Eigentlich sieht er ziemlich unspektakulär aus, der Fadenwurm C. elegans. Er ist etwa einen Millimeter lang und sehr einfach gebaut. Doch für die Wissenschaft ist er extrem interessant: C. elegans ist das einzige Lebewesen, dessen Nervensystem so einfach ist, dass man es vollständig analysieren konnte. Es kann als Schaltplan aufgezeichnet oder in einem Computerprogramm nachgebildet werden. Die Nervenaktivität des Tieres lässt sich somit eins zu eins auf den Computer übertragen.
Die Reflex-Systeme des Wurms als Code
Mit knapp über 300 Nervenzellen muss der Fadenwurm auskommen – das genügt ihm, um sich in seiner Umwelt zurechtzufinden, Bakterien zu fressen und auf gewisse äußere Impulse zu reagieren. So spürt C. elegans etwa, wenn er auf ein Hindernis stößt, und schlängelt sich reflexartig in eine andere Richtung davon.
Sein Verhalten wird durch seine Nervenzellen und die Stärke der Verbindungen zwischen ihnen festgelegt. Wenn man dieses einfache Reflex-Netzwerk des Wurms am Computer nachbildet, dann reagiert der computersimulierte Wurm genauso auf den Zusammenstoß mit einem virtuellen Hindernis. Nicht, weil man es ihm einprogrammiert hätte, sondern weil dieses Verhalten von vornherein fest in sein neuronales Netz eingebaut ist.
Einfache Dressur
„Die Aufgabe, die der Wurm mit diesem einfachen Schaltkreis löst, hat eine starke Ähnlichkeit mit einem klassischen Problem aus der Technik – dem Balancieren eines Stabs“, sagt Ramin Hasani vom Institut für Technische Informatik der TU Wien. Dabei handelt es sich um eine ganz typische Aufgabe, die ein computergesteuerter Controller normalerweise gut bewältigen kann: Ein Stab wird am unteren Ende festgehalten, und je nachdem, in welche Richtung er zu kippen droht, führt man eine Gegenbewegung aus, um den Stab zu stabilisieren. Genau wie sich der Wurm beim Zusammenstoß mit einer Wand reflexartig in die Gegenrichtung bewegt, muss auch der Aufhängepunkt des Stabes beim drohenden Kippen rasch bewegt werden.
Mathias Lechner, Radu Grosu und Ramin Hasani von der TU Wien wollten wissen, ob auch das Nervensystem von C. elegans, übertragen auf einen Computer, diese Aufgabe lösen kann – und zwar ohne zusätzliche Nervenzellen hinzuzufügen, nur durch ein Modifizieren der Synapsenverbindungen zwischen den Nervenzellen. Genau dieses Verändern der Synapsenstärken charakterisiert auch natürliche Lernprozesse. Und es gelang mit Hilfe von „bestärkendem Lernen“ (reinforcement learning), einer speziellen Methode aus dem Bereich des maschinellen Lernens.
Das Programm, das niemand programmiert hat
Solche Projekte werfen die Frage auf, ob zwischen Computercode und lebendigen Nervensystemen überhaupt ein fundamentaler Unterschied besteht. Ist vielleicht maschinelles Lernen und das, was in unserem Gehirn passiert, auf fundamentaler Ebene dasselbe?