Bei der digitalen Pathologie geht es um die Analyse und Bewertung von Gewebeschnitten. Sie hilft Krebsdiagnostik zu betreiben und im Bereich der Pharmaforschung Therapeutika zu entwickeln. Ein Ziel der digitalen Pathologie in der Krebsdiagnostik ist es nachzuweisen, wie Krebszellen auf bestimmte Substanzen reagieren. Zudem lassen sich Interaktionen mit Immunzellen darstellen. Das Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen IIS in Erlangen, langjähriges Mitglied im Forum Medtech Pharma e.V. und auch aktiv beteiligt im „Arbeitskreis Digitale Diagnostik“, hat hierfür eine Plattform namens Micaia entwickelt. Micaia ist eine Software, die großvolumige Bild-Datensätze von digitalisierten Gewebeschnitten schnell analysieren kann. Sie beinhaltet verschiedene Apps für Gewebeklassifizierung, Zellzählung sowie Biomarker-Quantifizierung. Doch was ist der Vorteil gegenüber bisherigen Auswertungsverfahren?
Dr. Christian Münzenmayer, Abteilungsleiter Digital Health Systems am Fraunhofer IIS, ist überzeugt, dass die quantitative Auswertung – anders als die bisherige visuelle Schätzung – viel präziser ist. So können datengetriebene Verfahren angewandt werden, die ein viel besseres Verständnis von Tumorentwicklung und Immunreaktion ermöglichen und die Wirksamkeit von Substanzen quantifizieren. Auf der therapeutischen Seite ermöglichen derartige quantitative Verfahren perspektivisch viel genauere Cut-Offs für die Präzisionsmedizin beziehungsweise die individualisierte Medizin.
Aktuell beschäftigen sich Dr. Münzenmayer und sein Team in der Arbeitsgruppe von Dr. Volker Bruns damit, weitere Analyse-Apps sowie durch den Benutzenden interaktive und schnell anpassbare Algorithmen zu integrieren, deren Anwendungen und Einsatzmöglichkeiten sehr vielfältig und unterschiedlich sind. Zudem ist das Thema „Spatial Biology“ (auch Proteomics, Spatial Genomics oder Spatial Transcriptomics) von zunehmender Relevanz für die Forschungsarbeiten am Fraunhofer IIS.
Krebsdiagnostik: Interaktion von Zellen visualisieren und analysieren
Im Grunde genommen geht es hierbei um die klassische Bildgebung von Zellen und Geweben im Verbund, kombiniert mit räumlich aufgelösten Informationen über die Genetik und Proteine. Dies wird durch etablierte molekularbiologische Techniken wie Immunfluoreszenz und Next Generation Sequencing ermöglicht. Die Verfahren gibt es bereits seit längerem. Bislang war es aber nicht möglich, deren Ergebnisse auch in der räumlichen Zuordnung zum Gewebe zu sehen. In diesem Kontext sind verschiedene neue Fragestellungen zu den Verhältnissen und Interaktionen zwischen Zellen bei der Bildanalyse relevant. Dies betrifft neben der Zellklassifizierung auch die Erkennung des Zellzustandes beziehungsweise wie Produkte einer Zelle die Nachbarzellen in ihrem sogenannten Microenvironment beeinflussen.
Mit dieser Analyse lässt sich visualisieren, wie Zellen interagieren und in ihrem Ansprechverhalten angeregt oder gebremst werden können. Hieraus lässt sich ableiten, warum und wie gut gewisse Tumorentitäten auf eine Behandlung ansprechen. Dies ermöglicht es, die Krankheit genauer zu charakterisieren, wirksame Substanzen zu identifizieren und eine Patienten-Stratifizierung vorzunehmen.
