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Hilfe für Parkinson-Patienten

Sensorschuh: Bewegungsanalyse mit intelligenter Software
Hilfe für Parkinson-Patienten

Hilfe für Parkinson-Patienten
Langzeitbeobachtung: Das Sensorsystem im Schuh misst Bewegungsdaten, die später von Ärzten ausgewertet werden können Bild: © iStockphoto.com/_nicolas
Ein Arzt, der Parkinson diagnostiziert, muss sich bisher vor allem auf seine Erfahrung verlassen. Das Softwarehaus Astrum IT arbeitet an einem Sensorschuh, der die Symptome von Parkinson-Patienten an ihrem Gang erkennt. So lassen sich Informationen aus dem Alltag der Patienten erheben.

Das Zittern kommt erst, wenn schon längst mehr als die Hälfte der Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen zerstört sind: Schleichend funktionieren die Hände beim Kämmen und Schuhe binden nicht mehr so wie sie sollen. Auch der Gang verändert sich – und das gibt den Ärzten wichtige Hinweise bei der Diagnose: Morbus Parkinson. „Bei dieser neurologischen Erkrankung kommt es zu einem fortschreitenden Untergang von Nervenzellen in einer bestimmten Hirnregion“, erklärt Dr. Jochen Klucken, Oberarzt in der Abteilung Molekulare Neurologie am Universitätsklinikum Erlangen. Die Ursache ist noch weitgehend unbekannt und eine ursächliche Therapie existiert noch nicht. Nur so viel ist klar: Weil die Nervenzellen absterben, die Dopamin produzieren und vor allem Bewegung steuern, kommt es langfristig zu den typischen Beschwerden wie Bewegungsarmut, Muskelsteife, Zittern und vor allem zu einem unsicheren Gang.

