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Die Zukunft ist Ü50/60/70

Alterssimulation: Alles fühlt sich anders an – aber wie?
Die Zukunft ist Ü50/60/70

Gesellschaft, Gesundheitssystem, Produkte. Alles muss sich verändern, wenn das Durchschnittsalter der Menschen steigt. Die Alterssimulation ist ein Weg, um zu verstehen, worauf es dann ankommt – auch in der Medtech-Branche.

Kennen Sie Max? Max macht Sie alt. Nur kurz, wenn Sie wollen, für ein Viertelstündchen auf einer Messe oder bei einem Seminar. Oder für ein paar Tage, wie bei einem Experiment von Stern TV. Wenn Sie es so lange aushalten.

Der Max, von dem hier die Rede ist, ist ein Alterssimulationsanzug. Gemacht, um die Jungen Respekt und Verständnis zu lehren. Gemacht, um Planer am eigenen Leib die Konsequenzen aus dem demographischen Wandel spüren zu lassen. Gemacht, damit zukünftige Produkte besser zu den Bedürfnissen einer wichtigen, weil wachsenden, Zielgruppe passen, nämlich den Senioren.
So ein Anzug besteht aus über 300 Einzelteilen, die zu 95 % Eigenentwicklungen von Forschern der Professur Arbeitswissenschaft an der TU Chemnitz sind und von regionalen Handwerksbetrieben gefertigt wurden. Was sie bewirken? Weniger sehen, schlechter hören, Gewichte an Armen und Beinen schleppen, eine Halskrause tragen, die den Nacken versteift, kein Gefühl für den Untergrund unter den Füßen und kaum noch Sensibilität in den Fingerspitzen haben: Bequem fühlt sich anders an. Da sind Produkte, die sich widerstandslos aus ihren Verpackungen lösen lassen, gut lesbar beschriftet oder auch einfach zu bedienen sind, willkommen – und man freut sich, wenn die Entwickler das bei ihrer Arbeit bedacht haben.
Dass es etwas zu bedenken gibt und was im Einzelnen das ist, zeigt der Alterssimulationsanzug Max auch jungen Probanden. Das ist unter anderem Christian Scherf von der TU Chemnitz zu verdanken. Er hat als Forscher seinen Teil dazu beigetragen, dass Max aus der Taufe gehoben werden konnte: Der Simulationsanzug basiert auf dem Chemnitzer Altersmodell, das an der Professur Arbeitswissenschaft mit entwickelt wurde.
Die möglichen Anwendungen für so eine Reise in die eigene Zukunft sind vielfältig. Denn was Senioren als Kunden, Patienten oder auch im Allgemeinen in Zukunft wollen und brauchen, ist für alle Industrie- und Wirtschaftszweige bedeutsam. Schließlich altern die euroäischen Gesellschaften unaufhaltsam. Bereits ab 2012 wird die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter abzunehmen beginnen, während die Zahl der Über-60-Jährigen jährlich um rund zwei Millionen zunimmt. Der stärkste Druck wird zwischen 2015 und 2035 erwartet, wenn die „Babyboom-Generation“ in den Ruhestand tritt.
Ausruhen und abwarten darf also keiner. Um über Zukunftsthemen der europäischen Gesundheitssysteme zu diskutieren, die sich aus solchen Erkenntnissen ergeben, trafen sich zum Beispiel im Oktober rund 600 Entscheidungsträger zum gesundheitspolitischen Kongress der Europäischen Union (EHFG) im österreichischen Bad Hofgastein. Die Vertreter kamen aus Gesundheitspolitik, Forschung, Wissenschaft, Wirtschaft und Patientenorganisationen aus über 40 Ländern.
„Die Veränderung der Alterspyramide ist eine der größten Herausforderungen, die auf das Gesundheitswesen in Europa zukommen“, betonte dort die Europaparlamentarierin Antonyia Parvanova. „Nachhaltige und langfristige Strategien und Programme zu Finanzierung, Organisation und Effektivität der Gesundheitssysteme sind unumgänglich, um diese schwierige Aufgabe zu meistern.“
Und wie muss das dann aussehen? Schließlich sieht die Welt aus der Seniorenperspektive sehr anders aus. Dies hat der Simulationsanzug Max den acht Teilnehmern am Stern TV-Experiment „Plötzlich Alt“ schließlich vermittelt: Einige fühlten sich ausgegrenzt, überfordert, eine verweigerte kurzzeitig die Nahrungsaufnahme, eine andere brach das Experiment sogar ab. Dabei waren die beteiligten Personen erst zwischen 23 und 30 Jahren alt.
Sie wohnten jedoch vier Tage lang in einem – ebenfalls simulierten – Seniorenheim, wie alte Menschen eben. Einkaufen gehen mit allen Einschränkungen, die der Anzug ihnen aufzwingt, bettlägerig sein oder an den Rollstuhl gefesselt – die damit verbundenen Tagesabläufe empfanden die Testpersonen als monoton, beschieben ihre Stimmung oftmals als gedrückt.
So ist das Alter? So kann es zumindest sein, auch wenn nicht für jeden in allen Bereichen maximale Einschränkungen eintreten. Dennoch ist die Erfahrung überraschend, prägt und hilft, die Alltagsschwierigkeiten der Alten zu verstehen, auch wenn man noch der jüngeren Generation angehört. Im industriellen Bereich hat Max das bisher vor allem in der Automobilindustrie vermittelt, wo Fahrzeuge und Arbeitsplätze der Zukunft entwickelt werden – schließlich werden schon bald mehr Mitarbeiter „alt“ sein, wobei schon bei Menschen ab 50 mit ersten Einschränkungen zu rechnen sein wird, wie die Forscher betonen.
Speziell für die Gesundheitsbranche spielen die Bedürfnisse der älteren Menschen in vielerlei Hinsicht ein große Rolle. Da geht es nicht nur um Produkte, die direkt für den persönlichen Gebrauch durch Senioren auf den Markt kommen. „Auch die Prozesse und Abläufe im medizinischen Bereich – OP und Pflege – sind vom Wandel betroffen“, sagt Scherf. Nicht nur die Patienten werden älter, sie müssen auch von einer älteren Belegschaft betreut werden können. „Fest steht, dass im Alter die Muskelkraft nachlässt, und zwar sowohl die Schnell- als auch die Maximalkraft“, sagt der Forscher. Wenn nun ein 95 kg schwerer Patient von einer älteren Pflegerin, die vielleicht nur 65 kg wiegt, umgebettet werden muss, führe das zu Problemen. „Das mag bei einer einmaligen Aktion durch geschickte Nutzung von Hebelkräften zu umgehen sein, ist aber ein Berufsleben lang nicht durchzuhalten“, betont der Chemnitzer.
Der zukünftige Umgang miteinander wird aber nicht nur von technischen Erwägungen geprägt sein. „In Ost-Asien haben die geburtenstarken Jahrgänge wesentlich früher eingesetzt, sodass wir dafür bereits Lösungen entwickeln mussten“, sagte Shu-Ti Chiou, Generaldirektorin des Büros für Gesundheitsförderung in Taiwan, in Bad Hofgastein. Das Taiwanesische Gesundheitsministerium war Gastgeber des Expertenforums zum Thema Altern beim EHFG. Langfristiges Ziel müsse es laut Shu-Ti Chiou sein, die Gesellschaft so zu gestalten, dass auch ältere Menschen respektiert werden und sich in ihr wohlfühlen können. Von der Erfahrung asiatischer Länder könne Europa hier lernen. op
Weitere Informationen Als Forschungspartner haben sich die AutoUni, die Wolfsburg AG, die Audi AG und die VW AG an der Entwicklung von Max beteiligt. Zu Max: www.tu-chemnitz.de, Suchbegriff „Altersanzug Informationen zur Super Aged Society in Japan: medizin&technik, Heft 5/2010
Wer das Altsein selbst gefühlt hat, entwickelt bessere Produkte

