftendoprothesen und 100 000 Knieendoprothesen zum Einsatz.
In seinem Projekt untersucht Soares die komplexen Mechanismen der Keimbildung sowie das Wachstum anorganischer Stoffe auf polykristallinen Substraten. „Wir entwickeln Grundwissen über die Oberflächen verschiedener Materialien“, erklärt der Werkstoffspezialist. „Ziel ist es, Mikro-Nanostrukturen durch galvanische Prozesse herzustellen, die ihre Oberfläche verändern.“ Daraus sollen weitere Strategien und Vorgehensweisen erarbeitet werden. Studien anderer Institute konnten in Experimenten Oxidschichten bereits auf bis zu 40 µm anwachsen lassen. Das ist beträchtlich, wenn man sie mit den 3 bis 4 µm dicken natürlichen Schichten vergleicht, die bei anderen Methoden spontan entstehen.
Durch den Galvanisierungsprozess kann die Beschaffenheit von Oberflächen – wie Härte, Haftfähigkeit, Struktur, katalytische Eigenschaften und Reibungseffekte – verändert werden. Insbesondere durch die Einfachheit dieses Verfahrens könnte es, mit Blick auf wirtschaftliche Aspekte, zu einer breiten Anwendung kommen. Davon haben nicht nur die Patienten, sondern auch die Krankenkassen und Versicherungen etwas. Eingriffe werden durch intelligente Werkstoffe schonender für den Menschen und ersparen häufig Folgeeingriffe. Das Gesundheitssystem profitiert von geringeren Kosten.
Svenja Bödecker Fachjournalistin in Stuttgart
Oberflächenbeschaffung beeinflusst die Biokompatibilität medizinischer Implantate

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  • Intelligente Werkstoffe
  • Oberflächenbeschaffenheit
  • Biokompatibilität
  • Studiengang Industrial Materials Engineering
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