An der Lübecker Universität gibt es seit 2015 ein Institut, das sich speziell mit elektrotechnischen Aspekten der Medizintechnik befasst. Ein Schwerpunkt ist das Entwickeln und Erproben ganzheitlicher Regelungssysteme, auch im Auftrag von Firmen.
Das neue Institut für Medizinische Elektrotechnik (IME) an der Lübecker Universität leitet Prof. Dr. Philipp Rostalski. Der studierte Elektrotechniker beschäftigt sich unter anderem mit Assistenzsystemen im Bereich der Steuerung und Regelung von Beatmungsgeräten. „Die Regelkreis-Prinzipien unserer Arbeit lassen sich aber auf alle medizinischen und technischen Bereiche anwenden“, erläutert der 37-Jährige.
Rostalski und sein Team modellieren mit mathematischen Methoden technische und physiologische Systeme. Ziel ist es, Verfahren zu entwickeln, mit denen man auch komplexe, dynamische Systeme optimal regeln kann. Solche Regelungsverfahren umfassen insbesondere Software, Sensoren und Aktuatoren. Die so gesteuerten Systeme können sich ständig an neue Gegebenheiten anpassen sowie sich selbst jederzeit „nachregeln“ und dabei in gewissem Sinne lernen.
Der auf Mess- und Regelungstechnik ausgerichtete Lehrstuhl soll vor allem anwendungsorientierte Forschung ermöglichen. Daher arbeitet das Institut auch eng mit Industrieunternehmen zusammen – so auch mit dem Medizin- und Sicherheitstechnikhersteller Drägerwerk AG & Co. KGaA, Lübeck. Neben der Jürgen-Wessel-Stiftung und dem Land Schleswig-Holstein finanziert Dräger das IME und stellt für fünf Jahre zusätzliche Räumlichkeiten auf dem Werksgelände. „Sowohl Industrie als auch Studierende sollen von der engen Zusammenarbeit profitieren“, betont Rostalski.
Seinen dynamischen Regelungsansatz vergleicht der ehemalige Prokjektleiter Mechatronik bei Dräger gern mit Assistenzsystemen im Automobilbereich: „Ein Antiblockiersystem – kurz ABS – oder die Elektronische Stabilitätskontrolle – ESP – im Auto werten kontinuierlich aus, was Fahrwerk und Bremse gerade tun, um dann im richtigen Moment eingreifen und nachregeln zu können. Unsere Modelle sind allerdings deutlich komplexer. Sie haben eine große Zahl von unsicheren Parametern zu berücksichtigen und in die Regelung zu integrieren.“
Diese Modelle und Verfahren helfen in der Praxis dem dynamischen System „Mensch“, zum Beispiel wenn es um die automatische Überwachung der Körpertemperatur bei einer Operation geht. „Vorstellbar und mit unseren Methoden relativ leicht realisierbar wäre es, eine automatische unterstützende Temperaturregelung in eine neue Generation von OP-Tischen einzubauen“, veranschaulicht der Regelkreis-Experte konkrete Anwendungsperspektiven seiner Forschung.
Mit der am IME entwickelten Technologie können auch die erweiterten Regelungsprozesse „am Menschen“ optimiert werden, etwa wenn entsprechend geregelte Überwachungsgeräte oder chirurgische Instrumente sich automatisch bestmöglich auf eine veränderte Lage – zum Beispiel während einer Operation – einstellen. „Für solche Assistenzsysteme und andere Robotik- oder Mechatronik-Anwendungen sind diese Verfahren wie geschaffen“, erklärt Rostalski.
Auch die rein technischen Regelprozesse können mit seinem Ansatz verbessert werden: Etwa, wenn es in der Labordiagnostik um die effizienteste Lösung geht, um Geräte für automatisierte Labortests möglichst störungsfrei zu steuern und zu regeln. Darüber hinaus ermöglichen die Algorithmen des IME-Teams auch die realistische Simulation von Medizingerätetests, so Rostalski: „Ein ganzheitliches Simulationssystem für die menschliche Atmung befindet sich derzeit in der Entwicklung. Es hilft unseren Industriepartnern beim Entwerfen und frühzeitigen Testen neuer Beatmungsalgorithmen.“ nu
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