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Trotz Riss kein Bruch

Kunststoffe: Elastische Polymere dämmen das Wachstum von Mikrorissen
Trotz Riss kein Bruch

Selbst Kunststoffbauteile, die eigentlich hohe mechanische Belastungen aushalten müssten, sind vor Brüchen nicht gefeit. Die Ursache dafür sind Mikrorisse. Um deren Wachstum zu stoppen, haben Forscher jetzt elastische Polymere entwickelt, die sich selbst heilen.

Völlig unerwartet kann es passieren: Autoreifen platzen, Dichtungsringe versagen, oder der viel geliebte freischwingende Kunststoffstuhl wird rissig. Ursache ist plötzliches, unvorhergesehenes Materialversagen – ausgelöst durch Mikrorisse, die in jedem Bauteil vorhanden sein können. Diese Risse sind kaum zu erkennen und wachsen selbst in Elastomeren, die hohen mechanischen Belastungen besonders gut standhalten. Das Wachstum kann dabei langsam voranschreiten oder auch ganz schnell.

Um das bereits in der Anfangsphase zu unterbinden und so spontanes Materialversagen zu vermeiden, haben Forscher des Oberhausener Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (Umsicht) jetzt im BMBF-Projekt Osiris selbstheilende Elastomere entwickelt.
Der Kautschukbaum Hevea brasiliensis und milchsaftführende Pflanzen wie die Birkenfeige dienten als Quelle der Inspiration. Der Milchsaft dieser Pflanzen enthält Kapseln, die mit dem Protein Hevein gefüllt sind. Wird der Kautschukbaum verletzt, so tritt der Milchsaft aus, die Kapseln brechen auf und setzen Hevein frei. Das Protein vernetzt dann die ebenfalls im Milchsaft enthaltenen Latexpartikel und schließt die Wunde.
Dieses Prinzip übertrugen die Wissenschaftler auf Elastomere im industriellen Einsatz. „Um in Kunststoffen einen Selbstheilungsprozess anzuregen, haben wir Mikrokapseln mit einem klebenden Material, Polyisobutylen, beladen und in Elastomere aus synthetischem Kautschuk eingebracht“, erläutert Prof. Anke Nellesen, Wissenschaftlerin am Fraunhofer Umsicht. Wird Druck auf die Kapseln ausgeübt, platzen diese und sondern das zähflüssige Material ab. Dieses vermischt sich mit den Polymerketten des Elastomers und verschließt die Risse.
Den Forschern ist es sogar gelungen, produktionsstabile Kapseln herzustellen. Allerdings brachten diese nicht den gewünschten selbstreparierenden Effekt. Gute Ergebnisse waren hingegen zu erzielen, wenn die Selbstheilungskomponente, also das Polyisobutylen, unverkapselt in das Elastomer eingebracht wurde. So zeigten verschiedene Probekörper aus unterschiedlichen synthetischen Kautschuken ein deutliches Selbstheilungsverhalten: Nach einer Heildauer von 24 Stunden betrug die wiederhergestellte Zugdehnung 40 %.
Noch bessere Ergebnisse erreichten die Experten, indem sie Elastomere mit Ionen ausstatteten. Auch hier diente der Kautschukbaum als Vorbild: Die bei einer Verletzung freigesetzten Hevein-Proteine verbinden sich durch die geladenen Teilchen miteinander und verkleben. Übertragen auf die technischen Werkstoffe heißt das: Wird das Material des Elastomers beschädigt, suchen sich die gegensätzlich geladenen Teilchen einen neuen Bindungspartner – ein positiv geladenes Ion zieht ein negativ geladenens Ion an und entfaltet so eine klebende Wirkung. „Durch das Beladen der Elastomere mit Ionen sorgen wir für einen stabilen Wundverschluss“, sagt Nellesen. Der Heilungsprozess könne sogar beliebig oft stattfinden, was ein Vorteil gegenüber dem Mikrokapsel-Verfahren sei.
Für Duromere seien Selbstheilungsfunktionen bereits bekannt und würden in selbst reparierenden Lacken im Automobilbereich genutzt. „Elastomere, die ihre Risse ohne Eingriff von außen verschließen können, wurden bislang aber noch nicht entwickelt“, so die Wissenschaftlerin.
Profitieren könnte davon unter anderem die Automobilbranche. Der Prototyp einer sich selbst reparierenden Auspuffaufhängung war auf der Hannover Messe zu sehen. Und auch wenn bisher nur Werkstoffe getestet wurden, die nicht für den medizinischen Einsatz in Frage kommen: Prinzipiell ist die Übertragung auf medizinische Werkstoffe laut Nellesen denkbar. „Interessant könnte es vor allem dort werden, wo flexible Materialien zum Einsatz kommen, wie beim Tissue Engineering oder bei Kontaktlinsen.“ op
Weitere Informationen Über das Institut: www.umsicht.fhg.de Über Metalle, die für die Selbstheilung mit entsprechend gefüllten Kapseln ausgestattet werden, hat medizin&technik im Titelthema der Ausgabe 3/2010 berichtet. Lesen Sie den Artikel im Online-Magazin (Suchbegriff: Nanokapseln): www.medizin-und-technik.de

Kapsel-Alarm
Kapseln in Kunststoffen können mehr als Mikrorisse heilen: Ein im Jahr 2010 vorgestelltes Verfahren lässt Duftöle ausströmen, sobald sich Risse bilden.
Eine denkbare Anwendung dafür sind Fahrradhelme, die bei Beschädigung anfangen zu stinken. Dann ist es Zeit , einen neuen Schutz für den Kopf zu beschaffen. Entwickelt wurde das Verfahren von Forschern des Fraunhofer-Instituts für Werkstoffmechanik IWM in Freiburg in Kooperation mit dem Fraunhofer Umsicht.
Den Geruch erzeugen Duftöle, die in Mikrokapseln verschlossen sind. Diese werden als Additiv in eine Polypropylenmasse eingearbeitet, die im Spritzgussverfahren zum Bauteil verformt werden kann.
Eine Schicht aus Melaminformaldehydharz schützt die Kügelchen vor hohen Temperaturen und Drücken bei der Verarbeitung. Um die nötige Druckstabilität zu gewährleisten, werden die Kapseln mit einem porösen, wenig deformierbaren Siliziumdioxid-Kern ausgerüstet, der den Duftstoff aufnimmt. Diese Idee wurde bereits zum Patent angemeldet. Das Verfahren eignet sich für alle schwer auf Defekte zu testenden Teile.

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