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Alternativen zum Piep

Klangdesign: Eine neue Dimension für Medizingeräte
Alternativen zum Piep

Statt einfach einen Ton abzugeben, könnten Geräte – auch im Gesundheitsbereich – den Anwender über Klänge oder gar Sprach-Informationen erreichen. Wo das interessant wäre, erläutert Kommunikationsdesigner Rainer Hirt.

Herr Hirt, was ist Klangdesign?

Wenn Sie am Computerbildschirm eine Datei in den Papierkorb schieben und dazu ein Geräusch hören, als ob Sie gerade Papier zerknüllen, war ein Klangdesigner am Werk. Klangdesign ist das Gestalten all dessen, was ein Mensch hören kann. Damit kann man zum Beispiel bewirken, dass Bilder, die wir wahrnehmen, besonders gut zu den Klängen passen, die wir parallel dazu hören. Man kann damit aber auch etwas anderes tun: nämlich eine zusätzliche Information übertragen.
Welchen Nutzen kann das für Produkte verschiedenster Art haben?
Es kann zum Beispiel das Verständnis des Benutzers für sein aktuelles Tun unterstützen. Im Falle des Papierkorbs plus Papiergeräusch ist das so eindeutig, dass der Nutzer den Zusammenhang nicht einmal erlernen muss.
Was hat das mit Medizintechnik zu tun?
Stellen Sie sich den Chirurgen und den Anästhesisten im OP vor. Die haben alle Hände voll zu tun und den Blick auf den Bildschirm oder auf den Patienten gerichtet. Der akustische Kanal ist aber noch frei: Hierüber könnte man beiden ohne großen Aufwand eine ergänzende Information zukommen lassen. Und ein Klang kann ja auch sehr emotional sein und ein dringendes und schnelles Handeln anmahnen. Das funktioniert eben nicht nur über das heute übliche Piepen.
Was ist schlecht am Piepen?
Das Piepen hat bisher seinen Zweck erfüllt – obwohl es auch Studien gibt, die belegen, dass Ärzte und Pflegepersonal manche Alarme ausschalten, weil sie sich von einem Zuviel an zum Teil ähnlichen Geräuschen gestört und abgelenkt fühlen. Das ist natürlich nicht der Sinn der Sache, und es zeigt, dass man hier Dinge verbessern könnte. Platz für frische Denkansätze gibt es also auf jeden Fall.
Ist die Branche schon reif dafür?
Bedingt. Immerhin wird heute Produktdesign generell von niemandem mehr ernsthaft in Frage gestellt. Von Medizingeräte-Herstellern haben wir aber schon häufiger gehört, dass es für sie bisher einfach keinen Marktdruck gibt, der auch eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Thema Sounddesign auslösen würde. Vorreiter gibt es aber auf diesem Sektor.
Können Sie dafür Beispiele nennen?
Im Dentalbereich kommen sehr positive Reaktionen, wenn es darum geht, das mit Angst besetzte Geräusch des Bohrers zu maskieren – und das, obwohl gerade das ‚active noise cancelling‘ ein sehr kostenintensiver Ansatz ist. Auch hat Philips einen Defibrillator für den Einsatz bei Notfällen entwickelt, der mit Stimme, Alltagsmetaphern – wie im Fall des zerknüllten Papiers – und Signaltönen arbeitet. In die Richtung könnte man gut weiterdenken.
Womit würden Sie im Medizintechnik-Bereich gern anfangen?
Natürlich bei den Geräten, die sowieso schon piepsen – damit sind wir zumeist im Bereich Langzeitbeobachtung und Monitoring. Interessant sind aber auch Anwendungen, bei denen der Arzt nicht direkt seinen Arbeitsbereich sieht, sondern auf die Hilfe einer Kamera angewiesen ist wie zum Beispiel bei der Endoskopie. Dort könnte man das, was ein Näherungssensor misst, akustisch umsetzen. Das kann man sich ähnlich, aber akustisch ausgefeilter, vorstellen wie eine Einparkhilfe beim Auto. Ganz besonders nützlich könnte das Klangdesign aber bei Produkten werden, mit deren Geräuschen ein Patient direkt konfrontiert ist, sei es auf der Intensivstation oder im Telemedizin- oder Homecare-Bereich.
Was hätte er Ihrer Meinung nach davon?
Wenn ein Gerät, an das ich angeschlossen bin, zu piepen anfängt, verursacht das in aller Regel eine angespannte Reaktion. Das könnte man vermeiden. Darüber hinaus ist natürlich das Entwickeln zielgruppengerechter Klänge denkbar: Der Mensch nimmt ja nicht in jeder Altersstufe den gleichen Frequenzbereich wahr, und auch darauf kann man eingehen.
Werden Geräte nicht zu teuer, wenn sie statt nur zu piepsen auch noch Klänge oder Stimmen wiedergeben sollen?
Die Piezoklangerzeuger, die üblicherweise eingesetzt werden, sind natürlich eine sehr kostengünstige Lösung. Man muss aber auch sehen, dass andere Branchen schon standardmäßig reduzierte MP3- Formate nutzen. Die Technik dafür wird zum Beispiel für Haushaltsgeräte in großen Stückzahlen hergestellt und ist entsprechend günstig – am Ende also nicht nennenswert teurer als die einfachen Klangerzeuger. Selbst Stimme als komplexes akustisches Signal lässt sich damit gut wiedergeben. Und im Prinzip stehen wir hier vor der gleichen Entwicklung wie bei Displays: Wo es vor kurzem nur einfache Bildschirme mit wenigen Schriften und Farben gab, sehen wir heute hohe Auflösungen, bunte Designs und benutzerfreundlichere Gestaltung. Dem Trend konnte sich niemand entziehen.
Die Benutzer der Medizingeräte sind schon überfordert von der Vielzahl der Alarme. Wird das besser mit einer Vielzahl von Klängen?
Nein, so einfach ist das natürlich nicht. Es gibt zwar in Normen schon Regeln zu Lautstärken, Melodien und Intervallen von Alarmen. An der insgesamt unbefriedigenden Situation ändert das aber nichts. Ansätze für neue Lösungen sind dennoch zu erkennen. So könnten wir heute schon bestimmte Zielpersonen im OP über Systeme, die im Ohr getragen werden, direkt erreichen. Damit bekäme jeder nur die Informationen, die er braucht und wird nicht von anderen Dingen abgelenkt. Aber da haben wir noch einen langen Weg vor uns. Und was Piep- oder Summtöne wie auch neue Klänge angeht, würde eine Standardisierung uns sicher viel weiter bringen.
Ist so etwas denn in Sicht?
Bisher nicht. Es gibt meines Wissens kein Land und auch keinen Hersteller von Medizingeräten, der auf diesem Gebiet besonders weit vorgedrungen ist. Das beinhaltet zugleich aber die Chance, mit neuen Produkten auf dem Markt gleich Standards zu setzen und die weiteren Entwicklungen entscheidend zu beeinflussen.
Sehen Sie für dieses Gebiet die gleichen Entwicklungspotenziale, die heute das Produktdesign generell erreicht hat?
Ja. Aber das wird ein Prozess sein, der sich über viele Jahre erstreckt.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Weitere Informationen Klangbeispiele aus dem Werbebereich sind unter www.audity-agentur.com zu hören. In einem Projekt wurde untersucht, ob und wie sich Geschmack – am Beispiel der Zitrone – akustisch darstellen lässt. Klangbeispiele aus der Medizin: http://med.audity.info/

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