Wer Medizinprodukte herstellt, achtet schon bei Entwicklung und Herstellung darauf, mikrobielle Kontaminationen zu verhindern. Das fordert die Medical Device Regulation (MDR) – und es bedeutet, bei Bedarf in einem Reinraum zu fertigen und ein für das Produkt geeignetes Sterilisationsverfahren auszuwählen. Am häufigsten entscheiden sich die Inverkehrbringer von Medizinprodukten aus Kunststoff für eines der beiden gängigsten Verfahren: etwa die Hälfte der Produkte durchläuft die Ethylenoxidsterilisation, weitere rund 45 % werden mit Gammastrahlen sterilisiert.
Toxizität und Verfügbarkeit sind die Knackpunkte
Beide Verfahren sind jüngst in die Kritik geraten. Bei dem Gas Ethylenoxid, kurz ETO, geht es um die Toxizität. Genau diese wird zwar gebraucht, um Keime auf der Oberfläche eines Medizinprodukts zu inaktivieren. Doch hat die European Chemical Association (ECHA) Ende 2020 in einem Statement Bedenken geäußert: Die ETO-Konzentrationen, denen Beschäftigte der Sterilisierungsbetriebe, aber auch die in der Umgebung lebende Bevölkerung ausgesetzt seien, wurden als „nicht tolerierbar“ eingestuft. Die Daten, die dieser Einschätzung zu Grunde liegen, wurden bei vier ETO-Sterilisationsanlagen in Europa erhoben. Schon 2019 hatte die zuständige US-Behörde, die Food and Drug Administration (FDA), auf zunehmende Bedenken reagiert und eine „Innovation Challenge“ ausgerufen: Gesucht wird nach Möglichkeiten, die ETO-Belastungen auf ein Minimum zu reduzieren und Alternativen zu identifizieren.
Auf ETO zu verzichten, ist jedoch nicht einfach. Für Kunststoffprodukte beispielsweise ist diese Art der Sterilisation oft das Verfahren der Wahl. Der Hauptgrund dafür ist die gute Materialverträglichkeit. Die derzeit häufigste Alternative ist die Behandlung durch Gammastrahlung, die von Cobalt-60 emittiert wird. Sie hinterlässt keine Rückstände. Bei Kunststoffprodukten können sich durch die Bestrahlung aber Probleme ergeben. Polypropylen (PP), Polyoxymethylen (POM) oder Polytetrafluorethylen (PTFE) beispielsweise reagieren auf die Strahlen, sie vergilben und verspröden.
Strahlensterilisation von Medizinprodukten könnte teurer werden
Doch es gibt noch einen Aspekt, der bei der Strahlensterilisation zu beachten ist. Die Medical Mountains GmbH, Tuttlingen, stellte kürzlich in einem Positionspapier die Versorgungssicherheit für Cobalt-60 in Frage. Es gebe schon jetzt nur wenige Zulieferer für dieses Material. Falls durch die ETO-Problematik die Nachfrage nach der Gammastrahlen-Sterilisation zunehme, könne das die Kosten weiter steigen lassen – wobei diese zwischen 2019 und 2021 bei Dosisverifikationsexperimenten gemäß ISO 11137-2 bereits auf das Zehnfache gestiegen seien.
Vor diesem Hintergrund stellt sich für Inverkehrbringer von Medizinprodukten aus Kunststoff mittelfristig die Frage, ob und wann ein Umsteigen auf ein anderes Sterilisationsverfahren ansteht – was eine Neuqualifizierung mit sich brächte. Allerdings ist dieses Szenario nicht in der nächsten Zeit zu erwarten. Da Medizinprodukte als systemrelevant gelten, werden aktuelle Technologien so lange Bestand haben, bis Alternativen ausgereift, verfügbar und regulatorisch beschrieben sind. Das dürfte, grob geschätzt, für die nächsten zehn Jahre der Fall sein. Die FDA hat sich in die Suche nach neuen Verfahren allerdings bereits eingeschaltet. Das zeigt die Dringlichkeit, bestätigt aber auch, dass Hersteller nicht von heute auf morgen neue Technologien im Alleingang qualifizieren müssen. Die FDA wird im Rahmen der Innovation Challenge mit Anbietern alternativer Verfahren bewerten, ob diese industriell einsetzbar und für Medizinprodukte geeignet sind.
Was zur Sterilisation von Medizinprodukten zu bedenken ist
Dennoch ergeben sich für Inverkehrbringer von Medizinprodukten bereits heute drei Absicherungsstrategien, um Risiken rund um die Sterilisation abzufedern und für die Zukunft gewappnet zu sein. Dabei geht es darum
- die Abhängigkeit zu verringern
Wer bisher nur mit einem Dienstleister zusammenarbeitet, sollte rechtzeitig nach weiteren suchen und diese qualifizieren. Nur so ist ein schnelles und flexibles Ausweichen möglich. - Alternativtechnologien zu prüfen
Wenn Medizinprodukte sowohl mit Ethylenoxid als auch mit Gammastrahlung und Elektronenstrahlung sterilisierbar sind und diese Verfahren qualifiziert wurden, bedeutet dies maximale Flexibilität und Sicherheit – denn alle drei sind etablierte und regulatorisch akzeptierte Verfahren. - Zukunftstechnologien zu beachten
Die FDA hat für ihre Betrachtungen sechs Zukunftstechnologien ausgewählt: Sterilisation mittels superkritischem Kohlendioxid, die Stickstoffdioxidsterilisation, die beschleunigerbasierte Strahlensterilisation wie E-Beam und X-Ray, die Wasserstoffperoxidgassterilisation und die Wasserstoffperoxid-Ozon-Sterilisation.
Verfahren, die auf einer beschleunigerbasierten Strahlensterilisation beruhen, sind regulatorisch über die ISO 11137 bereits akzeptiert. Daher empfiehlt es sich, hierfür zuallererst die Machbarkeit für das eigene Medizinprodukt zu bewerten.
Für die anderen Technologien existieren noch wenig Erfahrungswerte. Eventuelle Auswirkungen auf Kunststoffe wie eine chemische Schädigung der Polymere oder Restgas-Konzentrationen auf der Oberfläche müssen für jede Kunststoffklasse untersucht werden. Sich bei der Sterilisation breiter aufzustellen, ist für Hersteller aber schon jetzt sinnvoll.
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