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Halbleiter und Graphen im Dienst der Medizin

Biosensoren: Mehr Möglichkeiten auf dem Weg zum Lab-on-a-chip
Halbleiter und Graphen im Dienst der Medizin

In Biosensoren sind organische und technische Komponenten kombiniert, um selektiv bestimmte Substanzen zu messen. Forscher entwickeln das Prinzip weiter, ergänzen Software- Intelligenz oder nutzen Graphen als Basis für den Nachweis.

Das Thema Biosensoren befindet sich gerade am Anfang einer interessanten Phase: Laut Prof. Anthony Turner von der Universität Linköping, der den Kongress Biosensors im Sommer 2016 in Göteborg leitet, hat es in den vergangenen Jahren schon einige Erfolge gegeben. Aber derzeit, so sagt er, zeichne sich für Politik, Forschungsförderung und Industrie ab, dass man, um die Möglichkeiten von Big Data und Telekommunikation zu nutzen, auch große Mengen verlässlicher Daten brauche. An dieser Stelle könnten Biosensoren einen sinnvollen Beitrag leisten – sei es in Umweltfragen, bei Nahrungsmitteln oder auch in Fragen der Gesundheit.

In Biosensoren werden technische mit biologischen Elemente kombiniert. Kommt der Sensor mit einer zu messenden Substanz oder einem für die Messung anvisierten Molekül in Kontakt, reagiert der biologische Teil der Komponente speziell auf dieses Molekül und verändert sich. Mit einem geeigneten technischen Sensor im System lässt sich diese Veränderung erfassen und auslesen. Geprägt wurde die Bezeichnung „Biosensoren“ schon Ende der 70er-Jahre. Entsprechende Systeme sind mit piezoelektrischen und optischen Sensoren umgesetzt worden. Auch elektrochemische Messungen oder interferometische Nachweise sind möglich.
Aktuell arbeiten Forscher an der Weiterentwicklung solcher Sensoren. Wäre es zum Beispiel nicht praktisch, ein im Körper implantierter Mini-Sensor könnte Blutwerte messen und per Funk direkt an den Arzt übermitteln? Für Patienten, die beispielsweise regelmäßig ihre Eisenwerte kontrollieren müssen, wäre solch ein smartes und kompaktes Miniaturlabor im Blut sicherlich nützlich und eine Alternative zu Blutproben, die – nach dem Nadelstich in die Vene – zumeist im Labor analysiert werden.
Daran, dass es technisch möglich ist, eine implantierbare Mini-Lösung zu entwickeln, glaubt die Baden-Württemberg Stiftung und unterstützt daher ein Wissenschaftlerteam der Universität Ulm mit rund 500 000 Euro. Das Ziel: halbleiterbasierte „Biosensoren“ zu entwickeln. Die Ulmer Ingenieure und Naturwissenschaftler wollen in den kommenden drei Jahren an der Entwicklung optisch auslesbarer intelligenter Sensoren arbeiten, die mit Halbleiter-Strukturen auf der Basis von Galliumnitrid (GaN) und Zinkoxid (ZnO) realisiert werden sollen.
„Ein großer Vorteil solcher Sensoren be- steht darin, dass sie ohne elektrische Kontakte auskommen und daher auch in einer chemisch aggressiven Umgebung verwendet werden können“, erklärt Projektkoordinator Prof. Ferdinand Scholz vom Institut für Optoelektronik. Die Biosensoren könnten daher im Körperinneren eingesetzt werden.
Ein Beispiel für Anwendungen wäre, die Art und Menge der Metall-Kationen in Eisentransportproteinen zu bestimmen und so Eisenspeichererkrankungen frühzeitig zu erkennen und diese effektiv zu therapieren. Aber auch bei der Früherkennung der Alzheimer-Erkrankung oder bei Schlaganfallpatienten könnten die Biosensoren hilfreich sein. „Bei den genannten Erkrankungen wurden veränderte Metallkationenkonzentrationen im Blut gefunden“, sagt Prof. Tanja Weil, die an der Uni Ulm das Institut für Organische Chemie III leitet. Die Chemikerin ist im Projekt für die Funktionalisierung der Sensoroberflächen mit spezifischen Detektormolekülen verantwortlich. Sie ermöglichen es, nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip bestimmte Proteine oder DNA-Bestandteile nachzuweisen.
