Die Samenkörner von einigen Pflanzen wie Basilikum, Kresse oder Wegerich bilden eine Schleimhülle, sobald sie mit Wasser in Berührung kommen. Dank dieser Hülle gleiten sie unverdaut durch den Verdauungstrakt von Vögeln. So werden sie unbeschädigt ausgeschieden und können sich auf diese Weise weiterverbreiten. „Um mehr über die Funktion des Schleims zu erfahren, untersuchten wir zunächst den Aufbau und die physikalischen Eigenschaften der Schleimhülle“, so Zoologie-Professor Stanislav N. Gorb, Leiter der Arbeitsgruppe „Funktionelle Morphologie und Biomechanik“ an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). Dabei stellten sie fest, dass ihre mechanischen Eigenschaften vor allem von winzigen Fasern abhängen, die den Schleim mit dem Samenkorn verbinden, den Zellulosefasern.
Vielfältige Eigenschaften
Die Pektine in der Schale der Samenkörner können eine große Menge von Wasser aufnehmen und so in wenigen Minuten eine gelartige Kapsel um das Samenkorn bilden. Durch die feinen Zellulosefasern mit einem Durchmesser von bis zu 100 nm ist sie fest an der Oberfläche des Samens verankert. Die Struktur ähnelt den mikroskopisch kleinen Haftelementen auf der Oberfläche von stark haftenden Geckofüßen. Die Fasern bilden gewissermaßen das stabilisierende Rückgrat der Schleimhülle.
Je nach Wasserkonzentration ändern sich die Eigenschaften des Schleims. „Eigentlich macht der Schleim die Samen sehr rutschig. Wenn wir den Wassergehalt reduzieren, wird er jedoch klebrig und beginnt zu haften“, fasst Stanislav Gorb ein Ergebnis aus früheren Untersuchungen zusammen. Die Haftkraft wird zusätzlich erhöht durch Kräfte, die zwischen den einzelnen vertikal aufgestellten Nanofasern des Samenkorns und der anhaftenden Oberfläche wirken.
Fast so haftstark wie Kohlenstoffnanoröhren
Um die Schleimhülle unter dem Rasterelektronenmikroskop untersuchen zu können, nutzt das Kieler Forschungsteam eine besonders schonende Methode, die so enannte kritische Punkttrocknung (engl. critical-point drying, CPD). Die getrockneten Zellulosefasern testete das Forschungsteam auf ihre Reibungs- und Adhäsionseigenschaften und verglich sie mit denen synthetisch hergestellter Kohlenstoffnanoröhren (engl. carbon nanotubes). Diese mikroskopisch kleinen Gebilde sind aufgrund ihrer herausragenden elektrischen Leitfähigkeit, Reißfestigkeit oder ihrer Reibungseigenschaften für zahlreiche industrielle Anwendungen der Zukunft interessant.
„Unsere Tests zeigen, dass die Reibungs- und Haftkräfte der Zellulosefasern fast genauso hoch sind wie bei vertikal stehenden Kohlenstoffnanoröhrchen“, sagt Dr. Clemens Schaber, Erstautor der Studie. „Grund sind ihre ähnlichen Dimensionen.“ Durch die besondere Trocknungsmethode können die Forschenden die Haftstärke außerdem gezielt variieren. „Als natürlicher Rohstoff hätten die Zellulosefasern deutliche Vorteile gegenüber Kohlenstoffnanoröhren, deren gesundheitliche Auswirkungen noch nicht vollständig untersucht sind“, so Schaber weiter. Nanozellulose kommt vor allem in biologisch abbaubaren Kunststoffverbundmaterialien zum Einsatz, die in der Biomedizin, der Kosmetik oder der Ernährungsindustrie eingesetzt werden.
https://pubs.acs.org/doi/10.1021/acsami.8b05972
www.uni-kiel.de/de/detailansicht/news/samen/