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„Deutschland ist gut positioniert“

Zukunftsmarkt Medizintechnik: Prof. Olaf Dössel fordert mehr Anstrengungen in F&E
„Deutschland ist gut positioniert“

Während die asiatischen Hersteller ihre Position in den Massenmärkten stärken, baut Deutschland seine Spitzenstellung im Weltmarkt durch Forschungsleistungen weiter aus. Prof. Olaf Dössel nimmt Stellung zur VDE-Studie MedTech 2020.

Herr Professor Dössel, trotz Wirtschaftskrise zeigt sich der Weltmarkt für Medizintechnik wachstumsorientiert. Welche Veränderungen stehen der Branche in den nächsten Jahren ins Haus?

Wir werden auf der einen Seite einen zunehmenden Druck auf die Kosten im Gesundheitswesen spüren – bedingt durch den demographischen Wandel – und auf der anderen Seite einen zunehmenden Bedarf an privat-finanzierten Gesundheits-Dienstleistungen erleben. Durch den Kostendruck wird es möglicherweise eine Verschiebung im Markt hin zu Medizintechnik-Produkten geben, die unmittelbar zu einer Kostenersparnis bei den Ärzten und Krankenhäusern führen. Und es wird Produkte und Dienstleistungen geben, die das Leben eines Patienten angenehmer machen, die aber aus dem eigenen Portemonnaie bezahlt werden müssen – Beispiel: Korrektur einer Fehlsichtigkeit mit dem Laser. Ein Stagnation bei der Steigerung des Marktvolumens wird aber von keiner Seite prognostiziert, das heißt es geht auch weiter bergauf.
Welches sind die Zukunftstrends der Medizintechnik-Branche?
Die großen technologischen Trends sind nach der Studie, die wir im Auftrag des BMBF durchgeführt haben: Miniaturisierung, Computerisierung und Biologisierung. Die Mikrosystemtechnik lässt beispielsweise aktive Implantate immer kleiner und intelligenter werden, die Computerisierung wird dafür sorgen, dass beispielsweise Biosignale und Bilder noch weiter aufbereitet werden, um die Diagnose des Arztes zu verbessern, und mehr Biologisierung soll heißen: Mit Zell und Gewebetechniken wird die regenerative Medizin immer wichtiger werden.
Wie beurteilen Sie die Stellung der deutschen Medizintechnikindustrie im weltweiten Vergleich?
Die Medizintechnik in Deutschland ist sehr gut für die künftigen Entwicklungen positioniert. Engagierte, gut ausgebildete und kreative Ingenieure, Physiker, Informatiker und Zellbiologen möchten gerne mit Ärzten zusammen die Medizin-Systeme der nächsten Generation erforschen und entwickeln – man muss sie nur lassen. Die Unternehmen müssen weiterhin rund 10 Prozent ihres Umsatzes in F&E investieren, und das BMBF und die DFG müssen weiterhin das Budget bereitstellen, damit exzellente F&E-Projekte auch wirklich gestartet werden können.
Wo sehen Sie die größten Entwicklungschancen für die deutschen Hersteller?
Die größten Chancen sehe ich in den bildgebenden Verfahren mit einem Trend zur funktionellen und zur biomolekularen Bildgebung sowie in der Medizintechnik für die Chirurgie mit einem Trend zur minimal-invasiven und zur bildgeführten Intervention. Aber auch neue Therapie-Systeme, beispielsweise im Bereich Dialyse und Apherese, und bessere aktive Implantate, die immer kleiner, multifunktioneller und an den Bedarf des Patienten besser angepasst werden, sind die Entwicklungstrends der nächsten Jahre. Als weitere Stichworte sind Mikrosysteme für die In-vitro-Diagnostik, neue Materialien für Implantate, eHealth und elektronische Patientenakten als auch die Telemedizin zu nennen. Wichtig ist, dass alle diese Innovationen immer als Teil einer Behandlungskette gesehen werden, in die sie ohne große Umbrüche hinein passen müssen. Workflow-Management in der Medizin wird nicht nur für die konventionellen Behandlungsketten, sondern auch für innovative Methoden zu einer wichtigen Komponente.
Wo hinkt Deutschland dem Weltmarkt hinterher ?
Nach der Studie, die wir im Auftrag des BMBF im Jahr 2004 durchgeführt haben, importiert Deutschland sehr viele passive Implantate, beispielsweise künstliche Hüftgelenke. Auch wenn es hier vielversprechende Unternehmungen in Deutschland gibt, wird es schwer, den Vorsprung anderer aufzuholen.
