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„Die Mikrosystemtechnik ist erst am Anfang ihres Wirkens“

Mikro-/Nanotechnik: Miniaturisierte Produkte und mikrotechnische Verfahren für die Medizin
„Die Mikrosystemtechnik ist erst am Anfang ihres Wirkens“

Auf kaum einem anderen Gebiet bringen Mikro- und Nanotechnologien so große Fortschritte wie in der Medizin. Heinz-Peter Hippler, neuer Geschäftsführer beim Fachverband IVAM, erläutert im Interview den Stand der Technik.

Herr Hippler, warum ist die Miniaturisierung ein Mega-Trend in der Medizintechnik?

Sie ist eine direkte Folge laufender Entwicklungen in der Mikrosystemtechnik. Als bedeutende Querschnittstechnologie ergreift die Mikrosystemtechnik alle Bereiche unseres Lebens. Als Trend wird dies angesehen, weil diese Entwicklung auf breiter Front sichtbar und begreifbar geworden ist. Die Miniaturisierung ist allerdings nicht als trendy zu verstehen. Sie ist keine Modeerscheinung, sondern sie wird uns sehr langfristig begleiten.
Die Mikrosystemtechnik vereint verschiedene Technologien. Welche Vorteile bietet sie konkret der Medizintechnik?
Bauteile und Module, die verschiedene Funktionen vereinen und auf kleinstem Raum angeordnet sind, werden MEMS (Micro-electro-mechanical-systems) genannt. Sie beinhalten Komponenten, die typischerweise zwischen 20 und 1000 Mikrometer klein sind. Auf kleinstem Raum erfüllen sie komplexe Funktionen. So sind beispielsweise mechanische Bewegungen eines Sensorelements mit einem Wandler verbunden, der seine Signale an einen Verstärker gibt, um einen Stellmotor für eine Mikropumpe anzutreiben. Alles „aus einem Guss“ könnte man sagen, auf wenigen Kubikmillimetern realisiert.
Wo leistet die Mikrotechnik bereits heute wichtige Dienste im medizintechnischen Bereich?
Blutdrucksensoren auf Basis von Mikrotechnik sind bekannt. Diese werden aktuell mit Komponenten für drahtlose Kommunikation verbessert. Dadurch ist eine dauerhafte Implantation zur kontinuierlichen Messung möglich. Andere MEMS registrieren Beschleunigung und Bewegung, was nützlich sein kann, um einer körperlich beeinträchtigten Person automatisch Hilfe herbeizu- rufen. Außerdem können ambulante oder stationäre Patienten mittels einer smarten Dosierung auf MEMS-Basis zur rechten Zeit mit der richtigen Medikamentenmenge versorgt werden, und in der Neurologie werden MEMS-Elektroden zur Lokalisierung und Stimulierung von Nerven eingesetzt.
Was ist für die Zukunft geplant?
Miniaturisierung, besser gesagt MEMS, sind in allen Laboren der Welt ganz oben auf der Agenda. Wir dürfen sicherlich auf bedeutende Entwicklungen in der Neurologie setzen durch Sonden und Elektroden mit smarten Eigenschaften, zur Behandlung von Epilepsie, Parkinson und Sprachbehinderung. Es wird große Fortschritte in der minimal-invasiven Chirurgie geben durch miniaturisierte High-Tech-Operationsinstrumente. Die Makromotorik behinderter Menschen wird durch applizierte Mikrosystemtechnik-Sensoren und -Aktoren auf Haut, Muskeln und Nerven wieder in Gang gebracht werden.
In der Medizintechnik kommen vermehrt auch Nanomaterialien vor. Welche Vorteile haben diese Materialien?
Nanomaterialien, -schichten und -strukturen sind natürliche oder künstliche Gebilde und Flächen, die Nanopartikel auf der Oberfläche gebunden haben, aus ihnen bestehen oder Strukturen in Nanometergröße aufweisen. In der Medizintechnik finden wir nanobeschichtete Oberflächen bei wieder verwendbaren Materialien, Instrumenten und Geräten, aber auch bei Implantaten. Knochenimplantate für Gelenke und Kiefer beispielsweise werden bei entsprechender Oberflächen-Nanopräparation besser vom Körper aufgenommen und verankert.
