Die Veröffentlichung der „Implant Files“ hat den MedTech-Markt in Aufregung versetzt. Schnell wurden Rufe nach einer Verschärfung des Rechtsrahmens für Medizinprodukte laut. Bei sachlicher Betrachtung zeigt sich allerdings: Das Inverkehrbringen von Medizinprodukten und deren Überwachung sind schon jetzt durchaus streng geregelt. Verstöße, wie sie im Rahmen der Implant Files diskutiert geworden sind (bekannt waren die Fälle zum Teil schon länger), haben für die Verantwortlichen ernste rechtliche Konsequenzen.
Zulassung von Medizinprodukten in Europa
Wer in der EU Medizinprodukte in Verkehr bringen will, muss zunächst das CE-Kennzeichen an den Produkten anbringen. Das setzt nach geltendem Recht voraus, dass der Hersteller prüft und auch dokumentiert, dass seine Medizinprodukte den Anforderungen des EU-Medizinproduktrechts genügen. Dieses so genannte Konformitätsbewertungsverfahren wird auch nach den ab Mai 2020 anzuwendenden Regeln der Medical Device Regulation (MDR) erhalten bleiben.
Dabei muss der Hersteller die detailliert geregelten „Grundlegenden Anforderungen“ des Medizinproduktrechts erfüllen. Hierfür hat der Hersteller vor Inverkehrbringen ein Konformitätsbewertungsverfahren durchzuführen, bei der die Zweckbestimmung, die Sicherheit sowie die technische und die medizinische Leistung eines Medizinprodukts geprüft wird. Zudem muss er eine Risikoanalyse des Produktes durchführen. Je risikoträchtiger das Produkt, desto strenger sind die Anforderungen an die Konformitätsbewertung. Zudem muss der Hersteller die für die technischen Aspekte seines Produktes geltenden Industriestandards (DIN ISO 13845) einhalten und über ein zertifiziertes Qualitätsmanagementsystem verfügen.
Wie streng die Maßstäbe des Konformitätsbewertungsverfahrens sind, hängt von der Risikoklasse des Medizinprodukts ab. Während unkritische Medizinprodukte der Klasse I wie zum Beispiel Thermometer, Lesebrillen oder auch viele Medical Apps allein in Verantwortung des Herstellers zertifiziert werden können, bedarf es für Produkte höherer Risikoklassen (IIa, IIb, III) wie zum Beispiel Zahnfüllungen, Intraokularlinsen, Gelenkimplantate und Herzschrittmacher der Konformitätsbewertung durch eine externe benannte Stelle. Benannte Stellen sind neutrale, nicht-staatliche Stellen, die die Kriterien nachweislich kompetent beurteilen können (zum Beispiel der TÜV oder die Dekra).
Ein behördliches Zulassungsverfahren – wie es bei Arzneimitteln vorgeschrieben ist – gibt es selbst für Hochrisikoprodukte bislang nicht. Der Hersteller entscheidet, welche der europaweit etwa 55 benannten Stellen er mit der Konformitätsbewertung beauftragt. Dieses System wird in Zusammenhang mit den Implant Files kritisiert, weil sich der Hersteller an die benannte Stelle wenden könne, welche europaweit die geringsten Anforderungen für eine erfolgreiche Konformitätsbewertung stellen würde. Gleichzeitig seien benannte Stellen (im Unterschied zu neutralen Zulassungsbehörden) von der Auftragserteilung durch die Medizinproduktindustrie wirtschaftlich abhängig, was die Objektivität der Bewertung in Frage stelle. Auch nach der ab Mai 2020 geltenden Medizinproduktverordnung bleiben jedoch die benannten Stellen die zentrale Prüfinstanz vor Inverkehrbringen von Medizinprodukten oberhalb der Klasse I.
