Forscher entdecken einen wahren Wahrnehmungskatalysator: Ihre Versuchspersonen lernten Wörter schneller, wenn sie gleichzeitig zum Lesen ein Objekt in die Hand nahmen. Die Methode könnte einen Ansatz für Therapien, etwa nach Schlaganfällen, bieten.
Ein Wort zu hören oder zu sehen, heißt nicht, es sofort zu verstehen. Das Gehirn muss die Buchstaben als solche erkennen, zusammensetzen und im Gedächtnis „nachschlagen“, was das Wort bedeutet. „Neue Theorien der Kognitionsforschung nehmen an, dass unser Gedächtnis als Teil von Begriffen auch Körperempfindungen speichert“, sagt Privatdozent Dr. Dirk Koester. Der Kognitionspsychologe arbeitet in der Forschungsgruppe „Neurokognition und Bewegung – Biomechanik“ des Exzellenzclusters Kognitive Interaktionstechnologie (CITEC) an der Universität Bielefeld.
Verkörperung von Wissen
„Ein Wort wie ,Quirl‘ speichert das Gehirn wie in einem Lexikon ab und assoziiert es etwa mit Konzepten wie ,unbelebt‘ und ,Küchengerät‘. Zusätzlich verbindet es das Wort mit der eigenen Erfahrung, wie sich ein Schneebesen anfühlt und dass zum Beispiel eine Schleuderbewegung damit verbunden ist“, erklärt der Forscher. Mit einer neuen Studie mit 28 Versuchspersonen stützen Koester und seine Kollegen diese These des Embodiments (Verkörperung) von Wissen. Der zentrale Befund: „Wenn die Versuchspersonen beim Lesen ein Objekt ergreifen mussten, hat ihr Gehirn Teile der Wortbedeutung früher verarbeitet als in vorangegangenen Studien, in denen Wörter beurteilt wurden, ohne dass etwas gegriffen wurde“, sagt Koester.
Die Versuchspersonen saßen am Bildschirm und hatten drei nebeneinander liegende Würfel vor sich: einer so groß wie ein Apfel, einer wie ein Tischtennisball und einer wie ein Spielwürfel. Auf dem Bildschirm dahinter waren drei weiße Felder, ebenfalls nebeneinander. Nun erschienen Wörter in einem der Felder, mal Phantasiebegriffe und mal echte Begriffe. Wurde ein Pseudowort wie „Quarl“ eingeblendet, mussten die Probanden nichts tun. Erschien ein echtes Wort wie „Orange“, so sollten sie den unter dem Feld liegenden Würfel greifen. Eine EEG-Kappe zeichnete die Gehirnaktivität auf, so dass die Forscher anschließend auswerten konnten, wie das Wort verarbeitet worden war.
Verstehen beginnt früher
Früheren Studien zufolge dauert es eine Drittelsekunde, bis das Gehirn einen Begriff verarbeitet hat. „In unserer Studie konnten wir aber zeigen, dass das Verstehen schon deutlich früher, nach einer Zehntelsekunde beginnen kann – wenn eine Greifaktion erforderlich ist“, berichtet Koester. Die Untersuchung belege damit nicht nur, dass das Gehirn über gemeinsame Steuerprogramme für Sprache und Bewegung verfüge. „Die Studie zeigt auch, dass sich die Verarbeitungsschritte unseres Gehirns sehr schnell verändern und an aktuelle Aufgaben anpassen – hier an die Aufgabe, beim Lesen zu greifen.“
Therapie bei Sprachstörung nach Schlaganfall
Erkenntnisse aus der Studie könnten laut Koester zukünftig auch für Therapien genutzt werden, zum Beispiel bei Aphasie, einer Sprachstörung nach Schlaganfällen. „Die Patienten könnten vergessene Wörter trainieren, indem sie ähnlich wie in unserem Experiment nicht nur verbal, sondern auch durch Greifbewegungen anzeigen, dass sie ein Wort erkennen. Sie üben also motorisch“, sagt Koester. „Das Wortwissen würde so durch die Hintertür der Bewegungskontrolle gestärkt werden.“
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