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Durchbruch für die Plasmasterilisation – Forscher validieren Anlage

Sterilisation: Industrie verliert Scheu vor Plasma-basierten Verfahren
Durchbruch für die Plasmasterilisation

Durchbruch für die Plasmasterilisation
Die Produkte werden in diese Kammer eingebracht, in der ein elektrisches Feld aus einem definierten Gasgemisch Ionen, Radikale und UV-Strahlung erzeugt (Bild: RUB)
Plasmasterilisation für Medizinprodukte ist nicht länger nur ein FuE-Thema: Forschern und ihren Partnern aus der Industrie ist es gelungen, eine kommerzielle Anlage zu entwickeln und zu validieren. Dieser Sterilisator befindet sich derzeit in der Markteinführung.

Sterilisation ist ein wesentlicher Verfahrensschritt in der Medizintechnik, bei der unterschiedliche Methoden eingesetzt werden können. Durch das Autoklavieren, die Behandlung mit Wasserstoffperoxid oder anderen toxischen Chemikalien oder durch die Bestrahlung mit Elektronen oder Gamma-Teilchen lassen sich zahlreiche Keime abtöten oder inaktivieren. Alle diese konventionellen Verfahren besitzen Vor- und Nachteile. Insbesondere die Behandlung von empfindlichen Kunstoffen in der Medizintechnik gestaltet sich schwierig, da diese durch hohe Temperaturen, durch chemische aggressive Substanzen oder Strahlung beeinträchtigt werden. Genau für diesen Anwendungsfall bietet die Methode der Niederdruck-Plasmasterilisation große Vorteile. Hier wird das zu sterilisierende Objekt in einen Vakuumrezipienten eingeschleust. Im Anschluss wird ein Prozessgas bei niedrigem Druck eingelassen. Elektrische Feldern überführen es in den so genannten Plasmazustand: Das Gas wird ionisiert und dissoziiert. Dabei entstehen Ionen, reaktive Neuralteilchen (Radikale) und intensive UV-Strahlung. Das Plasma dient hier also, anders als beim Sterrad-Verfahren, nicht nur dazu, H2O2-Moleküle zu dissoziieren, sondern ist selbst wirksam.

Keime werden durch Bausteine des Plasmas inaktiviert

Wie dieses Plasma zusammengesetzt ist, hängt von der verwendeten Gasmischung sowie der Methode der Plasmaerzeugung ab und lässt sich steuern. Als Gase kommen Edelgase, Wasserstoff, Stickstoff oder auch Sauerstoff in Frage. Die Reaktionsprodukte des jeweiligen Plasmas treffen auf die Oberflächen des zu sterilisierenden Körpers. Wenn sich dort Keime befinden, werden sie im Kontakt mit den Plasmabausteinen inaktiviert – und zwar auf eine jeweils spezifische Art und Weise, die die Plasmasterilisation in einzigartiger Weise miteinander vereint.
Bakterien zum Beispiel werden vor Allem durch die intensive UV-Strahlung inaktiviert, die das Erbmaterial schädigt, zu DNA-Strangbrüchen führt und die weitere Vermehrung unterbindet. Bei pathogenen Biomolekülen wie Pyrogenen, Prionen oder Viren hingegen ist eine chemische Ätzwirkung notwendig, um das biologische Material von der Oberfläche zu entfernen. Ist der zu sterilisierende Körper vom Plasma umgeben, wird sowohl eine intensive und gleichmäßige UV-Bestrahlung von allen Seiten gewährleitest als auch eine Ätzwirkung, die abgetötetes Material von den Oberflächen entfernt und zugleich eine darunterliegende oder abgedeckte Verkeimung zuverlässig entfernt.

