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Hartstoffschichten kommen – aber damit ist noch nicht Schluss

Implantatoberflächen: Fortschritt bei Beschichtungen und Mikrostrukturen
Hartstoffschichten kommen – aber damit ist noch nicht Schluss

Infektionen verhindern, den Halt im Knochen verbessern und die Dauerfestigkeit steigern: Das sind die Ziele für Implantat-Hersteller. Welche Rolle die Oberflächen dabei spielen, erläutert Synthes-Entwickler Dr. Götz Thorwarth.

Herr Dr. Thorwarth, welche Bedeutung hat die Oberfläche heute für ein Implantat?

Die Oberflächen und ihre Variationsmöglichkeiten sind in der Implantatweiterentwicklung das Feld, das wir noch lange nicht ausgereizt haben. Für die Beschichtung haben wir eine Reihe ausgereifter Technologien und stehen nun vor der Aufgabe, diese für die Medizin nutzbar zu machen. Darin stecken viele Möglichkeiten, aber auch Gefahren.
Um welche Chancen und Risiken geht es?
Mit Beschichtungen können wir die Eigenschaften des Basis-Materials völlig zurücktreten lassen. Ein Beispiel ist eine inerte Schicht, die für Verschleißschutz am Gelenk sorgen soll. Man muss jedoch berücksichtigen, dass an den Grenzen zwischen Schichten unerwartete Effekte auftreten können, sich die Schichten im Körper sogar voneinander lösen.
Gibt es dafür ein aktuelles Beispiel?
Diamantähnliche Kohlenstoffbeschichtungen, diamond-like carbon oder kurz DLC, sind in der Industrie bewährt und wurden auch für Implantate genutzt. Allerdings traten mit bestimmten Produktserien Probleme auf, die Schichten delaminierten und die Revisionsrate stieg auf bis zu 50 Prozent nach acht bis zehn Jahren – was sehr viel ist. Wir haben nach der Ursache geforscht: Die Zwischenschicht aus Silizium war im Körper unter gewissen Bedingungen nicht stabil.
Ist DLC für Implantate damit vom Tisch?
Auf die guten Eigenschaften von DLC wollen wir nicht verzichten. Daher haben wir nach Alternativen gesucht und ein neues Zwischenschichtsystem entwickelt und patentiert. Es basiert auf Tantal und wird unter bestimmten Bedingungen verarbeitet. Die Technologie haben wir im Griff, es ist allerdings noch kein entsprechendes Produkt auf dem Markt.
Wie sollten Implantat-Oberflächen denn am besten aussehen?
Es gibt eine Reihe von Untersuchungen zur Oberflächenenergie – also den chemischen Eigenschaften – und der Oberflächenstruktur und ihrem Einfluss auf Einheilung, Haltbarkeit und Revisionsraten bei Implantaten. Beide spielen im medizinischen Einsatz zusammen. Die veröffentlichten Ergebnisse weisen aber zum Teil in entgegengesetzte Richtungen. Nachweisbar ist, dass an glatten Oberflächen weniger Bakterien anhaften. Umgekehrt besiedeln Knochenzellen die Implantate besser, wenn diese einen gewissen Grad von Rauigkeit aufweisen. Bei Implantaten, die nur so lange im Körper bleiben sollen, bis der Knochen verheilt ist, ist eine Besiedelung aber nur bedingt erwünscht. Da das Umfeld so komplex ist, erheben wir hierzu auch eigene Daten. Demnach sollten raue Oberflächen nicht zu viele Anrisse haben, denn diese senken die Dauerfestigkeit des Implantats. Eine einfache Antwort zur optimalen Oberfläche gibt es also nicht.
Welche Rolle spielen Mikrostrukturen?
Das ist ein interessantes Feld. Allerdings ist die Situation heute so, dass zum Beispiel eine anodisierte Oberfläche viel zu rau ist, um über das Aufbringen von Mikrostrukturen welcher Art auch immer nachzudenken. Die Flächen zunächst zu glätten, ist aber so aufwendig, dass solche Ansätze an der Kostenfrage scheitern. Der Einsatz von Lasern könnte für das Aufbringen von Mikrostrukturen in Zukunft aber eine Rolle spielen.
Was bietet die Nanotechnologie in Ihrem Bereich?
