Mäandernde Kupferbahnen in einem gängigen Trägermaterial sind die Basis für neue Messmöglichkeiten am Körper. Mit so genannten dehnbaren Leiterplatten wollen Berliner Forscher nicht nur feststellen, wo der Schuh drückt und ob der Verband gut sitzt.
Dehnbare Leiterplatten? Dr. Thomas Löher, vom Fraunhofer Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM) in Berlin erläutert, wozu man diese braucht: „Wenn Sensoren möglichst dicht an der Haut getragen werden müssen, zum Beispiel um bestimmte Vitalparameter zu überwachen, ist der Einsatz dehnbarer Leiterplatten hochinteressant: Sie passen sich jeder Bewegung an, lassen sich hervorragend in Textilien integrieren, sind körpergerecht und atmungsaktiv.“
Für Klapphandys, Laptops oder I-Pads gibt es so etwas ähnliches schon, nämlich die flexiblen Leiterplatten. Sie ermöglichen eine Biegung der Leiterplatte um eine Achse, weil genau diese Bewegung in den genannten technischen Geräten stattfindet. Dehnbare Leiterplatten sollen aber mehr können, sich an beliebigen Oberflächen anschmiegen und trotzdem funktionieren. Damit sich das in die Tat umsetzen lässt, arbeiten Forscher verschiedener Institute im EU-Projekt Stella (stretchable electronics for large area applications) zusammen. Dr. Thomas Löher ist einer von ihnen. „Potenzielle Anwendungen für so ein Produkt sind zahlreich“, sagt er, und vor allem die Medizin profitiere davon.
Vorläuferprodukte für eine elektronische Verbandseinlage haben Wissenschaftler vom IZM und der TU Berlin bereits entwickelt. Diese Einlage kann Druck und Feuchtigkeit in einem Verband messen. Weitere Ideen sind ein Strampelanzug, der die Atembewegung eines Babys erfasst und vor plötzlichem Kindstod schützen soll, oder eine Schuheinlage für Diabetiker, die Druckbelastung und Abnutzung der Fußsohle misst.
Die hellbraune Folie, die all das ermöglicht, erinnert in Konsistenz und Haptik an etwas zwischen Frischhaltefolie und dünner Silikon-Badekappe. Das Trägermaterial ist aber thermoplastisches Polyurethan – ein Kunststoff, der in der Textilindustrie verbreitet ist und zum Beispiel als atmungsaktive Membran in Regenbekleidung genutzt wird. Auf dieses Substrat „kleben“ die Forscher eine hauchdünne, etwa 20 µm dünne Kupferfolie.
„Um die nicht dehnbaren Kupferbahnen elastisch zu machen, strukturieren wir sie mit Ätz- und Belichtungsverfahren in eine Mäanderform“, so Löher. Das dehnbare Substrat ist danach von wellenförmigen Kupferbahnen durchzogen, die bis zum Dreifachen ihrer ursprünglichen Länge gedehnt werden können. In mehreren Schritten werden die Leiterbahnen mit flexiblen Schutzschichten verkapselt, so dass eine fertig vorstrukturierte, flexible Leiterplatte entsteht, auf die elektronische Komponenten aufgebracht werden können. „Ein Knackpunkt ist der Übergang zwischen dehnbarem Substrat und starren Komponenten. Damit letztere nicht abplatzen, wenn die Leiterplatte gedehnt wird, haben wir um die Komponenten herum so genannte Zugsperren, feste Kupferinseln, eingebaut, die sich nicht dehnen“, berichtet Löher.
Von Anfang an verwendeten die Wissenschaftler so weit wie möglich Standardverfahren, um die Integration in eine industrielle Produktion zu erleichtern. So können die Leiterplatten mit einer professionellen Textil-Laminierpresse einfach auf einen Stoff laminiert werden.
Katharina Jung TU Berlin
Weitere Informationen Dr. Thomas Löher, Fraunhofer Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM) sowie Fachgebiet Mikroelektronik-, Aufbau- und Verbindungstechniken an der TU Berlin E-Mail: thomas.loeher@tu-berlin.de www.izm.fraunhofer.de
Ihr Stichwort
- Dehnbare Leiterplatten
- Körpernahes Messen
- Verbände
- Diabetiker-Schuhversorgung
- Plötzlicher Kindstod
- Herstellmöglichkeiten
Anschlussprojekt: Nierenfunktionskontrolle
Im Anschlussprojekt von Stella, das unter dem Namen „Place-it“ läuft, arbeitet Dr. Thomas Löher zurzeit mit dem Mediziner Prof. Norbert Gretz von der Universität Heidelberg zusammen. Dabei soll die Nierenfunktion von Patienten mit einem nicht-invasiven und wenig belastenden Verfahren untersucht werden. Bei Patienten mit Diabetes oder anderen schweren Stoffwechselerkrankungen muss die Nierenfunktion regelmäßig kontrolliert werden. Dazu wird die so genannte glomeruläre Filtrationsrate (GFR) bestimmt – ein Wert, der angibt, inwieweit die Nieren ihre reinigende Filterfunktion übernehmen. Dazu existieren zwar exakte Methoden, diese sind aber sehr aufwendig und belastend für den Patienten, so dass im Alltag nur Näherungswerte aus dem Urin bestimmt werden. Zudem können die Ergebnisse leicht falsch interpretiert werden. Prof. Norbert Gretz möchte statt dessen einen fluoreszierenden Standardmarker einsetzen, den die Niere in den Urin filtert. Die Patienten werden dann mit einem Pflaster ausgestattet, das eine dehnbare Leiterplatte enthält, auf der – neben Steuer- und Kontrollelektronik – eine Leuchtdiode und eine Photodiode installiert sind. Die Leuchtdiode strahlt durch die Haut und regt den Marker im Blut an, zu fluoreszieren. Das Fluoreszenzsignal wiederum wird von der Photodiode gemessen. Je besser die Niere arbeitet, desto schneller wird der Marker ausgeschieden und desto schneller klingt die Fluoreszenz ab. Tierversuche zeigen, dass auf diese Art erstmalig eine exakte Bestimmung der GFR in Echtzeit möglich ist.
Unsere Webinar-Empfehlung
Erfahren Sie, was sich in der Medizintechnik-Branche derzeit im Bereich 3D-Druck, Digitalisierung & Automatisierung sowie beim Thema Nachhaltigkeit tut.
Teilen: