In Medizin und Biologie besteht großes Interesse an effizienten und kostengünstigen Methoden, mit denen sich verschiedene Zelltypen erkennen und trennen lassen. Diese Fähigkeit ist beispielsweise für die medizinische Diagnostik oder für regenerative Therapien mithilfe von Stammzellen gefragt. Bislang wird dazu meist die so genannte Durchflusszytometrie verwendet, bei der Zellen mit fluoreszierenden Antikörpern markiert und beim Durchfluss durch einen Kanal identifiziert werden.
Diese Methode hat jedoch ihre Schwachstellen: Sie ist nicht nur relativ teuer und zeitintensiv, sondern auch die Antikörper selbst sind problematisch. Da sie körperfremd sind, können sie die Eigenschaften der Zellen, an die sie andocken, verändern und etwa bei einer Injektion in den Körper Schwierigkeiten bereiten. Auch ist die Identifikation von Zellen bei der Durchflusszytometrie nicht immer fehlerfrei.
Als zusätzliches Unterscheidungsmerkmal lassen sich deshalb physikalische Eigenschaften der Zellen nutzen: Aufgrund des Zytoskeletts, eines feinen Netzwerks von Filamenten in der Zellstruktur, besitzt jede Zellart charakteristische mechanische Eigenschaften wie etwa Form, Größe und insbesondere die Verformbarkeit.
Inhaltsverzeichnis
1. Zellen für die Medizin unterscheiden und sortieren
2. Künstliche Intelligenz lernt, bestimmte Zellen zu erkennen
3. Methode mit künstlicher Intelligenz kommt ohne Markierung der Zellen aus
4. Künstliche Intelligenz könnte Teil einer Standardmethode für Labors in der Medizin werden
Zellen für die Medizin unterscheiden und sortieren
Das Team um Jochen Guck, Direktor am Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts, hat darauf aufbauend vor einigen Jahren eine neue Technik entwickelt: Die Echtzeit-Verformungszytometrie (real-time deformability cytometry, kurz: RT-DC). Dabei wird eine Zelllösung durch einen transparenten Kanal von weniger als dem Durchmesser eines Haares gedrückt. Die Zellen werden dabei unbeschadet in die Länge gezogen und der Grad der Verformung lässt eine Zuordnung zu einem bestimmten Zelltyp zu.
Die Zellen werden dafür mit einer Highspeed-Kamera untersucht, die die verformten Zellen im Kanal mit 2000 bis 4000 Bildern pro Sekunde aufnimmt. Die Zuordnung der Zelltypen erfolgt mit Hilfe der Aufnahmen. Das ist vergleichbar mit Videos, in denen das Platzen eines Luftballons in Zeitlupe beobachtet werden kann.
Die Bilder werden mit einer speziellen Software ausgewertet, die bestimmte, vorher definierte Zelleigenschaften in Echtzeit auswertet. Diese Echtzeit-Auswertung, bei der jede Zelle sofort in dem Moment, in dem sie durch den Kanal fließt, identifiziert wird, ist die Basis für die erste Neuheit. Denn sie ermöglicht es, die Zellen nach der Identifizierung gezielt in einen Sammelkanal abzulenken. So können Zellen jetzt erstmals auch aufgrund ihrer Verformbarkeit sortiert werden.
Künstliche Intelligenz lernt, bestimmte Zellen zu erkennen
Eine weitere Neuheit liegt darin, RT-DC mit künstlicher Intelligenz zu kombinieren: Hunderttausende Bilder von einzelnen Zellen sind eine ideale Basis, um ein neuronales Netzwerk darauf zu trainieren, verschiedene Zelltypen zu erkennen. In bisher nicht erreichter Geschwindigkeit kann der KI-Algorithmus dann Zellen identifizieren und ebenfalls in Echtzeit nach Wunsch sortieren.
Da die Fluoreszenzmoleküle so ausgewählt werden, dass sie nur an bestimmte Zellen andocken, entspricht das Aufleuchten eines Fluoreszenzmoleküls dem Zelltyp und das Foto der Zelle mit all ihren Eigenschaften. So lernt das neuronale Netzwerk, dass ein Aufleuchten mit einem bestimmten Zelltyp verbunden ist und kann eine Verbindung zum dazugehörigen Foto der Zelle herstellen.
Wurde das neuronale Netzwerk durch den Fluoreszenzmarker ausreichend auf einen Zelltyp trainiert, kann der Marker schließlich ganz weggelassen werden und der Zelltyp wird auch ohne Fluoreszenz erkannt.
Methode mit künstlicher Intelligenz kommt ohne Markierung der Zellen aus
Diese neue Methode hat viele Vorteile: So fällt nach dem Training des neuronalen Netzwerks die zeit- und kostenintensive Floureszenz-Markierung zur Identifizierung weg und die Zellen werden nicht mehr durch körperfremde Moleküle verändert. Dann reichen die von der Highspeed-Kamera geschossenen Bilder aus, um die Zellen zu identifizieren.
Dieses Vorgehen ist sehr zellschonend, verändert die Zelleigenschaften nicht und kann bis zu 1000 Zellen pro Sekunde analysieren. Die Anwendung von künstlicher Intelligenz auf RT-DC bietet außerdem die Erleichterung, dass die Parameter, anhand derer die Zellerkennung oder eine Zellveränderung durch beispielsweise Krankheiten festgemacht werden kann, nicht vorher definiert werden müssen. Man kann die KI selbst entscheiden lassen, anhand welcher Bildinformation Zellen am besten unterschieden werden können.
Künstliche Intelligenz könnte Teil einer Standardmethode für Labors in der Medizin werden
Guck nennt die neu entwickelte Methode einen „ultimativen Zellsortierer“: Sie vereint die Genauigkeit der etablierten Erkennung über Fluoreszenz mit der Sensitivität der inhärenten mechanischen Zelleigenschaften und hat das Potenzial, als zukünftige Standardmethode Einzug in alle biologischen und biomedizinschen Labore zu halten.
In Zukunft lassen sich damit beispielsweise schnell, unbeschadet und unverändert blutbildende Stammzellen aus einer Probe gewinnen, die dann einem Chemotherapie-Patienten zum Wiederaufbau des Immunsystems injiziert werden können oder besonders geeignete Photorezeptorzellen aus humanen Organoiden heraussortieren, um damit durch Transplantation manche Formen der Blindheit abzuwenden.
Staudtstraße 2
91058 Erlangen
Prof. Dr. Jochen Guck
E-Mail: jochen.guck@mpl.mpg.de
Originalpublikation:
Ahmad Ahsan Nawaz, Marta Urbanska, Maik Herbig, Martin Nötzel, Martin Kräter, Philipp Rosendahl, Christoph Herold, Nicole Toepfner, Markéta Kubánková, Ruchi Goswami, Shada Abuhattum, Felix Reichel, Paul Müller, Anna Taubenberger, Salvatore Girardo, Angela Jacobi, Jochen Guck, „Intelligent image-based deformation-assisted cell sorting with molecular specificity“, Nature Methods.