„Von den heutigen Einzelapplikationen, zum Beispiel bei der Detektion von Pathologien, geht es künftig vermehrt darum, Verfahren in Workflows einzubinden. Das heißt, Versorgungsworkflows nicht nur als punktuelle Lösung, sondern als Workflow-Steuerung zu integrieren. Das ist deshalb so wichtig, weil die Zahl der Fachkräfte abnimmt, demgegenüber aber das Probenaufkommen um etwa 10 Prozent pro Jahr steigt“, so Dr. Christian Münzenmayer. Je mehr neue Behandlungsformen, desto mehr neue Marker und Analysen braucht es, um diese personalisierten Therapien überhaupt nutzen zu können. Es gibt also einen unglaublichen Bedarf. KI-basierte Verfahren zeigen hier hohes Potenzial, um Workflows zu optimieren und dem hohen Proben- und Datenaufkommen gerecht zu werden.
Dieses Thema wird nicht nur im Arbeitskreis des Forum Medtech Pharma mit verschiedenen Expertinnen und Experten diskutiert, sondern auch auf dem internationalen Kongress Medtec Summit vom 23. bis 25. Mai 2023 in Nürnberg vertieft.
Handhelds und Wearables für nichtinvasiven Echtzeitzugriff
Ein weiteres Mitglied im Netzwerk des Forum Medtech Pharma, das sich ebenso mit datengetriebener Diagnostik befasst, ist die Vitascale GmbH aus Nürnberg. Das Unternehmen wurde 2018 gegründet und ist auf nichtinvasive Messung von Gesundheitsparametern auf Basis von Atemgasen und Speichel spezialisiert. Zielsetzung von Vitascale ist es, Produkte zu entwickeln, die patiententauglich und nicht nur im medizinischen Bereich, sondern auch im Alltag einsetzbar sind. Die Handhelds und Wearables – in Verbindung mit einer Software (App) – ermöglichen den nichtinvasiven Echtzeitzugriff auf Gesundheitsdaten wie Stoffwechselfähigkeit, Resilienz und Lungenfunktion. Die Daten sind sofort verfügbar, ohne teure Labordiagnostik sowie ohne Schmerzen und zeitaufwändige Prozeduren. Die Patientinnen und Patienten sind weniger gestresst. Diagnosen können schneller, öfter und breitflächiger erstellt werden. Und auch Präventionsmaßnahmen lassen sich frühzeitig einleiten – und das zu geringeren Kosten als bei bestehenden Diagnoseverfahren.
Für die Patientinnen und den Patienten selbst liegt der Vorteil auf der Hand: Wenn beispielsweise eine sich anbahnende Stoffwechselerkrankung wie Diabetes diagnostiziert wird, kann durch frühzeitiges, eigenverantwortliches Handeln ein irreversibler Langzeitschaden wie eine Augenerkrankung verhindert werden. Der Optimalfall wäre nun, dass man über die App seinen Hausarzt oder Diabetologen ins Boot holen kann, um die Daten sofort mit medizinischem Fachpersonal zu teilen und somit richtig therapiert werden zu können. Die Integration in ein telemedizinisches System steht noch aus, obwohl die Vorteile auf der Hand liegen.
Aktuell ist die Telematikinfrastruktur noch nicht so weit entwickelt. Ein sicherer Datenaustausch zwischen Kliniken, niedergelassenen Ärzten und der Patientenschaft ist in Deutschland daher noch Zukunftsmusik. Die Technologien wie Sensorik und Algorithmik sind zwar weitgehend verfügbar. Der Weg zu ihrem Einsatz in der täglichen Routine birgt jedoch einige Herausforderungen, wie zum Beispiel rechtliche Rahmenbedingungen, die es zu lösen gilt.
Weitere Informationen
Mehr zum Thema gibt es vom 23. bis 25. Mai auf dem Kongress Medtec Summit zusammen mit der Medtec Live with T4M in Nürnberg:
Die Session „Datengetriebene Diagnostik – Von der Technologie zum Anwender“ findet am 24. Mai auf der Innovation Stage statt.
Sie bietet einen Überblick über die Technologie der sensorbasierten Diagnostik, den rechtlichen Rahmen in der EU und den USA, Anwendungsfälle für die digitale Diagnostik sowie die Bedürfnisse und Perspektiven der Nutzerinnen und Nutzer.