Frau Mutter, wie beeinflusst der EU-Austritt den europäischen Warenverkehr von Medizinprodukten?
Weil das Freihandelsabkommen sehr kurzfristig unterzeichnet wurde, blieb wenig Zeit, um sich auf die neuen Anmeldeverfahren und Prozesse einzustellen. Das beeinträchtigt den Warenverkehr. Unsere Mitglieder melden uns, dass sich Transport- und Logistikunternehmen wegen des hohen Aufwands aus dem Großbritannien-Geschäft zurückziehen. Dadurch verringern und verteuern sich die Frachtkapazitäten. Hinzu kommt, dass vielen britischen Unternehmen die Erfahrung im Drittlandsgeschäft fehlt und sie sich mit den neuen Zoll- und Warenursprungsregelungen noch nicht genügend auskennen. Das verzögert die Prozessabläufe.
Was ändert sich für die Medtech-Hersteller aus regulatorischer Sicht?
Wir haben jetzt zwar mit Großbritannien ein Freihandelsabkommen ohne Zölle und Quoten, aber leider wurde keine Einigung über die gegenseitige Anerkennung der Konformitätsbewertung erzielt. Deshalb hat Großbritannien nun eigene Regelungen sowie eigene Konformitätsbewertungsstellen und -verfahren für Medizinprodukte.
Welche Bedeutung hat das neue UK-Conformity-Assessment-Verfahren für die Medizintechnik-Branche?
Großbritannien ist aus der EU ausgetreten, weil es die Hoheit über die eigene Rechtsetzung wiederhaben wollte. Deshalb war klar, dass es dort ein eigenes regulatorisches Regime für Medizinprodukte geben würde – und das wurde entsprechend umgesetzt: Seit Januar müssen sich Unternehmen bei der zuständigen Behörde MHRA registrieren. Auch die Produkte müssen registriert werden, wobei es für die verschiedenen Produktklassen Übergangsvorschriften zwischen vier und zwölf Monaten gibt. Hersteller außerhalb des Vereinigten Königreichs benötigen zudem eine „UK-Responsible Person“ mit Sitz in UK, um Medizinprodukte dort in Verkehr bringen zu können. Zudem gibt es seit dem 1. Januar das neue UKCA-Zeichen für Produkte, welches die CE-Kennzeichnung ersetzen soll.
Was müssen Hersteller bei der neuen Kennzeichnungspflicht beachten?
Wichtig ist zunächst, dass es für die Kennzeichnungspflicht mit dem neuen UKCA-Zeichen eine Übergangsfrist bis 30. Juni 2023 gibt. In dieser Zeit wird in Großbritannien weiterhin das CE-Kennzeichen anerkannt. Umgekehrt erkennt die EU das UKCA-Zeichen aber nicht an.
Hersteller müssen sich zudem mit dem britischen Recht beschäftigen und künftige britische Standards einhalten, die sich vermutlich an den internationalen und europäischen Standards ausrichten werden. Für das UKCA-Zeichen gelten bestimmte Verfahren und Richtlinien.
Besteht die Gefahr, dass Produkte kleinerer Hersteller aus Europa nicht mehr nach Großbritannien gelangen, da der Aufwand der Registrierung und der Kennzeichnungspflicht zu groß ist?
Die Gefahr besteht definitiv, wenn man bedenkt, was die Hersteller alles beachten müssen, um ein Produkt in Verkehr zu bringen. Sicherlich werden sich Unternehmen, die kleinere Produktchargen oder ein Nischenprodukt haben, die Frage stellen, ob sie den Aufwand für ein spezifisches Marktsegment wie Großbritannien leisten können, wenn sie kosteneffizient arbeiten wollen.
Weitere Informationen zum Brexit
EU-Austritt der Briten bringt mehr Bürokratie und eine neue Produktkennzeichnung für Medizinprodukte
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Spectaris verfügt über ein breites Netzwerk und Kontakte in die zuständigen Stellen in Großbritannien. Auf der Website gibt eine Brexit-Sonderseite einen Überblick über die neuen Leitlinien und die Auswirkungen des EU-Austritts auf Waren- verkehr, Zoll- und Exportkontrolle.
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