Startseite » Allgemein »

Hürdenlauf durch die Bürokratie

Einfuhrbestimmungen: Registrierung von Medizinprodukten in Russland ist aufwendig
Hürdenlauf durch die Bürokratie

Wer in Russland deutsche Medizintechnik verkaufen will, benötigt neben einem überzeugenden Produkt vor allem zwei Dinge: Geld und Geduld. Denn bevor das Ziel mit dem GOST-R-Konformitätszertifikat winkt, sind zahlreiche Hürden zu nehmen.

„Sie brauchen in Russland einen sehr, sehr langen Atem“, sagt Hendrik Heitland, Exportmanager für Osteuropa bei Meyra-Ortopedia. Das nordrhein-westfälische Unternehmen, das vor acht Jahren in Moskau eine GmbH gegründet hat, importiert Rollstühle: vom Standardmodell bis zum mit vielen Optionen ausgestatteten Elektrorollstuhl für 14 000 Euro. Registrierung und Zertifizierung heißen die Hindernisse, die dem schnellen Markteintritt im Wege stehen – und nach Heitlands Erfahrung ziemlich nervenaufreibend sein können. Dabei ist vor allem die Registrierung eine sportliche Höchstleistung, für die Russland-Neulinge in der Regel einen erfahrenen Trainer an ihrer Seite benötigen.

