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„Interaktiver Navigator führt Roboterarm bei Bedarf auch nach“

Sensorik: Medizinroboter könnten im OP assistieren
„Interaktiver Navigator führt Roboterarm bei Bedarf auch nach“

Integriert man ein medizinisches Navigationssystem in einen Roboter, kann dieser dem Chirurgen interaktiv assistieren, sagt Dr. Jürgen Wahrburg vom Zentrum für Sensorsysteme der Universität Siegen. Zittern oder ausrutschen wird er dabei nicht.

Dr. Wahrburg, was können Roboter im OP heute leisten?

Sie können die Sicherheit und Reproduzierbarkeit chirurgischer Eingriffe erhöhen, der grundlegende Funktionsnachweis ist durch erfolgreiche klinische Versuche erbracht worden. Ganz wichtig dabei ist aber folgendes: Die vollautomatische Arbeitsweise der ersten Roboter im OP, die im Bereich der Hüftendoprothetik zum Einsatz kamen, war nicht zielführend. Unser Ansatz ist es, den Wunsch nach einem interaktiven System zu erfüllen, das den Chirurgen bei der Arbeit unterstützt – so wie schon Ende der 90er Jahre gefordert. Unterscheiden muss man dabei zwischen Telemanipulatoren auf der einen und Robotern auf der anderen Seite.
Können Sie uns den Unterschied kurz erläutern?
Der Roboter zeichnet sich durch seine programmgesteuerte Bewegung aus. Auf Basis einer präoperativen Planung wird dazu ein Programm erstellt und im Speicher hinterlegt. Im Gegensatz dazu ist ein Telemanipulator ein System, das die Bewegungen des Operateurs skaliert und ausführt. Ein auch wirtschaftlich erfolgreiches Beispiel hierfür ist das Da-Vinci-System von Intuitive Surgical, das ursprünglich für die Kardiologie gedacht war, nun aber vor allem bei Prostataoperationen eingesetzt wird. Der Trick dabei: Bei diesem minimal-invasiven Eingriff lassen sich sehr kleine Instrumente sicher führen, da die Bewegungen des Arztes sinngemäß untersetzt und gefiltert werden.
Wo ist der Roboter erfolgreich?
Beispielsweise im Bereich der Radiologie. Dort lassen sich stationäre Bestrahlungs-Systeme nur bedingt genau einstellen. Accuray hat deshalb die Bestrahlungseinheit an einem Roboter befestigt. Dieses so genannte CyberKnife-System besitzt wie der zugrundeliegende Knickarmroboter sechs Freiheitsgrade, so dass die Bestrahlung präziser erfolgen kann.
Wie wird der Roboter interaktiv?
Wir wollen den Operateur nicht ersetzen, sondern ihn bei den Arbeitsschritten unterstützen, bei denen die menschliche Wahrnehmungsfähigkeit und das menschliche Geschick Grenzen setzen. Unser Ziel ist also ein universeller chirurgischer Assistenzroboter. Die Grundidee ist, ein medizinisches Navigationssystem zu integrieren, so dass sich die räumliche Lage der chirurgischen Instrumente erfassen und auf einem Bildschirm darstellen lässt.
Und an dieser Stelle kommt die Sensorik ins Spiel?
Genau. Um das zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf den Arbeitsablauf oder Workflow. Zunächst muss vor der Operation geklärt werden, was zu tun ist. Meistens werden dazu bildgebende Verfahren eingesetzt, anschließend kennt man die Koordinaten des Eingriffs – im Bild! Während der Operation muss man nun diese Stelle beim Patienten wiederfinden. Am einfachsten gelingt dies mit Hilfe künstlicher oder gut identifizierbarer anatomischer Landmarken, etwa an den Wirbelfortsätzen. Diese Transformation zwischen dem Koordinatensystem vor und während der Operation ist eine Navigationsaufgabe. Diese lösen wir mit Hilfe von optischen 3D-Digitalisiersystemen, so dass wir stets genau sagen können, wo sich das jeweilige Instrument befindet. Dieses muss dabei auch über entsprechende Sensorelemente zu erkennen sein.
Welche Probleme sind zu bewältigen?
Vor allem das Line-of-Sight-Problem, also die Situation, bei der entweder ein Mensch oder ein Gerät der Kamera im Weg steht. Lösen lässt sich das bislang im Wesentlichen nur über eine gute Planung des Eingriffs und des Geräteaufbaus im OP. Dennoch suchen wir natürlich nach praxistauglichen Alternativen, die aber bislang nicht zu erkennen sind. Eine Variante wäre der Einsatz elektromagnetischer Systeme. Nachteilig ist aber, dass diese eine angepasste Umgebung – inklusive spezieller chirurgischer Instrumente – benötigen, um Störungen der Magnetfelder und fehlerhafte Messwerte zu vermeiden. Solche Systeme arbeiten nur unter besonderen Randbedingungen zuverlässig.
Verwenden Sie weitere Sensoren, um Assistenzroboter aufzubauen?
Ja, denn der Roboterarm ist zunächst eine mechatronische Ergänzung des Navigationssystems – ein intelligenter Instrumentenhalter, mit dem sich chirurgische Werkzeuge führen und positionieren lassen. Bauen wir nun einen Kraft-Momenten-Sensor am Flansch ein, kann der Operateur den Roboterarm interaktiv führen.
Welche Vorteile ergeben sich daraus?
Es lassen sich verschiedene Betriebsmodi umsetzen. Zum einen kann der Roboter die von ihm geführten Instrumente durch Kommandos über die Benutzeroberfläche am Steuerungscomputer automatisch sehr exakt in die programmierten Stellungen bringen. Zum anderen lässt sich der Roboter über den 6-dimensionalen Kraft-Momenten-Sensor nun aber auch haptisch führen. Dazu fasst der Chirurg einen am Sensor befestigten Handgriff, drückt eine Zustimmungstaste und kann auf diese Weise den Roboter direkt in die gewünschte Richtung bewegen. Dennoch lässt sich bei Bedarf auf den programmgesteuerten Bewegungsmodus umschalten – etwa um den Arm vorübergehend aus dem Weg zu fahren, ihn anschließend aber wieder genau in diese Ausgangsstellung zu bringen. Außerdem ist es bei der haptischen Führung möglich, die Roboterfreiheitsgrade so zu beschränken, dass das geführte Instrument nicht in „verbotene Bereiche“ gelangen kann. Welche Bereiche erlaubt sind, wird präoperativ festgelegt. Möglich ist auch, die Bewegungsmöglichkeiten so einzuschränken, dass sich beispielsweise ein Bohrer nur noch in Arbeitsrichtung bewegen lässt.
Ein Zittern oder Ausrutschen lässt sich also verhindern?
Genau – und wir können noch einen Schritt weitergehen: zur Nachführung bei kleinen Patientenbewegungen. Lässt sich der Operationsbereich nicht rigide fixieren, kommt es zu kleinen Bewegungen während der Operation. Das von uns entwickelte Modi-CAS-System lässt sich dann online nachführen – damit sich die Ausrichtung zum Patienten nicht verändert. Um solche Bewegungen zu erfassen, benötigen wir wiederum Referenzgeber, etwa an einer knöchernen Struktur. Auf diese Weise können wir die Bewegungen messen und über einen Nachführalgorithmus neue Sollwerte für die Gelenkstellungen berechnen.
Michael Corban Fachjournalist in Nufringen

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