Forscher entschlüsseln mit Hilfe von intensivem Röntgenlicht einen zentralen Prozess für die künstliche Produktion von Seide aus Kuhmolke: Nicht die längsten, sondern etwas kleinere Proteinstückchen – so genannte Fibrillen – verhaken sich leichter zu einem Faden.
Seide ist ein begehrtes Material mit vielen erstaunlichen Eigenschaften: Sie ist ultraleicht, belastbarer als manches Metall und kann extrem elastisch sein. Bislang wird Seide aufwendig aus gezüchteten Raupen gewonnen. „Weltweit arbeiten zahlreiche Forschergruppen daran, Seide künstlich herzustellen“, betont Prof. Stephan Roth von Desy, der ebenfalls Adjunct Professor an der schwedischen Königlich-Technischen Hochschule (KTH) Stockholm und Ko-Autor der soeben erschienen deutsch-schwedischen Studie ist. „Solches Material könnte auch so modifiziert werden, dass es neue Eigenschaften bekommt, und beispielsweise für Biosensoren oder selbstauflösende Wundverbände dient.“
Hydrodynamische Fokussierung
Die Natur nachzuahmen ist in diesem Fall allerdings besonders schwierig. Das schwedische Team setzt dabei auf eine Selbstmontage des biologischen Ausgangsmaterials. „Das ist ein im Grunde sehr einfacher Prozess“, erläutert Dr. Fredrik Lundell von der KTH. „Manche Proteine bilden unter den richtigen Umgebungsbedingungen von selbst Nanofibrillen. Diese Proteinfibrillen werden dann in einer Trägerflüssigkeit durch einen Kanal gepresst, in dem sie mit zusätzlichen seitlichen Wasserstrahlen so stark verdichtet werden, dass sie sich zusammenlagern und eine Faser formen.“ Die Forscher nennen letzteren Prozess hydrodynamische Fokussierung. „Tatsächlich hat der Prozess einige Gemeinsamkeit mit der Art und Weise, wie Spinnen ihre Seide produzieren“, ergänzt Dr. Christofer Lendel von der KTH.
Als Ausgangsmaterial nutzten die Forscher in der aktuellen Studie ein Molke-Protein, das unter dem Einfluss von Hitze und Säure Nanofibrillen bildet. Die längsten und dicksten Fibrillen entstehen bei einer Proteinkonzentration von weniger als 4 % in der Lösung. Bei einer Proteinkonzentration von mehr als 6 % in der Lösung bleiben die Fibrillen dagegen mit durchschnittlich 40 nm deutlich kürzer, sind wurmartig gekrümmt statt gerade und 15 bis 25 Mal weicher als die langen Fibrillen.
Krumme Fibrillen verhaken sich besser
Im Labor zeigte sich jedoch, dass aus den langen, geraden Fibrillen schlechtere Fasern entstehen als aus den kurzen, gekrümmten. Mit Desys extrem heller Röntgenlichtquelle Petra III konnten die Wissenschaftler nun erkunden, warum dies so ist. „Die krummen Nanofibrillen verhaken sich viel besser miteinander als die geraden. Im Röntgenstreubild sieht man, dass die Struktur der gekrümmten Fibrillen auch in der fertigen Faser erhalten bleibt“, berichtet Roth, der die Desy-Messstation P03 leitet, an der die Versuche stattfanden.
„Die stärksten Fasern entstehen bei einer ausgewogenen Balance zwischen einer geordneten Nanostruktur des Materials und einer Verflechtung der Fibrillen“, ergänzt Lendel. „Natürliche Seide hat eine noch komplexere Struktur aus evolutionär optimierten Proteinen.“ In den Laborversuchen entstanden etwa 5 mm lange künstliche Seidenfasern von mittlerer Qualität.
„Wir haben das Molkeprotein benutzt, um das zu Grunde liegende Prinzip zu verstehen“, erläutert Lendel. „Der gesamte Prozess lässt sich nun optimieren, um Fasern mit besseren oder maßgeschneiderten Eigenschaften herzustellen.“ Die Erkenntnisse könnten dabei auch der Entwicklung anderer Materialien mit neuartigen Eigenschaften dienen, etwa künstlichem Gewebe für die Medizin.
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