Selbst testen mit medizin&technik
So fühlt sich das Altsein an
medizin&technik bietet Ihnen die Möglichkeit, den Alterssimulationsanzug Max zu testen: An unserem Messestand auf der Messe Compamed in Düsseldorf ist Christian Scherf von der TU Chemnitz mit der Ausrüstung fürs Seniorenalter zu Gast – und Messebesucher dürfen in die fremde Wirklichkeit des Altseins eintauchen.
Die Redaktion hat das schon probiert. „Plötzlich Ruhe. Die Geräusche der Messehalle tauchen in ein entferntes Rauschen ein, dringen nur noch wie durch Watte gedämpft ans Ohr. Sie scheinen so weit weg, dass sie eigentlich keine Rolle mehr spielen. Auch das Blickfeld beschränkt sich auf das, was sich geradeaus vor einem befindet, in etwa zwei Metern Entfernung vor den Füßen: Was näher liegt oder auf der Seite, ist ohnehin nicht zu erkennen. Eine abgeschlossene, eigene kleine Welt, inmitten des Geschehens.“
Als Messebesucher auf der Compamed können Sie diese Erfahrung am Stand von medizin&technik machen. Der Umgang mit alltäglichen Gegenständen wird Ihnen schwer genug fallen. Vielleicht bringen Sie eines Ihrer Medizinprodukte mit und betrachten es mit eigenen Augen – aber durch die Brille eines vielleicht 70-Jährigen.
Hier können Sie was erleben: Messe Compamed, Halle 8a, Stand J41
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