Was hemmt die Innovationskraft der deutschen beziehungsweise der europäischen Hersteller am meisten?
Oft werden bei dieser Frage die Hürden durch die Zulassungssysteme genannt. Das CE-Zeichen erfordert für Medizinprodukte umfangreiche Prüfungen. In meinen Gesprächen mit Vertretern der Medizintechnischen Industrie werden diese Prüfungen voll akzeptiert. Wichtig ist, dass die Kriterien sehr genau bekannt sind und sich nicht ständig ändern – dann kann die Industrie sich gut darauf einstellen. Überlegungen in der EU, genauere Regelungen für den Beweis der Wirksamkeit des Medizin-Produktes einzuführen, erhöhen den Aufwand für die Zulassung. Für die Aufnahme in die Erstattung durch die Krankenkassen gibt es nach wie vor unklare Kriterien und viel zu lange Bearbeitungszeiten. Unabhängig davon kann die Zusammenarbeit zwischen der medizintechnischen Industrie, den medizinischen und technischen Forschungseinrichtungen und der medizinischen Krankenversorgung bei Innovationen noch deutlich verbessert werden.
Welche Unterstützung benötigen die deutschen Hersteller, um ihre Position im Weltmarkt in den nächsten Jahren halten oder gar verbessern zu können?
Das BMBF und die DFG haben sehr gute Strukturen und Programme definiert, die in Zukunft weiterentwickelt werden müssen – auch mit dem nötigen Budget. Das BMBF hat gerade einen neuen Medizintechnischen Ausschuss (MTA) eingesetzt, von dem wichtige inhaltliche Impulse erwartet werden. Am Ministerium für Wirtschaft und Innovation wurden Strukturen geschaffen, welche die besonderen Anforderungen der medizintechnischen Industrie aufnehmen und in strukturelle Verbesserungen überleiten sollen – hier hoffen alle Beteiligten auf eine starke konzertierte Aktion in Zusammenarbeit mit dem BMBF und dem BMG.
Asien wird in der VDE-Studie MedTech 2020 als innovativer Wachstumsmarkt bezeichnet. In welchen Bereichen bekommt Deutschland das am stärksten zu spüren?
Auf diese Frage gibt es vielfältige und verschiedene Antworten. Ich persönlich sehe in allen Massenmärkten eine besonders starke Rolle der asiatischen Hersteller. Telemedizin zielt in vielen Bereichen auf solche Massenmärkte, bei denen Millionen von Menschen von dieser Technik profitieren sollen. Hier können Indien und insbesondere China mit seinem staatlich kontrollierten Gesundheits-System in Zukunft vermutlich stark punkten. Auch konventionelle Projektions-Röntgen-Systeme werden zum Massenmarkt, während CT und MRT auch langfristig hochkomplexe Systeme mit vergleichsweise kleiner Stückzahl bleiben.
Wie wird sich der Weltmarkt entwickeln?
Die jüngste VDE-Studie, die im Rahmen des Weltkongresses Medical Physics and Biomedical Engineering 2009 durchgeführt wurde, prognostiziert Asien bis 2020 einen gewaltigen Aufschwung im Bereich der Medizintechnik. Den USA wird ein deutlich schwächeres Wachstum vorausgesagt. Ich meine, dass das Ergebnis dieser Studie Trends durchaus richtig aufzeigt, aber in seinen extremen Aussagen etwas zu pointiert ist. Man muss wohl berücksichtigen, dass die meisten Antworten aus Europa und Asien kamen.
Die USA haben im Weltmarkt der Medizintechnik heute eine sehr starke Dominanz, von der sie – auch bedingt durch die Finanzkrise – gewisse Abzüge hinnehmen muss. Japan ist ebenfalls schon heute eines der wichtigsten Länder der Medizintechnik, sowohl was den Markt als auch was das produzierte Volumen anbelangt. Korea unternimmt größte Anstrengungen, in der Medizintechnik zu expandieren. Indien und China, aber auch andere Länder wie Vietnam werden aus den oben genannten Gründen stark aufholen, aber zumindest bis 2020 nach meiner Einschätzung nicht die Marktzahlen von den USA, Japan und Europa erreichen können.
Richtig und wichtig ist aber, dass wir uns in Deutschland auf die stärkere Konkurrenz aus den Schwellenländern einstellen müssen. Das bedeutet, dass unsere F&E-Anstrengungen besser und stärker werden müssen, damit wir auch in Zukunft von dem Markt der Gesundheitstechnologien profitieren können.

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