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Durch Zufall zum Superkleber

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Durch Zufall zum Superkleber

Durch Zufall zum Superkleber
An einem Stück Treibholz ist dieser erwachsene Krebs der Gattung Dosima mit seinem Stil angeheftet. Der von ihm abgesonderte Zement ist für ihn Klebstoff, kann aber auch als Floß dienen – und hat für Menschen interessante Eigenschaften Bild: Ingo Grunwald
Kleber nach biologischen Vorbild | Ein Meereskrebs produziert einen Klebstoff mit enormem Haftvermögen. In einem Projekt des Wissenschaftsfonds FWF haben Wiener Biologinnen und Biologen die Struktur dieses Materials zusammen mit Partnern untersucht. Es bietet Potenzial, für die Medizin wie auch für die Technik.

Es war ein glücklicher Zufall: Als ein deutscher Wissenschafter während seines Urlaubs an der dänischen Nordsee entlangspazierte, entdeckte er im Treibgut zu seinen Füßen Meereskrebse mit dünnen vielgliedrigen Beinen. Die Tiere hatten sich so fest an Plastik, Metall und andere Gegenstände geheftet, dass es unmöglich war, sie davon zu entfernen. Das weckte die Neugierde des Biologen und Experten für Klebstoff, und er wollte über den Rankenfuß-Krebs Dosima fascicularis mehr erfahren. Daraus entstand schließlich ein Projekt mit Partnern in Österreich, Deutschland und Irland, in dem sowohl die Struktur als auch die chemische Zusammensetzung und die mechanischen Eigenschaften des Klebstoffes der bis dato wenig beachteten Krebsart untersucht wurden.

Um dem Geheimnis des Klebers auf die Spur zu kommen, wurden die Krebse unter anderem im Computertomographen betrachtet. Die Ergebnisse zeigten, dass sich der ausgeschiedene biologische Kleber, auch als „Zement“ bezeichnet, in Struktur und Menge deutlich von dem aller anderen bekannten Arten unterscheidet. Der Krebs produziert ein schaumartiges Hydrogel mit Doppelfunktion: Es ist Klebstoff, aber auch Floß, das das an und für sich festsitzende Tier mobil macht, so dass es mit dem Wasser neue Lebensräume erreichen kann.
Die Biologin Waltraud Klepal von der Fakultät für Lebenswissenschaften der Universität Wien hat mit ihrem Team den Meereskrebs bis in seine Zellen durchleuchtet – mit Unterstützung des Wissenschaftsfonds FWF. CT-Scans zeigten den Sitz der Drüsen, ausleitenden Gänge und Poren, die den Superkleber entstehen und ins Meerwasser gelangen lassen.
„Das Floß entsteht, wenn sich Dosima als Larve zum Beispiel an einem kleinen Stück Seegras festheftet und als erwachsenes Tier dieses mit Zement umschließt“, erklärt Projektleiterin Klepal. Es kann bis zu 3 cm Durchmesser erreichen.
Harte Rinde außen, elastische Blasen im Inneren
Der Klebstoff wird über Poren an den Antennen und später am Stiel des auf dem Kopf stehenden Tieres abgesondert. Dabei entsteht ein Ball konzentrischer Schichten. Innen befinden sich elastische Blasen. Wenn der Krebs Dosima wächst, öffnen sich immer neue Poren an dem weichen, flexiblen Stiel, sodass das Tier nicht im eigenen Klebstoff „erstickt“. Und um im nassen Milieu sowie auf freier See zu überleben, formt sich das Substrat an der äußeren Schicht des Balls zu einer härteren, antibakteriell wirkenden Rinde.
Unter den natürlichen Klebstoffen erweist sich das gefundene Material bisher als einzigartig. Das Sekret von Dosima ist nicht nur extrem haftfähig, sondern auch elastisch und hat aufgrund seiner porösen Struktur eine stoßdämpfende Wirkung. Damit ist es ein viel versprechender Kandidat für Medizin und Technik, für Anwendungen, bei denen wasserfestes, dämpfendes Material gebraucht wird.
Porosität ist laut Klepal in der Medizin günstig als Matrix für Zellwachstum. „In der Orthopädie könnte das Material als eine Art Dämpfungskissen, etwa als Bandscheibe, eingesetzt werden.“ In ersten Experimenten mit Zellkulturen wies das Wiener Team die Toxinfreiheit nach.
Die Kooperationspartner am Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung in Bremen untersuchten den biochemischen Aufbau des Zements, der zu 92 % aus Wasser besteht. Die 8 % Proteine und Kohlenhydrate sind anders als bei anderen Arten. Auffallend ist auch das Fehlen von Disulfidbrücken, die bei anderen Meerestieren für Stabilität und Unauflöslichkeit des Klebstoffs mitverantwortlich sind. Das Gas in den Blasen ist höchstwahrscheinlich Kohlendioxid. Weitere Untersuchungen laufen. „Die nächsten Schritte werden in Richtung genetischer Aufklärung und angewandte Forschung gehen“, so Klepal. (op) ■
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