Neben vielen Chancen rücken auch die gesundheitlichen Aspekte in den Fokus. Wie ist hier der Stand der Dinge?
Nanomaterialien, Nanostrukturen, Nanopartikel, Nanoteilchen, Nanoschichten, allesamt Begriffe, die gerne verwechselt oder unpassend verwendet werden. Nanopartikel oder Nanoteilchen sind Partikel, die einzeln betrachtet eine Dimension von 1 bis 100 Nanometer vorweisen. Der gesundheitliche Aspekt tritt meistens im Zusammenhang mit Nanopartikeln auf. Sind diese auf Oberflächen oder in Materialien fest gebunden, geht in aller Regel kein Risiko von ihnen aus. Alle Partikel, ob natürliche oder künstliche, mit Abmessungen von wenigen Nanometern bergen das Risiko eingeatmet und durch die Haut oder den Magen-Darm- Trakt vom Körper aufgenommen zu werden. Weltweit wird zu dem Thema geforscht, um herauszufinden was in welcher Dosis wie schädlich ist. Aufgabe der Politik, der Verbände wie IVAM und der Forschungseinrichtungen ist es, Aufklärung zu betreiben und Detailinformation anzubieten.
Welche Rahmenbedingungen für den Einsatz von Mikro- und Nanotechnik gibt es in der Medizintechnik bereits?
Der IVAM beschäftigt sich intensiv mit diesen Fragestellungen. In unserem Leitfaden „Nosta: Normen und Standards für die Mikrosystemtechnik“ haben wir die Erfahrungen und Probleme der Akteure in Deutschland im Umgang mit Normen und Standards ausgelotet, mit dem Ziel, eine Lagebeschreibung zu erstellen und Maßnahmen zu empfehlen, die den Bedürfnissen von Industrie und Forschung gerecht werden. Über die Situation in der Nanotechnik diskutieren wir beispielsweise im Oktober mit weiteren Experten auf der vierten NRW-Nanokonferenz in Dortmund. Grundsätzlich ist der Medizintechnikmarkt schon sehr hoch reglementiert. Im Hinblick auf gestiegene Qualitätsanforderungen sind Electronic Manufacturing Services (EMS) zunehmend in den Fokus des Interesses gerückt. Aus diesem Grund wird das Thema auch in diesem Jahr wieder auf dem IVAM-Produktmarkt auf der Compamed vertreten sein.
Welche Unterstützung bietet der IVAM?
Mitgliedsunternehmen, die auf dem Medizintechnikmarkt agieren, finden bei uns gezielte, marktorientierte Unterstützung: Auf unserer diesjährigen Mitgliederversammlung wurde der Arbeitskreis Medizintechnik ins Leben gerufen, der sich insbesondere mit aktuellen Fragen entlang der medizintechnischen Wertschöpfungskette befasst. Dort werden aktuelle Marktanforderungen, Forschungsfelder und Marktbearbeitungsstrategien diskutiert. Und im Rahmen unserer Medien geben wir regelmäßig Sonderausgaben mit Fokus auf medizinische Anwendungen heraus.
Gibt es Schwerpunkte, denen sich der IVAM unter Ihrer Leitung widmen wird?
Die Gesamtheit unserer Mitglieder bildet die komplette Wertschöpfungskette der Mikrosystemtechnik ab: Von der Grundlagenforschung, der Prototypenentwicklung über die Produktionstechniken und die Anwendung sowie Integration bis zur Vermarktung und Distribution. Diese Mischung an Fachwissen und Interessen werde ich ausbauen. Die heterogene Struktur unserer Mitglieder ist dabei vorteilhaft: Die Mitglieder finden sich in Arbeitskreisen und Workshops zusammen und diskutieren ein Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Dadurch entstehen neue Sichtweisen, Kooperationen und Gemeinschaftsprojekte. Das werden wir ausbauen und thematisch vertiefen. Die Mikrosystemtechnik ist erst am Anfang ihres Wirkens.

Ihr Stichwort
    • Mikrosystemtechnik
    • Nanotechnologie
    • Beschichtete Oberflächen
    • Medizinische Anwendungen
    • Normen und Standards
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