Es ist noch viel zu wenig darüber bekannt, wohin Nanopartikel im Körper gelangen, welche Wirkungen sie dort entfalten und wie unterschiedliche Lebewesen darauf reagieren. In dieser Situation muss ein Medizinproduktehersteller natürlich immer den worst case in Betracht ziehen – so dass wir zu dem Schluss kommen, dieses Gebiet trotz des erkennbaren Potenzials zunächst nur zu beobachten.
Wie wichtig sind biologische Komponenten auf der Implantat-Oberfläche?
Sobald es um entzündungshemmende oder andere biologisch aktive Substanzen geht, ist die Zulassung die größte Hürde. Wir haben es da mit einem Klasse-III-Produkt zu tun – und dem zugehörigen aufwendigen Prozedere mit allen Risikoabwägungen. Das ist für ein Unternehmen mit einem hohen finanziellen Risiko verbunden. Doch werden solche Lösungen von den Ärzten gewünscht, und es gibt bei Synthes einen eigenen Geschäftsbereich, der sich damit befasst.
Welche Fortschritte gibt es bei den resorbierbaren Materialien?
Bei uns werden Magnesiumlegierungen getestet. Die Schwierigkeit liegt darin, dass von Patient zu Patient die Abbaugeschwindigkeit im Körper extrem variiert. Das Ziel muss jedoch sein, dass das Implantat für die gegebene Indikation nicht zu schnell verschwindet, aber auch nicht zu lange erhalten bleiben. An den Abstimmungsmöglichkeiten zwischen Material und Indikation forschen wir aktiv.
Wird es bald individualisierte Implantate geben?
Wir sind technologisch soweit, dass man über 3D-Druck oder klassische Bearbeitung patientenindividuell geformte Implantate herstellen kann – wobei man über die mechanischen Eigenschaften generativ gefertigter Implantate im Einzelfall diskutieren müsste. Bei allen möglichen Wegen aber sprechen die Kosten dagegen. Lediglich Implantate im Gesichtsbereich sind eine Ausnahme, wo man aus kosmetischen Gründen individuelle Formen braucht. Von Beschichtungen, die an einen einzigen Patienten angepasst werden, sind wir noch viel weiter entfernt: Für die technisch ausgereiften Verfahren werden große Anlagen zur Batch-Fertigung gebaut. Eine flexible Herstellung von Unikaten wäre so viel zu teuer.
Welche Weiterentwicklungen werden die Oberflächengestaltung von Implantaten in nächster Zeit bestimmen?
DLC und andere Hartstoffschichten auf Implantaten werden kommen, erste Produkte dieser Art sind in Europa bereits auf dem Markt. Und es wird sich noch einige Zeit vieles um Strukturierungen und Beschichtungen drehen. Dafür haben wir auch schon gute technische Voraussetzungen.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Weitere Informationen Über neue Entwicklungen im Implantatbereich berichten Dr. Thorwarth sowie andere Referenten beim Fachforum des Ostbayerischen Technologie-Transfer- Instituts e.V. (Otti). In Regensburg diskutieren Fachleute und Teilnehmer am 17. und 18. September über das Thema „Funktionale Implantatoberflächen – Biointegration vs. Biofilm“. www.otti.de/veranstaltung/id/funktionale-implantatoberflaechen.html

Ihr Stichwort
  • Implantatoberflächen
  • Neue Zwischenschicht für DLC
  • Mikrostrukturierung
  • Nanotechnologie
  • Biologische Komponenten

  • Über Synthes
    Seit DePuy und Synthes im Juni 2012 zur Unternehmensfamilie Johnson&Johnson hinzukamen, ist diese der nach eigenen Angaben weltweit größte Orthopädie- und Neuro-Hersteller. DePuy Synthes vertreibt mit 18 000 Mitarbeitern und jährlich etwa 10 Mrd. US-Dollar über 30 000 Produkte in seinen Geschäftsbereichen Gelenkrekonstruktion, Trauma, Wirbelsäule, Sportmedizin, Neuro, Cranio-Maxillofazial, Antriebsmaschinen und Biomaterialien. Die Palette verwendeter Werkstoffe reicht von Titan- und Kobalt-Chrom-Legierungen und Stählen bis zu antibakteriellen Beschichtungen und resorbierbaren Knochenzementen.
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