Überwachung des Medizinproduktmarktes – heute und morgen
Das Produktsicherheitsrecht in der EU betont generell die Eigenverantwortung der Marktteilnehmer. Hersteller, Betreiber, Anwender und Händler eines Medizinprodukts sind danach gleichermaßen verpflichtet, dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) unverzüglich Meldung zu machen, wenn von einem Produkt schwerwiegende Gefahren ausgehen können. Gleichzeitig müssen sie unverzüglich die erforderlichen Korrekturmaßnahmen wie zum Beispiel Produktrückrufe und Informationen der behandelnden Ärzte und Anwender einleiten, um sicherzustellen, dass das Produkt den rechtlichen Anforderungen entspricht. Lässt sich dies nicht sofort umsetzen, müssen sie das Produkt vom Markt nehmen – dürfen es also nicht weiter verkaufen – oder gar zurückrufen. Waren bei der Konformitätsbewertung benannte Stellen eingebunden, müssen die Hersteller oder Händler diese ebenfalls informieren.
Unangekündigte Audits durch die benannten Stellen finden bisher zumeist nur auf freiwilliger Basis statt, das heißt, die Hersteller müssen sich darauf nicht einlassen. Angekündigte und unangekündigte Kontrollen führen lediglich die zuständigen Behörden der Bundesländer (meist die Regierungspräsidien) durch; sie kontrollieren die Produkte dann anhand angemessener Stichproben im Feld oder gehen konkreten Hinweisen auf mögliche Produktrisiken oder -fehler nach. Besteht hinreichender Anlass, dass von einem Produkt eine Gefährdung ausgehen kann, können die Behörden anstelle des Herstellers sofort alle erforderlichen Korrekturmaßnahmen (Rückruf, Information der Öffentlichkeit.) anordnen, um so eine konkrete Produktgefahr abzuwenden.
UDI und stärkere Überwachung durch die MDR
Um den Markt noch besser zu überwachen, wird im Rahmen der MDR ein Rückverfolgungssystem in Form der einmaligen Produktkennung eingeführt werden, die so genannte Unique Device Identification (UDI). Jedes einzelne Produkt und auch seine Verpackungen tragen dann eine einzigartige und damit nachverfolgbare Kennzeichnung, die für Menschen und Maschinen lesbar sein muss. Die Verbindlichkeit der UDI-Produktkennzeichnung ist zeitlich je nach Risikoklasse gestaffelt und beginnt für Produkte der Risikoklasse III ab dem 26. Mai 2021, für Produkte der Klassen IIa und IIb ab dem 26. Mai 2023 und für Produkte der Klasse I ab dem 26. Mai 2025. Korrespondierend werden auch die Meldepflichten in Bezug auf unerwünschte Vorkommnisse verschärft, insbesondere werden die Meldefristen verkürzt und auch Trends sind zu melden.
Ihrer Eigenverantwortung sollten die Hersteller von Medizinprodukten unbedingt gerecht werden und die Performance ihrer Produkte im Markt immer wieder auch selbst kritisch überprüfen. Stellt sich bei einem fehlerhaften Produkt später heraus, dass Verletzungen durch eine angemessene derartige Überwachung hätten vermieden werden können, haften die Hersteller gegenüber den Geschädigten auf Schadensersatz und Schmerzensgeld.
Inverkehrbringen gesundheitsgefährdender Medizinprodukte
Der Vertrieb von Medizinprodukten mit unvertretbaren Gesundheitsrisiken (splitternde Wirbelsäulenprothesen, giftige Materialien) oder das Unterlassen von Meldungen über unerwünschte Vorkommnisse, wie sie auch in der Berichterstattung unter dem Stichwort Implant Files geschildert werden, können zu einer zivilrechtlichen Haftung der Hersteller und zu empfindlichen strafrechtlichen Sanktionen für die verantwortlichen Personen führen.
Hersteller von fehlerhaften Medizinprodukten haften zusammen mit ihren Zulieferern und Importeuren in den Europäischen Wirtschaftsraum als Gesamtschuldner gegenüber den Patienten auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Auf ein Verschulden der Hersteller kommt es dabei in aller Regel nicht an – Medizinprodukte fallen unter das Produkthaftungsgesetz, das kein Verschulden voraussetzt. Ein Konstruktions- oder Herstellungsfehler sowie eine Verletzung von Marktbeobachtungs- oder Informationspflichten genügt. Insbesondere Krankenversicherungen verlangen zunehmend Ersatz der Kosten der medizinischen Versorgung, die durch fehlerhafte Medizinprodukte verursacht werden.
