Nach einer Operation in der Bauchhöhle sind sie besonders gefürchtet: undichte Stellen an den Nähten, an denen der Inhalt des Verdauungskanals in den Bauchraum rinnt. „Auch heute stellen derartige Leckagen eine lebensgefährliche Komplikation dar“, erklärt Inge Herrmann, Empa-Forscherin und ETH-Professorin für Nanopartikuläre Systeme. Die Idee, vernähtes Gewebe in der Bauchhöhle im Anschluss mit einem Pflaster zu versiegeln, ist zwar bereits im Operationssaal angekommen. Das Problem ist aber: Der klinische Erfolg ist nicht immer optimal und variiert je nach verklebtem Gewebe. Pflaster aus eiweißhaltigem Material lösen sich beim Kontakt mit Verdauungssäften zu schnell auf. Im Rahmen einer langjährigen Kooperation verfolgten Inge Herrmann und Andrea Schlegel, Chirurgin am Universitätsspital Zürich, daher die Idee, eine innovative Lösung für dieses Problem zu finden.
Dem Hydrogel-Pflaster das Sehen beibringen
Alexandre Anthis vom Particles-Biology-Interactions-Labor der Empa in St. Gallen und dem Nanoparticle-Systems-Engineering-Labor der ETH Zürich entwickelte daher unter der Leitung von Inge Herrmann zunächst einen kostengünstigen, bioverträgliche Superkleber, der zu einem Großteil aus Wasser besteht. Das Hydrogel-Polymer-Pflaster verhindert, dass die stark sauren Verdauungssäfte und keimbeladene Nahrungsrückstände aus dem Darmkanal austreten und eine Bauchfellentzündung oder sogar eine lebensgefährliche Blutvergiftung (Sepsis) auslösen.
Living Materials und Hydrogele – verblüffend einfache Lösungen
Damit das Hydrogel-Pflaster auch „sehen lernt“, hat das Team es gemeinsam mit Spitälern in der Schweiz und internationalen Forschungspartnern mit einem nicht-elektronischen Sensor ausgestattet. Dieser schlägt bereits „Alarm“, bevor Verdauungssäfte in die Bauchhöhle austreten können. Die „Sehfähigkeit“ erreicht das neuartige Material, da es empfindlich auf Änderungen des pH-Werts und das Auftreten bestimmter Eiweißstoffe im Umfeld der Wunde reagiert. Dann bildet es beispielsweise feinste Gasblasen in der Matrix des Pflasters, die im Ultraschall sichtbar sind. Eine weitere Möglichkeit: Es reagiert durch Kontraständerungen, die sowohl auf Ultraschall- wie auch auf Computertomographiebildern sichtbar werden.
Sensor im Pflaster gibt schnell Alarm
Die Reaktion erfolgt dabei – je nach Lokalisation des Lecks – innerhalb von Minuten beziehungsweise weniger Stunden. Bislang muss sich das Gesundheitspersonal auf erst deutlich später eintretende körperliche Reaktionen der Betroffenen oder Labortests verlassen. Beide Hinweise liefern aber unter Umständen zu spät einen eindeutigen Hinweis auf eine undichte Nahtstelle.
Die Pflaster können mit maßgeschneiderten Sensoren für unterschiedliche Stellen im Verdauungstrakt ausgerüstet werden. Außerdem kann das Pflaster bei Bedarf sogar Medikamente freisetzen, etwa antibakterielle Wirkstoffe.
Engineered Living Materials: Das beste aus zwei Welten im Werkstoff kombiniert
„Das Darmpflaster-Projekt stößt bereits jetzt auf großes Interesse aus der Ärzteschaft“, berichtet Herrmann. Nun gelte es, die Anwendung der klinisch relevanten Innovation in der Praxis voranzutreiben. Das Forscherteam gründet mit seiner Entwicklung zur Zeit das Start-up „Veltist“.
Kontakt:
Empa & ETH Zürich
Dr. Alexandre Anthis
Telefon: +41 58 765 74 57
E-Mail: alexandre.anthis@empa.ch oder aanthis@ethz.ch
Prof. Inge Herrmann
Telefon: +41 58 765 71 53
E-Mail: inge.herrmann@empa.ch oder ingeh@ethz.ch
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/advs.202301207
www.empa.ch/web/s604/sensorpflaster