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Das Labor im Kleinformat

Mikrofluidik: Mikrosystemtechnik trifft Lebenswissenschaften
Das Labor im Kleinformat

So wie die Miniaturisierung die Bereiche der Elektronik revolutioniert hat, erleben gerade viele Bereiche der Lebenswissenschaften eine ähnliche technologische Umwälzung. Allen voran die Sparten Analytik und Diagnostik, in denen Lab-on-chip- Systeme die Vorgänge vereinfachen.

Unter dem Schlagwort „µTAS“ (miniaturized total analysis system) oder „Lab-on-chip“ wurde das Konzept der Mikrofluidik vor etwa 20 Jahren akademisch eingeführt. Entscheidend sind dabei funktionale Elemente wie Mikrokanäle, Mischerstrukturen oder Reservoire mit einer geometrischen Abmessung im Bereich von einigen 10 bis 100 µm.

Nach dem enormen Anstieg der wissenschaftlichen Aktivitäten in diesem Bereich in den vergangenen zehn Jahren beginnt in jüngster Zeit die rasante kommerzielle Umsetzung in neuartige Produkte. Für diesen Trend gibt es mehrere Gründe: Zum einen ermöglicht die Miniaturisierung solcher Systeme beispielsweise in Bereichen wie der Wirkstoffforschung oder der Biotechnologie eine Reduktion der benötigten Volumina von oftmals sehr teuren oder raren Reagenzien um mehrere Größenordnungen. Auch können chemische Reaktionen oder analytische Trennverfahren in solch miniaturisierten Systemen deutlich schneller ablaufen als in konventionellen Instrumenten. Ein Vorteil der Miniaturisierung ergibt sich aus der Möglichkeit, komplexe Analyse- oder Diagnoseprozesse vollautomatisch in kompakten Geräten zu integrieren, die dann in einer Arztpraxis, am Patientenbett oder in einer Fertigungsanlage zur Qualitätsüberwachung eingesetzt werden können.
Als Schlüsseltechnologie für die Realisierung solcher Lab-on-a-Chip-Systeme erweist sich dabei die Polymer-Mikrosystemtechnik. Im Unterschied zur konventionellen Mikrosystemtechnik, bei der Methoden wie die Lithographie oder Ätzprozesse auf Substraten wie Silizium oder Glas angewendet werden, verwendet man bei der Polymer-Mikrotechnik industrielle Fertigungsmethoden wie den Präzisionsspritzguss, um eine Masterstruktur in ein Kunststoff-Bauteil zu übertragen. Dadurch lassen sich große Stückzahlen solcher Bauteile mit hoher Präzision zu Kosten herstellen, die eine Verwendung eines solchen Bauteils als Einwegartikel erlauben. Wichtig für die spätere Funktionalität eines so gefertigten Mikrofluidik-Bauteils ist die so genannte Back-End Prozessierung, bei der beispielsweise die Oberfläche des Mikro-fluidik-Bauteils spezifisch funktionalisiert wird, Biomoleküle an bestimmten Stellen angebunden werden, Elektroden aufge-bracht werden oder flüssige oder lyophilisierte Reagenzien auf dem Chip vorgelagert werden. Erst durch diese Veredelungsprozesse bekommt das mikrostrukturierte Kunststoff-Bauteil seinen vollen Funktionsumfang als mikrofluidische Komponente.
Die Integration aller Prozessschritte auf einem einzigen Chip stellt einen der großen Fortschritte der Mikrofluidik in den letzten Jahren dar und ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor bei der Kommerzialisierung solcher Systeme. Durch die Integration können einerseits zahlreiche Prozessschritte, die in der Vergangenheit entweder manuell oder mit unterschiedlichen Geräten durchgeführt werden mussten, in einem einzigen Arbeitsschritt abgearbeitet werden, was das Risiko einer Fehlbedienung deutlich reduziert. Zum anderen steigt durch diese funktionale Integration die Analysengeschwindigkeit deutlich an. Auch sehr komplexe molekularbiologische Protokolle, die beispielsweise eine Polymerase-Kettenreaktion (PCR) oder Sequenzierung enthalten, können so in den Routinebetrieb überführt werden. Die dafür benötigten Geräte können sehr kompakt und einfach ausfallen.
Ein Beispiel dafür ist das zigarrenschachtelgroße Gerät ChipGenie Edition P für die chip-basierte Probenvorbereitung. Mit Hilfe eines Magneten im Gerät, der sich über einen Linearantrieb bewegen lässt, können Magnetpartikel im Chip relativ zu den Flüssigkeiten im Chip, beispielsweise eine Zellsuspension mit Lysepuffer oder eine Probe mit DNA-Fragmenten, bewegt werden. Dadurch können die auf den Magnetpartikeln aufgebrachten Fängermoleküle die gewünschten Probemoleküle aus der Flüssigkeit extrahieren. Durch die Möglichkeit, die Temperatur einzustellen, können dann Hybridisierungs- oder Inkubationsexperimente einfach durchgeführt werden.
Ein Beispiel für ein komplexes vollintegriertes Mikrofluidik-Bauteil von der Größe einer Mikrotiterplatte (127,8mm x 85,5 mm) dient zum simultanen Nachweis von bis zu acht Pathogenen aus einer einzelnen Probe. Sie wird durch einen Luer-Anschluss auf den Chip gebracht. Anschließend werden die in der Probe befindlichen Organismen (Viren oder Bakterien) aufgeschlossen und die DNA mit Hilfe von Magnetpartikeln extrahiert. Mit Hilfe eines Elutionspuffers, der sich wie alle anderen benötigten Reagenzien in Kartuschen, die auf den Chip aufgesteckt werden und am oberen Rand des Chips zu sehen sind, befindet, wird die DNA von den Magnetpartikeln gelöst. Die Probe wird nun auf acht Analysezweige aufgeteilt. Sie löst beim Durchströmen einer weiteren Kammer den dort befindlichen, trocken vorgelagerten PCR-Mastermix und durchläuft anschließend eine PCR im kontinuierlichen Fluss, bevor die acht Probenkanäle in einer Detektionszone zusammenlaufen, in der dann die PCR-Produkte über Fluoreszenz nachgewiesen werden. Die Prozedur von Probenaufnahme bis zur Detektion benötigt etwa 30 Minuten.
Dr. Holger Becker Dr. Claudia Gärtner Microfluidic ChipShop, Jena

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