Zertifiziert werden müssen neben Medizintechnik, Medizinprodukten und Arzneimitteln unter anderem auch Messtechnik und Messgeräte, Erzeugnisse des Maschinenbaus und der Elektrotechnik, Elektronik, medizinische Möbel oder Verpackungen. „Große Firmen wie Siemens oder Philips haben Niederlassungen, eigene Leute: Da läuft schon alles automatisch“, sagt Elena Schröder, Expertin für die Zulassung von Medizinprodukten in der Russischen Föderation bei der Eurocat GmbH. Wer hingegen Unterstützung braucht, kann sich an eines der deutschen Dienstleistungsunternehmen und Prüfinstitute wenden, die sein Unternehmen über die gesamte Strecke begleiten und sich um einen möglichst glatten Ablauf des Rennens kümmern.
Um das langwierige Prozedere selbst in Angriff zu nehmen, sollte man nicht nur die russische Sprache perfekt beherrschen, sondern auch die russische Mentalität gut kennen, weiß Marina Koggelmann vom DIN GOST TÜV Berlin-Brandenburg. Keine Zertifizierung ohne vorherige Registrierung: „Und das ist das Hauptproblem für alle Medizinprodukthersteller, die Exporte nach Russland tätigen“, sagt die autorisierte GOST-Epertin. Es genügt nicht, Dokumente zusammenzutragen und übersetzen zu lassen – es ist auch jemand nötig, der sich vor Ort in Russland darum kümmert, dass die Registrierung vorankommt, der in Kontakt mit den Behörden steht und bei den dafür akkreditierten Stellen die erforderlichen Prüfungen veranlasst. Denn die ausländischen Medizinprodukte werden in Russland klinisch und toxikologisch erprobt sowie auf ihre technische Sicherheit überprüft. Die zentrale Registrierungsstelle befindet sich im russischen Gesundheitsministerium.
„Man braucht auf jeden Fall einen Repräsentanten in Russland“, sagt Elena Schröder von Eurocat. Den sollte man sich freilich gut aussuchen, raten die Expertinnen für die Zulassung von Medizintechnik. Sonst könne es nämlich geschehen, dass der freundliche Helfer aus Russland plötzlich mitsamt den kompletten Registrierungsunterlagen verschwunden ist oder dem deutschen Hersteller seine Bedingungen aufzwingt und etwa die alleinigen Vertriebsrechte für sich beansprucht. Wer mithilfe seines Vertriebspartners ans Ziel gelangen will, sollte daher darauf achten, dass Registrierung und Zertifizierung auf den Namen des deutschen Herstellers ausgefertigt und ihm auch direkt zugestellt werden.
Deutsche Dienstleister arbeiten mit russischen Partnerfirmen zusammen. „Das sind zugelassene Expertenstellen, die von uns die Unterlagen erhalten, mit denen wir dann Angebote einholen und für die Registrierung notwendige Prüfungen anleiten und begleiten“, erklärt Marina Koggelmann. Erfahrungsgemäß könne es ein halbes bis ein Jahr dauern, bevor man schließlich die notwendigen Unterlagen beisammen hat: „Das ist eine Hürde.“ Hinzu kommt die Zeit, die es dauert, bis der Registrierungsantrag mit allem Drum und Dran bearbeitet und genehmigt ist. Dies solle zwar nicht länger als zwei Monate beanspruchen, in der Praxis dauere es aber zurzeit wesentlich länger: Von bis zu zehn Monaten ist die Rede.
Neben Zeit kostet die Registrierung auch Geld. Wie viel genau, lässt sich im Voraus schwer abschätzen. Wer möchte, dass autorisierte Fachstellen das Ganze in die Hand nehmen, muss mit 10 000 Euro rechnen. Mindestens, einschließlich der Gebühren beim russischen Gesundheitsministerium. Je nach Antrag können es laut Marina Koggelmann aber auch 25 000 oder gar 35 000 Euro werden. Werde ein Produkt nicht verändert, dann sei die Registrierung dafür aber inzwischen auch unbegrenzt gültig, erklärt Elena Schröder: Zuvor habe sie alle fünf oder zehn Jahre erneuert werden müssen. Zu beachten sei auch, dass in Russland, anders als in Deutschland, etwa auch In-vitro-Diagnostika oder Laborgeräte und -möbel für Dentalla-bore unter die Medizinprodukte-Richtlinie fallen. Außerdem sei momentan pro Modell oder Produktbezeichnung eine extra Registrierung erforderlich, heißt es von sachkundiger Stelle. Dies treffe vor allem Kunden mit ganzen Produktkatalogen, etwa für Dentalinstrumente. Anders ausgedrückt: Ein Dental-Katalog mit 50 Produkten könnte 50 Registrierungen bedeuten.
Nadja Petersen-Härter von der EWC Export & Consulting GmbH rät denn auch dringend dazu, vor einem Markteintritt in Russland eine Machbarkeitsstudie zu erstellen. „Wir kennen die Tücken und Schwierigkeiten des russischen Marktes und wissen, wie man nur mühsam korrigierbare Einstiegsfehler vermeiden kann“, sagt die Expertin für den Vertrieb von Medizintechnik nach Russland.
Die Mühlen der Bürokratie mahlen nach eigenen Gesetzen. Hält ein Unternehmer endlich die Registrierungsbescheinigung in Händen, ist das Schwierigste geschafft. Nun kann das Produkt zertifiziert werden und erhält das GOST-R-Konformitätszeichen: Es bescheinigt die Übereinstimmung mit den russischen Normen und Vorschriften. Damit ist der Weg auf den russischen Markt frei. 700 bis 1000 Euro kostet die jährliche Zertifizierung pro Produktgruppe, sagt Elena Schröder. Man könne aber auch über die Fertigungsüberwachung gehen: Wer die Herstellung jährlich durch einen Auditor überwachen lässt, erhält GOST-R-Zertifikate, die drei Jahre gelten.
Nur Stellen, die durch die Föderale Agentur für Technische Regulierung und Metrologie – Rostechregulirovanije, vormals Goststandart – akkreditiert sind, dürfen die Zertifizierung selbst vornehmen. Dazu zählen in Deutschland der DIN GOST TÜV Berlin-Brandenburg oder die SGS Société Générale de Surveillance Holding (Deutschland) GmbH.
Bettina Gonser Freie Journalistin in Stuttgart

Ihr Stichwort
Aktuelle Ausgabe
Titelbild medizin technik 2
Ausgabe
2.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Titelthema: PFAS

Medizintechnik ohne PFAS: Suche nach sinnvollem Ersatz

Alle Webinare & Webcasts

Webinare aller unserer Industrieseiten

Aktuelles Webinar

Multiphysik-Simulation

Medizintechnik: Multiphysik-Simulation

Whitepaper

Whitepaper aller unserer Industrieseiten


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de