Lange Zeit galten die Hersteller von Medizintechnik als Wachstumstreiber der Schweizer Wirtschaft. Nun bremsen Bürokratie und der Mangel an Fachkräften die Branche immer mehr aus. Fasmed-Generalsekretär Fabian Stadler erklärt, welche Folgen drohen und wie dem Nachwuchsproblem begegnet wird.
Herr Stadler, die Medizintechnik gehört zu den wachstumsstärksten Branchen der Schweiz. Innovative Produkte erfordern jedoch auch innovative Köpfe – wie ist es derzeit damit in der Branche bestellt?
Die Schweiz hat seit jeher kreative Köpfe, Pioniere und Visionäre wie beispielsweise den orthopädischen Chirurgen Maurice E. Müller hervor gebracht und gehört bis heute zu den führenden Erfindern. Viele Medtech-Firmen unterhalten in der Schweiz eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilungen und verwenden für Investitionen in F&E heute bis zu 17 Prozent ihres Umsatzes. Doch in den letzten Jahren hat sich die Innovationsdynamik der Branche leicht abgeschwächt.
Wie zeigt sich das und welches sind die Gründe?
Indem die Medtech-Firmen weniger in F&E investieren, hat sich die Anzahl neuer Produkte verringert und das Durchschnittsalter der Produkte-Portfolios erhöht. Dies liegt zum großen Teil an der stärkeren Regulierung. Die wachsende Bürokratie betrifft die Vergütung von medizinischen Leistungen und damit die Finanzierung von Forschung und Entwicklung ebenso wie den Markteintritt von Neuerungen. Zudem beeinträchtigen die Frankenstärke und das abkühlende Verhältnis zu Europa den Innovations-Standort Schweiz.
Was unternimmt die Schweiz dagegen?
Zusammen mit unseren Partnern setzen wir uns für die Verbesserung der Rahmenbedingungen ein und engagieren uns für eine unbürokratische Innovationsfinanzierung sowie für die Beschleunigung des Zugangs von Patienten zu neuen Produkten und Therapien. Weitere wichtige Themen sind die Förderung klinischer Studien, der Patentschutz und der freie Zugang zu Talenten aus dem Ausland.
Stichwort Talente: Woher kommen die Fachkräfte der Schweizer Medizintechnik?
Die Komplexität der Produkte setzt das Zusammenspiel verschiedenster Berufsgruppen voraus. Ursprünglich aus der Uhren- und Präzisionsindustrie kommend, bildet die Medizintechnik eine Schnittstelle zur Elektronik- und Maschinenindustrie, zur Pharma- sowie zur Biotechnologie. Und mit der zunehmenden Digitalisierung im Rahmen von e-Health und Telemedizin sind in dieser „Querschnitts-Branche“ neben Ärzten, Ingenieuren, Technikern und Naturwissenschaftlern heute vermehrt Informatiker zu finden. Im Zeitalter der globalen Vernetzung werden auch für die Medizintechnik viele Nachwuchs- und Fachkräfte im Ausland rekrutiert.
Angesichts der geschilderten Entwicklungen entstehen neue Berufsbilder. Welche speziellen Kenntnisse werden aktuell vom Markt gefordert?
Der wissenschaftliche und technologische Fortschritt, aber auch das politische Umfeld, unter anderem die Einführung der Fallpauschale DRG, bringen immer mehr Spezialisten und neue medizinische Berufe hervor, wie beispielsweise den Medizinischen Kodierer. Im Rahmen des wachsenden weltweiten Wettbewerbs- und Regulierungsdrucks in der Branche sind vermehrt Marketing-, Legal & Compliance- beziehungsweise Regulatory-Affairs- und Qualitätsmanagement-Spezialisten gesucht. Auch für Forschung und Entwicklung und Verkaufsberatung fehlt spezifisches Know-how. Mit den Veränderungen und der wachsenden Komplexität im Schweizer Gesundheitssektor sind die Anforderungen an die Medtech-Mitarbeitenden mit Kundenkontakt gestiegen. Neben fachtechnischem Produkt-Know-how werden vermehrt medizinisches Grundwissen und Kenntnisse des Gesundheitswesens vorausgesetzt. Auch müssen sie sich im sich wandelnden regulatorischen und ökonomischen Umfeld bestens auskennen und neben dem Arzt vermehrt strategische Einkäufer, Gesundheitsökonomen und andere Anspruchsgruppen betreuen.
In wieweit kann die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative den Arbeitsmarkt beziehungsweise den Fachkräftemangel in der Schweiz beeinflussen?
Da in der Medizintechnik Ärzte, Ingenieure, Techniker und andere Berufsgruppen vertreten sind, wo Spezialisten besonders gesucht sind, bestehen hier in der Schweiz bereits große Defizite. Mit Annahme der Zuwanderungs-Initiative wurde das Verhältnis zu Europa weiter belastet und wird der bereits bestehende Fach- und Nachwuchskräftemangel verstärkt. Das schwächt die Attraktivität des Medtech-Arbeitsplatzstandorts Schweiz.
Was sind die Stärken, welches die Schwächen der beruflichen Aus- und Weiterbildung in der Schweizer Medtech-Branche?
Zwar bieten immer mehr Universitäten und Fachhochschulen spezifische Aus- und Weiterbildungen wie berufsbegleitende Studienfächer und Spezialkurse in den verschiedenen Medtech-Bereichen an. Doch trotz dieser Initiativen reicht das heutige Angebot leider noch nicht aus, um den Bedarf an Spezialisten zu decken, insbesondere für die Entwicklung, Produktion, Schulung, Beschaffung und den Unterhalt medizintechnischer Geräte. Im Gegensatz zu Deutschland, wo der Beruf des Medizinprodukte-Beraters schon länger bekannt ist, fehlte in der Schweiz zudem eine gezielte Ausbildung für Personen, die im regelmäßigen Kundenkontakt stehen wie im Verkauf, Vertrieb oder mit Schwerpunkt Produktberatung. Besonders Großunternehmen müssen einen hohen Aufwand betreiben, um Fachpersonal auch aus dem Ausland zu rekrutieren.
Welche Unterstützung bietet der Verband?
Um hier Abhilfe zu schaffen, hat der Fasmed gemeinsam mit der Swiss Health Quality Association, SHQA, und der Universität Bern für die Schweiz neu den Lehrgang zum zertifizierten Medizintechnik-Berater lanciert. Er wurde von Fachexperten aus Mitgliedsfirmen entwickelt und vereint ein enormes Branchen- und Marktwissen. Seit Anfang Mai 2015 lässt sich via e-Learning das dafür nötige Fachwissen in den Bereichen Medizin, Recht, Ethik und Compliance, Betriebswirtschaft sowie Leistung & Vergütung erwerben.
Gibt es weitere Initiativen?
Ja. Mit dem Fachmann für Rehatechnik haben wir gemeinsam mit der Feusi-Schule in Bern ein weiteres neues Berufsbild mitgestaltet. Beide Lehrgänge eignen sich auch für Neueinsteiger aus technischen Berufen. Und wir pflegen zudem eine enge Kooperation mit der Partnerorganisation Medical Cluster, der den Aufbau einer Ausbildung zum Thema Compliance koordiniert. In Zukunft sind weitere Initiativen geplant, um aktiv zur Förderung von Fach- und Nachwuchskräften beizutragen.
Susanne Schwab susanne.schwab@konradin.de
Ihr Stichwort
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