Mit einem Leukozyten als Vorbild haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme in Stuttgart einen Mikroroboter entwickelt, der in Größe, Form und Bewegungsfähigkeit einem weißen Blutkörperchen gleicht. In einem Labor simulierten sie dann ein Blutgefäß – und es gelang ihnen, den Mikroroller durch diese dynamische und dichte Umgebung zu steuern. Der Roboter hielt dem simulierten Blutfluss stand und brachte damit das Forschungsgebiet rund um die zielgenaue Medikamentenabgabe einen Schritt weiter: Es gibt keinen besseren Zugangsweg zu allen Geweben und Organen im menschlichen Körper als den Blutkreislauf.
Inhaltsverzeichnis
1. Mikroroboter rollt durch die Blutbahn
2. Steuerbar mit Magneten
3. Der bisher schnellste magnetische Mikroroboter dieser Größe
Mikroroboter rollt durch die Blutbahn
Der Roboter bewegt sich wie Leukozyten rollend vorwärts. Möglicherweise ist der Mikroroller damit auf dem besten Weg, die minimal-invasive Behandlung von Krankheiten zu revolutionieren. Das Forschungsprojekt wurde im Journal Science Robotics unter dem Titel „Multifunctional surface microrollers for targeted drug delivery in physiological blood flow“ veröffentlicht.
Weiße Blutkörperchen – die Wächter des Immunsystems – dienten dem Team als Inspiration, da sie die einzigen beweglichen Zellen innerhalb des Blutflusses sind. Auf ihrer Patrouille zu Orten, an denen Krankheitserreger eingedrungen sind, rollen sie an der Blutgefäßinnenwand entlang und dringen aus dieser heraus, wenn sie zum Beispiel an einer Wunde ankommen. Dass sie sich bewegen können, liegt vor allem an der wesentlich geringeren Fließgeschwindigkeit an den Gefäßinnenwänden.
Steuerbar mit Magneten
Die Forscher haben sich dieses Phänomen zunutze gemacht. Ihren Mikroroboter können sie dank seiner magnetischen Eigenschaften mit Hilfe kleiner Magnetspulen aktiv vorwärtsbewegen und innerhalb eines künstlichen Blutgefäßes steuern. Die Blutflussgeschwindigkeit war identisch, genauso wie die Konsistenz. „Unsere Vision ist es“, sagt Metin Sitti, Direktor der Abteilung für Physische Intelligenz am MPI-IS und Co-Autor der Publikation, „die nächste Generation Transportmittel für die minimal-invasive, gezielte Medikamentenverabreichung zu kreieren – eines, das noch weiter ins Körperinnere dringen kann und dabei noch schwieriger zu erreichende Bereiche zugänglich macht.“
Jeder Mikroroller hat einen Durchmesser von knapp acht Mikrometer und besteht aus winzigen Glaspartikeln. Eine Seite ist mit einer dünnen Nickel- und Goldschicht bedeckt, an der anderen haften Krebsmedikamente sowie spezielle Moleküle, die Krebszellen aufspüren können.
„Mit Hilfe von Magnetfeldern können unsere Mikroroboter stromaufwärts durch ein simuliertes Blutgefäß navigieren, was aufgrund des starken Blutflusses und der dichten zellulären Umgebung eine Herausforderung darstellt“, sagt Yunus Alapan, Post-Doc in der Abteilung für Physische Intelligenz und ebenfalls Co-Autor der Publikation. Kein Mikroroboter habe einem solchen Strom bisher standhalten können.
Der bisher schnellste magnetische Mikroroboter dieser Größe
Im Labor erreicht der Mikroroller eine Geschwindigkeit von bis zu 600 Mikrometer pro Sekunde. Das sind rund 76 Körperlängen pro Sekunde, was ihn zum schnellsten magnetischen Mikroroboter dieser Größe macht.
Bevor jedoch der Roboter solch eine Bewegung unter realen Bedingungen ausführen kann, müssen mehrere Herausforderungen bewältigt werden. Tatsächlich ist er weit davon entfernt, im menschlichen Körper getestet zu werden. Im Labor gelang es den Forschern, die Roboter mit Mikroskopen abzubilden und mit elektromagnetischen Spulen zu steuern.
In Kliniken allerdings sei heute die Auflösung der Bildgebungsverfahren nicht hoch genug, um einzelne Mikroroboter im menschlichen Körper abbilden zu können. Zudem würde die Medikamenten-Fracht, die von einem einzelnen Mikroroboter transportiert werden kann, angesichts des Größenunterschieds zwischen einem Mikroroboter von etwa zehn Mikrometern und Organgewebe – Tausende von Mikrometern – nicht ausreichen. Man müsste also mehrere Mikroroboter zusammen in einem Schwarm manipulieren können, um eine ausreichende Wirkung zu erzielen. „Aber davon sind wir noch weit entfernt, dies ist erst der Anfang“, sagt Ugur Bozuyuk, Doktorand und Mitverfasser der Studie.
In den vergangenen beiden Jahrzehnten hat sich das Forschungsgebiet dank der Fortschritte in Bezug auf Herstellungstechniken, verwendete Materialien, Steuerung und Bildgebung der Mikromaschinen sehr stark weiterentwickelt. Derzeitige Mikroroboter sind jedoch meist auf Gewebe beschränkt, wie es beispielsweise in einem Auge vorkommt, oder das relativ leicht zugänglich ist wie der Magen-Darm-Trakt sowie auf langsam fließende Umgebungen.