Mitarbeiter und Führungspersonen des Herstellers können mit empfindlichen Freiheitsstrafen oder Geldstrafen belegt werden, wenn sie nachweislich daran beteiligt waren, dass ein Medizinprodukt in Verkehr gebracht wurde, bei dem der begründete Verdacht besteht, dass es die Sicherheit und Gesundheit mehr als medizinisch vertretbar gefährdet, etwa weil der Nutzen für den Patienten nicht belegt, jedoch die Verwendung des Produkts mit erheblichen Gesundheitsrisiken und Beeinträchtigungen verbunden ist. Hinzukommen können Geldbußen gegen das Herstellerunternehmen. Bereits ein Ermittlungsverfahren belastet Unternehmen und seine Mitarbeiter erheblich.
Wenn ab Mai 2020 die MDR verbindlich wird, müssen Hersteller und andere für das Inverkehrbringen Verantwortliche zudem Haftpflichtversicherungen abschließen, die der Risikoklasse, der Art des Produkts und der Unternehmensgröße angemessen sind. Das soll sicherstellen, dass Geschädigte bei Produktfehlern auch dann abgesichert sind, wenn der Hersteller insolvent wird. Eine vergleichbare Regelung gibt es bislang nur im Arzneimittelbereich.
Aus Expertensicht
Mehr Überwachung ist wahrscheinlich
Welche Entwicklungen in der Überwachung der Gesundheitsbranche für die Zukunft anstehen und wo sich die Vorgaben verschärfen könnten, erläutern die Rechtsanwälte Dr. Enno Burk LL.M. und Dr. Simon Wagner im Interview.
Herr Dr. Burk, Herr Dr. Wagner, welche Entwicklungen erwarten Sie bei den rechtlichen Anforderungen an Medizinprodukte?
Burk: Die Implant Files werden die Diskussionen um eine stärkere Überwachung des Medizintechnikmarktes weiter befeuern. Die Vielzahl der bekannt gewordenen Vorfälle könnte dazu führen, dass schließlich doch ein Zulassungsverfahren eingeführt wird, wie es bereits im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zu den neuen EU-Medizinproduktverordnungen zumindest für Hochrisikoprodukte der Klasse III und Implantate gefordert wurde. Dann würden zukünftig unabhängige Behörden über die Unbedenklichkeit von kritischen Medizinprodukten entscheiden.
Welche zusätzlichen Tests oder Studien kommen auf die Medizinproduktindustrie zu?
Wagner: Die Implant Files können unmittelbar dazu führen, dass die benannten Stellen stärker als bisher aussagekräftige Leistungsdaten über die Sicherheit und Unbedenklichkeit des Medizinprodukts auch bei Langzeitanwendung im Rahmen einer klinischen Studie verlangen. Dies kann die Markteinführung von neuen Produkten verzögern und die Kosten der Entwicklung erhöhen. Mittelfristig werden bedingt durch die ab 2020 für die Konformitätsbewertung verbindlich anzuwendende Medizinproduktverordnung ohnehin mehr klinische Studien vor Inverkehrbringen von Medizinprodukten durchgeführt werden müssen, als dies in der Vergangenheit der Fall war.
Welche Tendenzen aus anderen Branchen könnten die Entwicklung prägen?
Burk: Das Bundesgesundheitsministerium hat erst Mitte November mit dem Referentenentwurf des Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) gezeigt, dass es für den Bereich der Arzneimittelüberwachung – auch gegen die Interessenverbände – eine engmaschigere Überwachung umsetzen will. Es ist angesichts des Ausmaßes der über die Implant Files veröffentlichten Vorgänge wahrscheinlich, dass der Gesetzgeber auch in diesem Bereich mit einer verschärften Überwachung der Hersteller und benannten Stellen reagieren wird.
Welche rechtlichen Fragen stehen für Medizinproduktehersteller derzeit – neben der MDR – noch im Fokus?
Wagner: Auch die Zusammenarbeit mit Ärzten und die Gefahr von Interessenkonflikten bei der Entwicklung von Medizinprodukten und von Behandlungsleitlinien könnte auf den Prüfstand geraten. Eine fundierte Product-Compliance-Organisation wird für die Hersteller damit noch wichtiger werden. Die Organisation im Unternehmen muss gewährleisten, dass Risiken früh erkannt und bestmöglich abgestellt werden. (op)
Mehr Reaktionen auf die Implant Files
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