Startseite » Allgemein »

Good vibrations

Akustik: Schwingungsprüfung an Aerosolerzeugern sichert Qualität
Good vibrations

Mit akustischen Verfahren kann man am Klang eines Zahnarztbohrers feilen. Einsetzen lassen sich akustische Methoden aber auch in der Qualitätssicherung: Sie iden- tifizieren gute Teile schnell und zuverlässig.

Rund 300 Aerosolerzeuger fertigt die Münchner Pari Pharma GmbH pro Tag für ihre elektronischen Vernebler– und jeder einzelne von ihnen wird mit Hilfe eines akustischen Verfahrens auf seine Qualität geprüft.

Die Vernebler spielen in der Therapie von schweren Atemwegserkrankungen eine wichtige Rolle. Mit ihnen werden flüssige Medikamente in ein Aerosol verwandelt, also definierte Tröpfchen, die sich tief einatmen lassen. Eine Voraussetzung dafür ist, dass der Aerosolerzeuger mit seiner gelochten Membran fehlerfrei ist. Diese wird über ein Piezo-Element zu Ultraschall-Schwingungen angeregt. Das an der schwingenden Membran anliegende Medikament wird durch das Schwingen durch rund 3000 Löcher gepresst, die einen Durchmesser von etwa 2 µm aufweisen, und so zerstäubt.
Da an das Verneblersystem so hohe Anforderungen gestellt werden, setzt Pari auf eine 100-Prozent-Prüfung. „Diese hätte prinzipiell auch über die Prüfung der elektrischen Impedanz erfolgen können, mit der sich bestimmte Schwingungseigenschaften des Bauteils erfassen lassen“, erläutert Philipp Holzmann, Leiter der Gruppe Entwicklung Mikrosysteme bei Pari Pharma. Doch die Münchner entschieden sich für ein Compact Laser Vibrometer (CLV) der Polytec GmbH aus Waldbronn. „Dieses misst das Schwingungsverhalten des Aerosolerzeugers und erkennt so zuverlässiger und genauer, ob die Membran in Ordnung ist.“
Für die Qualitätskontrolle in der Fertigung wurde ein halbautomatischer Messplatz entwickelt. Er enthält ein Polytec-Noise-Analysis-Subsystem (PNA), das auf dem Laservibrometer basiert. Es besteht aus einer Steuereinheit und einem kompakten Messkopf mit flexiblem Lichtleiterkabel. Im Fertigungsprozess wird an jedem Aerosolerzeuger das Schwingungsverhalten der Membran berührungslos gemessen und für jede Membran das Frequenzspektrum ermittelt.
„Das Subsystem wurde von Polytec komplett geliefert und war in kurzer Zeit einsatzbereit“, berichtet Philipp Holzmann. „Aufwendiger war dagegen die Fehlermusterdefinition, bei der untersucht wurde, wie mögliche Fehler im Fertigungsprozess mit Hilfe der Schwingungsspektren zuverlässig erkannt werden können.“ Hierfür habe man rund sechs Monate benötigt, und auch heute noch würden hin und wieder neue Fehlermuster erkannt. „Treten solche auf, können wir häufig rückblickend den Fehler einer Auffälligkeit im Frequenzspektrum zuordnen und so die Fehlermusterdefinition erweitern“, erläutert der Pari-Entwickler. Die Prüfung erfolge deswegen nicht nur automatisch mit der Prüfsoftware Quick-Check, die bekannte kritische Merkmale in bestimmten Frequenzbereichen erkennt. Die Spektren würden zusätzlich einer Sichtkontrolle unterzogen, um die Fehlererkennung weiterzuentwickeln.
Im Rahmen der Qualitätssicherung prüften Laservibrometer heute auch schon Zahnarztbohrer sowie Antriebe von Blutzuckertestgeräten, wobei es sich bei letzteren um einen Körperschall-Geräuschtest handele, ergänzt Dr. Heinrich Steger, bei Polytec Leiter des Strategischen Produktmarketings. „Weiterhin werden im Bereich der Medizintechnik Messungen zum Schließ- und Öffnungsverhalten künstlicher Herzklappen, zur Körperschallemission von Hörhilfen sowie an zahnmedizinischen Therapiesystemen wie dem Ultraschall-Scaler vorgenommen.“ Im Prinzip ließen sich alle Bauteile messen, die optisch zugänglich seien oder zugänglich gemacht werden könnten, und die zudem ausreichende Rückstreueigenschaften besäßen. „Hinsichtlich Frequenzbandbreite und Auflösung gibt es keinerlei Einschränkungen“, so Steger weiter. Mechanische Schwingungen könnten bis 24 MHz gemessen und Schwingwege bis in den Picometer-Bereich aufgelöst werden. „Nahezu an allen Oberflächen kann direkt gemessen werden.“ Lediglich ideal spiegelnde oder schwarze Oberflächen könnten eine vorbereitende Oberflächenpräparation erfordern.
Am häufigsten würden akustische Qualitätskontrollen bislang im Automobilbau eingesetzt, wobei es hier vorrangig um Klangeigenschaften gehe, erläutert Lothar Schmidt, Geschäftsführer der Karlsruher MD-Pro GmbH. „In der Medizintechnik lässt sich damit der Geräuschkomfort bei vielen Produkten überwachen.“ Ein Beispiel seien Sauerstoffkonzentratoren, die bei Atemwegserkrankten im Wohnbereich betrieben würden und dort möglichst unhörbar sein sollten. Seltener sei die Prüfung eines bestimmten Schwingverhaltens, das – wie bei Pari Pharma – für die Gerätefunktion maßgeblich sei, so Schmidt weiter.
Schmidt ist zusammen mit Prof. Dr. Benno Kotterba, ebenfalls Geschäftsführer von MD-Pro, auch bei der Deutschen Gesellschaft für akustische Qualitätssicherung e.V. (DGAQS) in Karlsruhe aktiv. „Auch künstliche Gelenke lassen sich prüfen, da hier keine Schwingungen auftreten sollten, wenn die Gleitflächen fehlerfrei passen.“ Nur dann sei über den gesamten Bewegungsbereich eine konstante Hemmung, die Gleitreibung, präsent.
Welche Möglichkeiten in der akustischen Qualitätssicherung schlummern, zeigt das Beispiel der Risserkennung durch Klanganalyse, wie Lothar Schmidt berichtet. Um die Leistungsfähigkeit der Verfahren zu demonstrieren, untersuchten die Karlsruher zum Beispiel ein etwa 3 kg schweres Stahlrohr. Mit einem neu entwickelten Verfahren wiesen sie offene wie auch geschlossene Risse nach – und auch solche, die im Körperinneren versteckt und optisch nicht erkennbar waren.
Michael Corban Fachjournalist in Nufringen