Plasmasterilisation ist ein schneller Prozess

Die Gastemperaturen in diesen Plasmen bleiben dabei ungefähr bei Raumtemperatur, was die thermische Belastung der zu sterilisierenden Objekte gering hält. Viele medizinische Kunststoffe können so überhaupt erst entkeimt werden. Die Plasmasterilisation ist zudem ein äußerst schneller Prozess, so dass je nach Anwendung Zeiten unter 1 min ausreichend sein können.
Diese Eigenschaften der Plasmasterilisation wurden an vielen Forschungsstandorten weltweit beschrieben. In dem EU-Projekt Biodecon wurde diese Expertise in den vergangenen Jahren gebündelt. Zudem konnte gezeigt werden, dass es sogar möglich ist auch Prionen, wie die BSE-Erreger, abzutöten.
Trotz der Erfolge der Plasmasterilisation war die kommerzielle Umsetzung der Methode und die Einführung in den Klinikalltag oder die Prozessketten der Pharmaindustrie lange Zeit eine unüberwindliche Hürde: Das finanzielle Risiko einer aufwendigen und kostenintensiven Validierung und Genehmigung durch die EMEA oder die FDA schien zu groß. Zudem wurden die Vorteile der Plasmasterilisation für bestimmte Anwendungsfälle nicht klar identifiziert.
Bei der herkömmlichen H2O2-Sterilisation können zum Beispiel große Produktmengen gleichzeitig behandelt werden, während bei der Plasmasterilisation der Prozess immer an das Objekt und die Art der Verkeimung angepasst werden muss. Eine typische Anwendung wie die Sterilisation von Operationsbesteck im Klinikalltag ist daher mittels Plasmaverfahren nur sehr aufwendig zu realisieren.

Pharma-Anwendung war der Anstoß für kommerzialisierte Plasmasterilisation

In der Pharmaindustrie hingegen müssen große Mengen gleichartiger Produkte behandelt werden, die in der Regel einem definierten Verunreinigungsszenario ausgesetzt sind. Genau für solche Anwendungen ist die Plasmasterilisation perfekt geeignet, und eine solche war auch Grundlage für den Durchbruch bei der Kommerzialisierung der Methode.
Die Groninger & Co. GmbH, ein Anlagenausrüster der Pharmaindustrie mit Sitz in Crailsheim, hat in Zusammenarbeit mit der Ruhr-Universität Bochum und der Bochumer PAC GmbH & Co KG einen Plasmasterilisator entwickelt. Damit lassen sich Sekundärbehälter, in diesem Fall so genannte Tubs, entkeimen. Das sind Polystyrolbehälter, die mit Spritzen bestückt sind. Diese müssen in den Sterilbereich eines Pharmaunternehmens eingeschleust werden, um sie dort mit Arzneimitteln befüllen zu können. Genau bei diesem Einschleusen können allerdings Verunreinigungen in den Reinraum eingetragen werden. Daher ist ein Isolator für die Übergabe der Tubs notwendig, der den sterilen Bereich abgrenzt.
Bei der technischen Realisierung eines solchen Isolators auf Basis der Plasmasterilisation wurde ein Wasserstoffplasma gewählt. Es wird durch induktive Hochleistungsquellen erzeugt und ist in seinen Eigenschaften auf effektive UV-Strahlung optimiert. In diesen Plasmasterilisator werden die Tubs vollautomatisch von der nicht sterilen Seite eingeladen und etwa 20 s mit Plasma behandelt. Dann verlassen sie die Anlage auf der sterilen Seite. Die Zykluszeit inklusive Evakuierung, Plasmabehandlung und nachfolgender Belüftung der Anlage inklusive Ausschleusen beträgt nur 1 min je Tub – insgesamt lassen sich 100 Spritzen gleichzeitig behandeln. Eine Verdoppelung der Teilezahl ist leicht zu bewerkstelligen.

Plasmasterilisation günstiger als Elektronenstrahl-Sterilisation

Bisher wurden solche Anwendungsfälle mit der Elektronenstrahl-Sterilisation realisiert. Diese Methode sterilisiert 600 Spritzen pro Minute, ist allerdings technisch sehr aufwendig, benötigt eine große Stellfläche im kostbaren Reinraum und Bedienpersonal mit Strahlenschutzausbildung. Demgegenüber ist ein Plasmasterilisator effizienter und kostengünstiger, so dass das Interesse der Pharmaunternehmen entsprechend groß ist. Eine erste Anlage ist bei einem der Weltmarktführer bereits in Betrieb gegangen. An einer Hochskalierung der Methode wird gegenwärtig gearbeitet.
Dieser Durchbruch bedeutet für die Plasmasterilisation den ersten Schritt zur Markteinführung. Da sie auf bestimmte Anwendungsszenarien zugeschnitten werden kann, ist sie nun äußerst konkurrenzfähig.
  • Peter Awakowicz, Achim von Keudell, Marc Böke, Jörg Winter / Ruhr-Universität Bochum
  • Wenzel Novak, Egmont Semmler, Roland Schmelzle / Groninger, Crailsheim
Weitere Informationen
Research Department Plasma der Ruhr-Universität Bochum: www.rd.ruhr-uni-bochum.de/plasma/
Über den Anlagenbauer Groninger: www.groninger.de
Über den Plasmaquellenhersteller: www.plasma-applications.de/

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