Innenohr-Prothesen oder so genannte Cochlea-Implantate (CI) werden seit vielen Jahren eingesetzt, um bei Patienten mit Gehörverlust das Hörens wiederherzustellen. Doch ist dabei die spektrale Auflösung bisher begrenzt. Für die Betroffenen heißt das: Sobald Hintergrundgeräusche auftreten, ist Sprache schwer zu verstehen. Auch das Hören von Musik ist nur schwer möglich.
Forscher wollen diese Grenzen für Cochlea-Implantate überwinden und arbeiten dazu im Exzellenzcluster „Multiscale Bioimaging: Von molekularen Maschinen zu Netzwerken erregbarer Zellen“ (MBExC) zusammen.
Optische Stimulation für die Cochlea
Beteiligt ist unter anderem die Universitätsmedizin Göttingen (UMG), wo Prof. Dr. Tobias Moser, Direktor des Instituts für Auditorische Neurowissenschaften/InnenOhrLabor und sein Team haben bereits Pionierarbeiten geleistet: Das Gehör von Wüstenrennmäusen konnten sie erfolgreich mit Licht wiederherstellen, nachdem sie die Nervenzellen des Spiralganglions genetisch verändert hatten. Wird die Cochlea optisch stimuliert, verspricht dies einen deutlich verbesserten Höreindruck, da Lichtpulse sehr viel feiner zu steuern sind als elektrische Pulse, die beim klassischen CI eingesetzt werden. Die Gentherapie bedeutet allerdings ein höheres Risiko für Nutzer eines zukünftigen optischen CI.
Cochlea-Implantate mit Mikro-Leuchtdioden: Licht hilft Hören
Forscher aus Spanien und Italien haben nun gemeinsam mit dem Göttinger Team einen Durchbruch in der Technologie gemeldet: Mit Hilfe eines neu-entwickelten lichtgesteuerten pharmakologischen Wirkstoffs ließen sich Hörnervenzellen ausgewachsener Wüstenrennmäusen mittels Licht aktivieren. Die neu entwickelte Substanz reagiert auf eine einzige Wellenlänge blauen Lichts. Das funktioniert auch ohne eine genetische Manipulation: Sobald ein Lichtreiz kommt, aktiviert der Wirkstoff den Hörnerv. Das könnte die spektrale Auflösung von Cochlea-Implantaten gegenüber elektrischer Reizung verbessern.
Optisches Cochlea-Implantat setzt auf einen Wirkstoff
„Wir setzen eine Substanz ein, die sich wie eine ‚molekulare Prothese‘ chemisch an ein Rezeptorprotein in den Hörnervenzellen anlagert und diese aktiviert, wenn sie beleuchtet werden“, sagt Prof. Dr. Carlo Matera, der das Medikament synthetisiert hat. Die Tatsache, dass nun mehrere Wege zur Stimulation des Hörnervs zur Verfügung stehen, könnte das optische CI einem breiteren Kreis potenzieller Nutzer zugänglich machen.
In diesem Projekt haben Wissenschaftler vom Institute for Bioengineering of Catalonia (IBEC) und vom Institute for Advanced Chemistry of Catalonia (IQAC-CSIC) mitgewirkt – beide Institute sind in Barcelona, Spanien. Ebenfalls beteiligt war das Network Biomedical Research Center in Bioengineering, Biomaterials, and Nanomedicine (CIBER-BBN) im spanischen Madrid und die Universität Mailand in Italien unter der Leitung von Prof. Dr. Pau Gorostiza (IBEC und CIBER-BBN).
In künftigen Studien werden die Kooperationspartner das Medikament weiter verbessern und prüfen, wie genau es das Gehör wiederherstellt. „Unsere Computervorhersagen und tierexperimentellen Studien legen nahe, dass das Hören mit Licht das Potenzial hat, einen nahezu physiologischen Höreindruck zu ermöglichen. Bis zum Beginn einer klinischen Studie müssen noch einige Meilensteine erreicht werden“, sagt Prof. Dr. Tobias Moser.
Mehr über Cochlea-Implantate
Derzeit nutzen etwa eine Million Menschen auf der ganzen Welt ein Cochlea-Implantat (CI). Das CI ist ein chirurgisch implantiertes Gerät, das bei hochgradigem Hörverlust oder Taubheit eine Hörwahrnehmung wiederherstellt.
Mikrofone an der Außenseite des Geräts wandeln Schall in elektrische Signale um, die dann direkt den Hörnerv in der Cochlea stimulieren. Diese Struktur im Innenohr wandelt die Schallinformationen in Nervenimpulse um und sendet sie an das Gehirn.
Über das Exzellenzcluster
Das Göttinger Exzellenzcluster Multiscale Bioimaging: Von molekularen Maschinen zu Netzwerken erregbarer Zellen (MBExC) wird seit Januar 2019 im Rahmen der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder gefördert. Das übergeordnete Ziel ist, den Zusammenhang von Herz- und Hirnerkrankungen zu verstehen, Grundlagen- und klinische Forschung zu verknüpfen und damit neue Therapie- und Diagnostikansätze mit gesellschaftlicher Tragweite zu entwickeln.
https://mbexc.de/
Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität
Institut für Auditorische Neurowissenschaften
Prof. Dr. Tobias Moser, Sprecher des Clusters
E-Mail: tmoser@gwdg.de
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