Aus Expertensicht

Herr Schmidt, welche Bauteile eignen sich für die akustische Qualitätsprüfung?
Hinsichtlich der Produktgüte, die sich über ein bestimmtes Schwingverhalten messen lässt, prinzipiell alle Teile, deren Funktion auf einer „Resonanz“ oder einer erzwungenen Schwingung basiert. Geht es um die mechanische Güte, also das Erkennen von Rissen, Materialfehlern oder die Verbindungsqualität, sind dies alle Produkte, die zum resonanten Schwingen angeregt werden können. Und bezüglich des Geräuschkomforts betrifft dies natürlich alle Produkte, die ein Betriebsgeräusch verursachen.
Gibt es eine Art Bibliothek, mit der sich die Fehlermusterdefinition vereinfachen lässt?
Nein, denn dafür sind die Muster zu anwendungs- und produktspezifisch. Was wir als angenehmes Betriebsgeräusch eines Automobils empfinden, dürfte bei einem Sauerstoffkonzentrator nicht akzeptiert werden. Fehlermusterbibliotheken sind also für jeden Anwendungsfall spezifisch zu entwickeln, wobei wir von einem Zeitaufwand von etwa 10 Manntagen dafür ausgehen. Im Normalfall sollte dies heute nach etwa zwei Monaten abgeschlossen sein.
Wodurch punkten akustische Verfahren im Vergleich zu anderen Methoden der Qualitätssicherung?
In der Regel ergeben sich sehr kurze Messzeiten, was den Einsatz sehr erleichtert. Zudem sind die Sensoren in der Regel preisgünstig. Die Verfahren – insbesondere bei resonanzbasierten Prüfungen – sind außerdem robust, also unempfindlich gegenüber Umgebungseinflüssen. Sie erfordern deshalb einen relativ geringen technischen Aufwand, um sich in Produktionsumgebungen integrieren zu lassen.

Ihr Stichwort
Aktuelle Ausgabe
Titelbild medizin technik 2
Ausgabe
2.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Titelthema: PFAS

Medizintechnik ohne PFAS: Suche nach sinnvollem Ersatz

Alle Webinare & Webcasts

Webinare aller unserer Industrieseiten

Aktuelles Webinar

Multiphysik-Simulation

Medizintechnik: Multiphysik-Simulation

Whitepaper

Whitepaper aller unserer Industrieseiten


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de