In den Neurowissenschaften geht es darum zu verstehen, welche Prozesse im Gehirn ablaufen, um Verhalten als Reaktion auf Umweltreize zu erzeugen. Das Verhalten von Tieren kann man untersuchen, indem man beobachtet, wie ein Tier Probleme löst. Aber um zu sehen, welche Rolle das Gehirn beim Erzeugen des Verhaltens hat, muss gleichzeitig die Aktivität der Hirnschaltkreise gemessen werden.
Mikroskop ermöglicht Untersuchung des Gehirns ohne größere Eingriffe
Nun ist die In-vivo-Bildgebung in der Biologie nichts Neues; sie reicht zurück bis in die Anfänge der Mikroskopie. Spezielle Mikroskope sind in der Lage, das Gewebe zu durchdringen, die neuronalen Schaltkreise bei der Arbeit zu beobachten und so einen Einblick in das Innere des Gehirns zu ermöglichen. Die Verwendung eines Mikroskops zur Aufzeichnung neuronaler Aktivität hat den Vorteil, dass sie kaum invasiv ist. Das Mikroskop befindet sich außerhalb des Gehirns, sendet Licht in das Organ und empfängt seinerseits vom Gehirn emittierende Lichtsignale.
Konventionelle Mikroskope sind aber zu schwer, um funktionelle Aufzeichnungen bei sich frei verhaltenden Tieren zu machen. Im Laufe der vergangenen Jahre wurden jedoch erhebliche Anstrengungen unternommen, um kopfmontierte Miniaturmikroskope zu entwickeln.
Miniaturisiertes Mikroskop wird am Kopf montiert
2009 entwickelte die Gruppe von Jason Kerr in Zusammenarbeit mit der Forschungsgruppe von Winfried Denk vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie (Martinsried) ein miniaturisiertes, kopfmontiertes Multiphotonenmikroskop. Damit ließ sich die Aktivität neuronaler Populationen in den obersten Schichten des visuellen Kortex von wachen, sich frei bewegenden Ratten aufzeichnen.
Dieses ,Zweiphotonen-Fiberskop’ bedeutete einen Durchbruch bei der Messung von Gehirnaktivität bei freiem Verhalten. Der Großteil der kortikalen Schichten ließ sich aber nicht damit erreichen. Es bedurfte eines neuen Ansatzes, um auch die tieferen Schichten der Hirnrinde auf zellulärer Ebene abbilden zu können.
Licht wird ins Gehirn gesendet und macht neuronale Aktivität sichtbar
In Zusammenarbeit mit der Gruppe von Philip Russell am Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts hat die Forschungsgruppe Kerr nun ein neuartiges kopfmontiertes Miniaturmikroskop entwickelt, das alle Kortikalschichten in einer sich frei bewegenden Ratte bildlich darstellen kann. Durch eine speziell entwickelte und hergestellte Glasfaser wird Licht in das Gehirn gesendet, um unter Nutzung des ,Drei-Photonen-Effekts’ neuronale Aktivität in den tiefen kortikalen Schichten zu erfassen.
Verglichen mit der Zweiphotonen- oder Einphotonen-Fluoreszenzmikroskopie eignet sich die Dreiphotonenmethode hervorragend für die Bildgebung aus tieferen Schichten streuenden Gewebes und erzeugt deutlichere Bilder einzelner Zellen in tiefen Gewebsschichten. Mit Hilfe des neuen Mikroskops kann man Neuronenpopulationen über längere Zeiträume hinweg kontinuierlich erfassen, auch wenn das Tier herumläuft oder komplexe Verhaltensaufgaben ausführt.
Fiberskop: Anwendungen in der Verhaltensforschung
Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass das Fiberskop weitreichende Anwendung in der Verhaltensforschung finden wird, da bisher verfügbare Mikroskope eine limitierte Bildgebungstiefe hatten. Auch eigneten sie sich nicht für den Einsatz über längere Zeiträume, wodurch sich Einschränkungen für die zu beobachtenden Verhaltensformen ergaben.
Mit diesem neuen Ansatz ist die Forschung nun in der Lage, die komplexe Netzwerkdynamik zu verstehen, die neuronaler Berechnung zugrunde liegt, welche ihrerseits die Grundlage für Wahrnehmung und Verhalten darstellt.
Die Studie über das neue Fiberskop ist in der renommierten Fachzeitschrift Nature Methods erschienen (DOI: 10.1038/s41592–020–0817–9).
Prof. Dr. Jason Kerr
Forschungszentrum Caesar
Ludwig-Erhard-Allee 2
53175 Bonn
Website: www.caesar.de