Fertigungsverlagerungen sind kein Allheilmittel gegen den Kostendruck. Die Ausgangsbasis verändert sich, wenn die eigene Fertigung durch neue Bearbeitungsstrategien und automatisierte Fertigungsabläufe wirtschaftlichere Ergebnisse liefert.
Lassen sich unsere Hohlmeißelzangen weiterhin wettbewerbsfähig in Deutschland produzieren? Diese Frage beschäftigte Martin und Andreas Wenzler von der Instrumentenmanufaktur Raimund Wenzler GmbH in Balgheim schon seit längerer Zeit, da sie die Fertigung dieser Produkte – im Gegensatz zum Wettbewerb – nicht in ein Billiglohnland verlagern wollten. Mit diesem Vorhaben sollte auch die Philosophie des Firmengründers fortgeführt werden, der mit den Hohlmeißelzangen vor über 60 Jahren den Ruf des schwäbischen Unternehmens begründete. Dieser erstreckt sich heute auf das Gesamtprogramm an chirurgischen Instrumenten für die Neurochirurgie, Orthopädie sowie Fixationsgeräte für Implantate.
Konstruktiv hat sich an dem Instrument zur Resektion des Dornfortsatzes an der Wirbelsäule seitdem wenig geändert. Deutlich geändert haben sich hingegen die Einflüsse auf die Kostenrechnung sowie die Stückzahlen. Anfangs wurden die Zangen manuell auf verschiedenen Maschinen mit HSS- Werkzeugen hergestellt. Später erlaubten Hartmetallwerkzeuge deutlich höhere Schnittwerte, die sich aber wegen der Neigung zum „Schmieren“ nicht voll nutzen ließen.
Neben den Auswirkungen auf die Standzeit, Oberflächengüte und auch die Lieferzeiten war es vor allem die Kostenentwicklung, die neue Fertigungsabläufe für die mittlerweile zwölf Varianten erforderte. Die Anregungen dazu holte sich Andreas Wenzler bei Messebesuchen und Gesprächen mit Lieferanten. Dabei kam er auch mit Gisbert Voß, Technische Beratung und Verkauf bei der Tübinger Paul Horn GmbH, ins Gespräch, der ihm mit den Nutfräsern eine Erfolg versprechende Lösung offerierte.
Die Baureihe der drei- und sechsschneidigen Horn-Zirkularfräser ist zum Nut-, Bohrzirkular-, Gewinde- und T-Nutfräsen sowie für Sonderanwendungen ausgelegt. Sie sind mit einem Schneidkreisdurchmesser ab 9,7 mm in Bohrungen ab 10 mm Durchmesser einsetzbar. Verschiedene Halter stehen mit Zylinderschaft DIN 6535 HA/HB/HE, innerer Kühlmittelzufuhr und in Auskraglängen bis 85 mm zur Verfügung. Gemeinsames Merkmal aller Fräser ist der Aufbau aus Hartmetallschaft, Stahlkopf und Schneidplatte. Der Stahlkopf – er ist durch eine Hartlotverbindung mit dem Schaft verbunden – trägt die Schneidplatte, die durch einen patentierten, asymmetrischen Plattensitz hochgenau und sicher fixiert und stirnseitig verschraubt wird.
Ein wichtiger Optimierungsschritt bei der Herstellung der Hohlmeißelzangen aus Edelstahl 1.4021 galt dem Schlitzfräsen in der linken und rechten Ausführung von Maulteil und Branche (Handgriff). Die etwa 14 mm langen, 3 mm + 0,01 mm breiten und 12 mm tiefen Nuten zur Führung der Hebelgelenke mussten mit Ra # 0,8 µm in einem Durchgang aus dem Vollen gefräst werden. Für diese funktions- und kostenentscheidenden Arbeitsgänge empfahl Gisbert Voß die Nut-Zirkularfräser 332 und 636, die nacheinander in Standardausführungen und mit höherer Frästiefe auf einem Chiron-Bearbeitungszentrum getestet wurden.
Dabei überzeugten sowohl das charakteristische Systemmerkmal, für alle Schneidplatten wurde nur ein Schaft benötigt, als auch das Spanverhalten des Nutfräsers 636 die Spezialisten der Instrumentenmanufaktur. Die sechsschneidige Platte mit dem Fräserschaft M332 erfüllte beim Zirkularfräsen mit einer Drehzahl n = 1400 min-1 und einem Vorschub vf = 200 m/min alle Vorgaben und erreichte gegenüber dem bislang eingesetzten HM-Fräser die doppelte Standzeit.
Heute werden das linke und rechte Maulteil sowie die linke und rechte Ausführung der Branche in drei von Wenzler entwickelten Spannvorrichtungen fixiert. Diese sind auf der Grundplatte des Nullpunkt-Spannsystems Delphin der System 3R Schweiz AG montiert und können problemlos von Maschine zu Maschine gewechselt werden.
Der Werdegang der Hohlmeißelzangen beginnt mit zugelieferten Schmiedeteilen, die im Hause Wenzler fertig bearbeitet werden. Die verschiedenen Zangenformen liegen als CAD-Daten vor. Darauf aufbauend programmieren die Mechaniker an den Programmierplätzen die CAM-Bearbeitungsdaten. Bei dieser Aufgabe – für die vier Teile einer Hohlmeißelzange sind 26 Nullpunkte zu berücksichtigen – ergeben sich geometrische Abläufe, die auch den Hersteller der Bearbeitungszentren fordern.
So ist beispielsweise die Befestigungsbohrung für die beiden Maulteile so zu programmieren, dass das Fertigprodukt ohne „Luft“ zwischen den beiden Greifflächen schließt. Andreas Wenzler greift deshalb gerne auf die Unterstützung seines Maschinenlieferanten zurück, um die zu fräsenden Geometrien auf die Verfahr- und Werkzeugwechselmöglichkeiten des 5-Achs-Bearbeitungszentrums abzustimmen.
Die gemeinsam mit Gisbert Voß entwickelte Bearbeitungsstrategie bewährt sich nunmehr seit neun Monaten. Mit bestem Erfolg, wie Andreas Wenzler bestätigt: „Wir erreichen gegenüber den HM-Fräsern eine doppelt so hohe Standzeit und sind von der Bearbeitungsgenauigkeit und der Wiederholgenauigkeit in der Serienfertigung beeindruckt. Kurzum: Wir können weiterhin wettbewerbsfähig an unserem Standort produzieren.“
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein Rückblick auf die Produktion der Hohlmeißelzangen. Mitte der 90er-Jahre wurde die Zange in 36 Arbeitsschritten – Fräsen, Bohren, Reiben, Senken, Entgraten – in zwei bis drei Monaten manuell gefertigt. Heute entstehen die vier Zangenteile in einer Aufspannung auf einem Bearbeitungszentrum mit Nullpunkt-Spannsystem in 15 Minuten.
Wolfgang-D. Schenk Journalist in Reutlingen
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