Magdeburger Hirnforscher veröffentlichen den bislang umfangreichsten Rohdatensatz zur Verarbeitung von Sprache im Gehirn. Er ist Forschern und der Öffentlichkeit frei zugänglich – und ermöglicht so breite interdisziplinäre Kooperationen.
Forscher, die freiwillig ihre kompletten Rohdatensätze im Internet teilen, bevor sie sie selbst ausgewertet haben? Bis vor einiger Zeit war dies undenkbar, und auch heute noch scheuen viele Wissenschaftler einen allzu freizügigen Datenaustausch, bevor sie ihre Ergebnisse nicht publiziert und damit ihre Reputation in Fachkreisen gestärkt haben. Der Magdeburger Psychologe-Professor Michael Hanke von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg beschreitet zusammen mit Dr. Jörg Stadler vom Leibniz Institut für Neurobiologie und Kollegen einen anderen Weg: Gemeinsam veröffentlichen sie in der Erstausgabe des Fachmagazins Scientific Data der Nature Publishing Group den bislang umfangreichsten Rohdatensatz zur Verarbeitung von Sprache im Gehirn. Auf der Webseite http://www.studyforrest.org steht er jedem Interessierten frei zur Verfügung.
„Wir haben vom Bundesministerium für Bildung und Forschung Gelder bekommen, um Daten zu erheben. Jetzt sehen wir uns in der Pflicht, die Wertschöpfung aus den Untersuchungen für die Gesellschaft zu maximieren“, erklärt Hanke, dessen Projekt im Rahmen einer Deutsch-US-amerikanischen Kooperation innerhalb des Bernstein Netzwerks Computational Neuroscience finanziert wurde. Fachliche Anerkennung bekommen die Hirnforscher nun durch die Zitate in den Fachartikeln, die auf seinem Rohdatensatz basieren.
Die als Open Science bekannte Herangehensweise hat den Vorteil, dass sie den Fortschritt in der Wissenschaft beschleunigt: Konkurrierende Forschungslabore können zeitgleich an einem Thema arbeiten, ohne sich gegenseitig durch Zurückhaltung bei der Datenherausgabe auszubremsen. Auch müssen Wissenschaftler bei Anfragen – die zum Teil Jahre nach der Erstveröffentlichung gestellt werden – nicht mehr mühsam die damalige Erhebung rekonstruieren: Die Rohdaten sind bereits für eine gemeinsame Nutzung aufbereitet worden. Das spart Zeit und Kosten, die zugunsten weiteren Erkenntnisgewinns eingesetzt werden können.
Bei dem aktuell veröffentlichten Magdeburger Datensatz geht es um die Verarbeitung von akustischen Reizen. In der Studie hörten sich Versuchspersonen eine Hörfilmversion des Klassikers Forrest Gump an, während mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) ihre Hirnaktivität bei der Verarbeitung von Sprache, Musik, Emotionen, Erinnerungen und bildlicher Vorstellungen gemessen wurde. Der Datensatz spiegelt damit nicht nur eine isolierte Hirnfunktion wider, sondern reflektiert die tatsächliche Komplexität des Informationsstroms bei alltäglichen Hörerfahrungen. Neben den gesamten fMRT-Daten stellen die Wissenschaftler umfassende anatomische Beschreibungen der Gehirne aller Versuchsteilnehmer zur Verfügung, ebenso wie Messwerte über Atmung und Herzschlag. Sie zeigen an welchen Stellen des Films der Zuhörer aufgeregter oder entspannter war.
Um solche interdisziplinären Forschungsprojekte zu fördern, hat das Magdeburger Center for Behavioral Brain Sciences ein Preisgeld von 5000 Euro für die beste Nutzung des veröffentlichten Datensatzes ausgelobt.
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