Bei der Diagnose und Einstufung der Krankheitsstadien müssen sich die Neurologen bisher auf ihre Erfahrung und subjektive Untersuchungsmethoden verlassen. Denn es fehlt an objektiven, messbaren Krankheitskriterien. „Die Parkinson-Diagnose ist bislang eher subjektiv und entsteht häufig aus einer Momentaufnahme“, erklärt Chantal Herberz, Produkt-Managerin Gesundheitswesen beim Softwarehaus Astrum IT in Erlangen. Astrum IT arbeitet deshalb zusammen mit Wissenschaftlern der Molekularen Neurologie und des Lehrstuhls für Mustererkennung (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) an einem Sensorschuh, der den menschlichen Gang analysiert und so bereits frühzeitig Hinweise auf eine Parkinson-Erkrankung liefern kann. „Unser Gang ist intuitiv und unverfälscht: Er lässt sich nicht so bewusst steuern wie eine Armbewegung und ist daher sehr gut für die Krankheitsbeurteilung und Diagnostik geeignet“, erklärt Herberz.
Die Software-Spezialisten forschen in enger Absprache mit Ärzten und Therapeuten am Universitätsklinikum Erlangen am Sensorschuh. „Wir freuen uns natürlich sehr, so eine Hilfe an die Hand zu bekommen“, erklärt Klucken. Denn ein Sensorsystem könnte Gangveränderungen viel früher detektieren als das menschliche Auge dies jemals vermag. „Ein Morbus Parkinson ließe sich objektiv und nach besser vergleichbaren Kriterien beurteilen“, so der Neurologe. Der Einsatz des Sensorschuhs wird derzeit vor allem im Hinblick auf die Beurteilung des Krankheitsverlaufs und auf die Wirksamkeit unterschiedlicher Therapieansätze getestet: Langfristig könnte er auch bei der Früherkennung helfen und eine zeitigere Diagnose der Erkrankung ermöglichen.
In diesem Forschungsprojekt ist das exakte Messen der Daten die eine Herausforderung, die Auswertung die andere. Hier kommen die mathematischen Methoden der Signalanalyse ins Spiel, an denen am Lehrstuhl für Mustererkennung gemeinsam mit Astrum IT geforscht wird. Diese Methoden setzen eine gute Datengrundlage voraus. Mittlerweile haben mehr als 600 Menschen – Patienten und gesunde Kontrollpersonen – den Schuh getragen und standardisierte Tests zur Parkinson-Diagnose damit durchgeführt: Sie mussten zum Beispiel zehn Meter mit und ohne Pause gehen, auf der Stelle treten oder mit ihrer Fußspitze einen Kreis zeichnen. „Aus diesen Ergebnissen und vergleichenden Analysen konnten unsere Experten sukzessive Schlüsse ziehen, welches Gangmuster auf welches Krankheitsstadium hindeutet“, erklärt Herberz. Dafür nutzten sie auch die Diagnosestellungen der Ärzte, verglichen sie mit den gemessenen Bewegungen und gestalteten das System allmählich immer präziser. Ärzte nutzen das System, um Krankheitsbild und -stadium noch besser einschätzen zu können.
Doch nicht nur bei der Diagnose, sondern auch bei der Erfassung von Langzeitdaten könnte der Sensorschuh nützlich sein. Die Patienten werden den Schuh beispielsweise im Alltag tragen, und die Ärzte können den Gang so über einen längeren Zeitraum beobachten. „Gerade bei Parkinson ist das ein wichtiger Aspekt“, erklärt Klucken, „denn die Symptome schwanken je nach Tagesform, Einfluss von Medikamenten und Umweltfaktoren.“
Solch ein Monitoring über längereZeit wäre auch für andere Anwendungen denkbar: „Objektive Sensorikdaten, wie sie hier ermittelt werden, könnten nicht nur bei neurologischen Erkrankungen hilfreich sein, sondern bei allen Arten von Bewegungserkrankungen. Dazu zählen Muskelerkrankungen oder Gelenksverletzungen, bei denen ein Mediziner den Heilungsverlauf oder den Effekt einer Therapie überprüfen möchte“, sagt Prof. Björn Eskofier, der am Lehrstuhl für Mustererkennung zusammen mit den Partnern diese Forschungsaufgaben angeht. Aber auch gesunde Menschen könnten von einer Ganganalyse zur Prävention von Bewegungsstörungen profitieren. Die Wissenschaftler haben viele Ideen, wie sie ihre Sensortechnik noch einsetzen könnten. Diese Ansätze entwickeln sie in Gesprächen mit Partnern in der Region weiter. „Uns sind Austausch und Kontakt zu anderen Experten auf unserem Gebiet sehr wichtig“, erklärt Herberz. Dafür biete ihnen die Bayern Innovativ GmbH eines der zentralen Netzwerke.
Seit Jahren ist Astrum IT deshalb auch Mitglied im Forum MedTech Pharma e.V.. „Das Thema IT-Vernetzung findet dort immer mehr Beachtung, auch das Vernetzen von Gesundheitsdienstleistern, etwa zwischen Arztpraxen oder zwischen niedergelassenen Ärzten und dem Krankenhaus“, so Herberz. Das ist ein Trend, der immer komplexeren Krankheitsbildern und der zunehmenden Subspezialisierung in der Medizin Rechnung trägt. Deshalb arbeitet das rund 150 Mitarbeiter starke Softwareunternehmen an einer entsprechenden Integrationsplattform, um weitere Anwendungen im Gesundheitswesen abzubilden.
Weitere Informationen Dr. Jochen Klucken wird auf dem Kongress Medizin Innovativ – MedTech Pharma 2014 in der Reihe „Digital Prevention & Care“ einen Vortrag über „Emerging Fields: Individualisierte Diagnostik und Therapie in Bewegung“ halten. Astrum IT ist in der Ausstellung mit einem Stand vertreten. www.medtech-pharma.de

Ihr Stichwort
  • Parkinson-Diagnostik
  • Sensorschuh für Früherkennung
  • Aufzeichungs- und Auswertesystem
  • Langzeitbeobachtung
  • IT-Vernetzung

  • Vom Projekt zum Diagnosesystem

    3489799

    Das Projekt „eGaIT“ (embedded Gait analysis using Intelligent Technology), an dem Astrum IT, das Universitätsklinikum Erlangen, Abteilung für Molekulare Neurologie, Spezialambulanz für Bewegungsstörungen sowie die Friedrich- Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Lehrstuhl für Mustererkennung (Informatik 5) beteiligt sind, wird von der Bayerischen Forschungsstiftung gefördert. Das Projekt ist auf drei Jahre ausgelegt, Start war im Frühjahr 2012.
    Noch ist der Sensor am Prototyp deutlich sichtbar an der Außenseite des Schuhs befestigt, später wird er aber im Inneren – vermutlich in der Sohle – verschwinden. „Wir haben uns für einen Inertialsensor entschieden, der Bewegungsparameter wie Drehwinkel und Beschleunigung registriert“, erklärt Chantal Herberz von Astrum IT. Ähnliche Sensoren sind beispielsweise auch in einem Smartphone integriert.
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