Bereits seit einigen Jahren rüsten Forschende Handprothesen mit technischen Sensoren aus. Mit diesen können Menschen, deren Arm amputiert wurde, durch Elektrostimulation der Nerven im Armstumpf die Form und die Festigkeit gegriffener Gegenstände erkennen. Bisher waren die übermittelten Informationen dabei aber noch weit entfernt von einem natürlichen Gefühl und der natürlichen Geschicklichkeit.
Stromimpulse im Gehirn sorgen für Gefühl
Ein internationales Forschungsteam um den Freiburger Mikrosystemtechniker Prof. Thomas Stieglitz ist diesem natürlichen Gefühl in der Prothese nun einen Schritt näher gekommen. Dazu entwickelten die Wissenschaftler einen neuartigen „Stimulations-Code“, mit dem sich Stromimpulse für das Gehirn so anfühlen, als ob die natürlichen Sensoren der Haut sie erzeugen. Dadurch erkennt der Patient nicht nur die Griffkraft und die Verformbarkeit eines Objekts, sondern greift und bewegt es schneller und akkurater. Ein interdisziplinärer Ansatz mit Verfahren aus der Neurotechnik, klinischen Neurologie, Robotik und Computersimulation macht dies möglich.
Rohe Eier zielsicher greifen
„Für den Erfolg des Verfahrens haben wir in Freiburg implantierbare Elektroden entwickelt, die dünner als ein menschliches Haar sind“, berichtetet Stieglitz. Sie liegen stabil in den Nerven und bewegen sich nicht. Daher konnten über Monate hinweg Stromimpulse in einer Kodierung an die Nerven übermittelt werden, sodass zwei Patienten ihre Prothesen nach und nach wie ihren eigenen Arm angenommen und nicht mehr als technischen Fremdkörper gesehen haben. Und der Wissenschaftler fügt hinzu: „Wenn ich rohe Eier ohne Angst zielsicher greifen kann und weiß, wo meine Hand mit wie viel Kraft gerade zudrückt, dann ist die Frage, wo die Grenze zwischen Mensch und Maschine verläuft.“ Neben Verbesserungen bei Gefühl, Genauigkeit und Geschicklichkeit helfe die biomimetische Stimulationsstrategie zudem, Phantomschmerzen zu reduzieren. Das Verfahren lässt sich auf andere Prothesen übertragen.
An dem europäischen Konsortium sind Forschende der Sant‘Anna School of Advanced Studies (SSSA) in Pisa/Italien, der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) in der Schweiz, der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und der Policlinico Gemelli in Rom/Italien beteiligt. Die Leitung liegt bei Silvestro Micera, Professor für Bioengineering an der SSSA und Inhaber des Bertarelli Chair in Translational Neuroengineering an der EPFL.
https://doi.org/10.1016/j.neuron.2018.08.033
www.pr.uni-freiburg.de/pm/2018/auf-dem-weg-zur-prothese-der-zukunft