Für ihren Biosensor nutzen die Ulmer Wissenschaftler so genannte nitridische und oxidische Halbleiter-Nanostrukturen, die rein optisch angeregt und ausgelesen werden. Sobald spezifische Biomoleküle auf der aktiven Zone dieser Nanostrukturen binden, verändern sich Wellenlänge und Intensität einer vom Laser angeregten Lichtemission. Ein Quantenfilm nahe der Oberfläche der Halbleiter-Strukturen ist als optisch aktive Zone für diese Photolumineszenz-Effekte vorgesehen.
Ausgelesen werden unterschiedliche Lichtemissionen über kompakte Spektrometer, die im ultravioletten und im sichtbaren Spektralbereich ausreichend empfindlich sind. Ein kompakter Einplatinencomputer, beispielsweise ein Raspberry-Pi, im Sensor-Modul steuert die photoelektronischen Komponenten, die spektrale Messung sowie das Erfassen und Auswerten der Daten. Durch ein integriertes WiFi-Modul – eine Art Funksender im Kleinstformat – soll das Sensor-Modul drahtlos mit einem Server kommunizieren. Über diesen laufen komplexere Analysen, und dort werden auch die Messdaten zentral gespeichert. Mit Hilfe intelligenter Software und parallel ausgelesener Referenzproben könnte sich das Detektor-Array automatisch kalibrieren und „scharf stellen“.
Für diese smarten, kompakten und vernetzten Biosensor-Module gibt es nach Auskunft der Wissenschaftler „vielfältigste Anwendungsfelder in der Medizin, der Pharmazie und der Biotechnologie“. Das Messsystem sei flexibel und multifunktionell, sensitiv und selektiv – das mache es „zu einem idealen Diagnoseinstrument in der personalisierten Medizin und der patientennahen Labordiagnostik“. Bis dieser Hochleistungs-Biosensor im Miniaturformat seine Praxistauglichkeit beweisen kann, seien aber noch zahlreiche Untersuchungen erforderlich.
Wissenschaftler in Berlin haben ebenfalls an Biosensoren gearbeitet und die Möglichkeiten untersucht, organische Moleküle mit Hilfe von Graphen nachzuweisen. Dessen Struktur aus sechseckigen Maschen ähnelt einer Bienenwabe. An den Ecken sitzt stets ein Kohlenstoffatom – und das Ganze ist nur eine einzige Atomschicht dick, also quasi zweidimensional. Dabei ist Graphen extrem leitfähig, völlig transparent und mechanisch wie chemisch äußerst belastbar.
Dass Graphen sich grundsätzlich als hochempfindlicher Sensor zum Nachweis organischer Moleküle eignet, ist schon länger bekannt. Sobald fremde Moleküle andocken, sinkt die elektrische Leitfähigkeit des Graphens. Das Problem ist nur: Das passiert bei fast jedem Molekül, so dass verschiedene Moleküle nicht zu unterscheiden sind und das System nicht selektiv arbeiten kann.
Nun hat ein Team vom Institut für Silizium-Photovoltaik des Helmholtz-Zentrums Berlin (HZB) versucht, die Selektivität zu erhöhen: Im vergangenen Jahr gelang es den Forschern, Graphen elektrochemisch zu funktionalisieren und für die Aufnahme von Sonden-Molekülen vorzubereiten. Dafür wurden aus einer organischen Lösung para-Maleimidophenyl-Gruppen auf die Graphen-Oberfläche aufgebracht.
Diese organischen Moleküle funktionieren wie Halterungen, an die im nächsten Schritt die Sonden-Moleküle angebracht werden können. „Aufgrund dieser Moleküle kann das Graphen nun, ähnlich dem Schlüssel-Schloss-Prinzip, zur Detektion verschiedenster Stoffen verwendet werden“, erklärt Dr. Marc Gluba. Die „Schloss“-Moleküle auf der Oberfläche seien hoch selektiv und nähmen ausschließlich passende „Schlüssel“-Moleküle auf. Mit einer Quarzmikrowaage ließ sich sogar erstmals präzise und quantitativ nachweisen, wie viele Moleküle tatsächlich auf der Oberfläche des Graphens aufgebracht wurden.
„Die Hoffnungen, die sich mit Graphen verbinden, sind wirklich fantastisch“, sagt Prof. Dr. Norbert Nickel, der die Arbeitsgruppe leitet. Als Vision könne man sich zum Beispiel ein wirklich preisgünstiges „Lab on a Chip“ vorstellen, in das man einen einzigen Blutstropfen gibt und sofort Werte für medizinisch interessante Parameter erhält. op
Organische Moleküle am Graphen übernehmen die Schlüsselrolle

Kongress Biosensoren
Beim Kongress Biosensors 2016 werden die aktuellen technischen Möglichkeiten sowie Anwendungsfelder disktutiert. Fachleute aus aller Welt treffen sich dieses Jahr vom 25. bis 27. Mai im schwedischen Göteborg.

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