Türklinken, Treppengeländer, Tische oder Einkaufswagen: Was Menschen häufig berühren, muss während der Pandemie immer wieder desinfiziert werden. Sonst können Viren auf den Oberflächen auch ohne Wirtszelle infektiös bleiben. Wie lange? Das hängt von vielen Randbedingungen ab. Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, UV-Strahlung sowie die Materialzusammensetzung und Eigenschaften einer Oberfläche beeinflussen das deutlich.
Forscher des Bremer Fraunhofer-Instituts für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM haben zusammen mit der Universität Szeged in Ungarn eine flexible Beschichtungslösung für Bauteiloberflächen entwickelt. Sie hat eine Besonderheit: Sie soll eine zuverlässige und dauerhafte Dekontamination ohne chemische Behandlung ermöglichen und gleichzeitig im großen Maßstab kostengünstig realisierbar sein.
Desinfektion mit sichtbarem Licht – mit silberdotierten Titandioxid-Photokatalysatoren
Bei den ersten Entwicklungen ging es um silberdotierte Titandioxid-Photokatalysatoren. Diese waren in Schichtsilikaten interkaliert und in einem Polyurethan-Lack – kurz PU-Lack – dispergiert. Dass photokatalytisch aktive Beschichtungen die Belastung einer Fläche mit Bakterien und Viren reduzieren und so helfen können, Übertragungswege zu unterbrechen, war bereits bekannt.
Ein Schicht dieses neu entwickelten Lacks auf Oberflächen machte Bakterien und Viren unschädlich, sobald die Fläche mit sichtbarem Licht von Wellenlängen über 430 nm bestrahlt wurde, was einer Farbe im blau-violetten Bereich entspricht. Dabei tragen die Schichtsilikate allein schon zum schnellen und effektiven Wirkmechanismus bei. Sie bilden auf der Oberfläche wenige Nanometer große aktive Zentren und ermöglichen damit den direkten Kontakt zwischen den Mikroben und den photoaktiven Substanzen. Diese Entwicklung ist bereits patentiert.
Was Kupfer anstelle von Silber bei der Desinfektion mit Licht leisten kann
In einem weiteren Ansatz sollte Kupfer das teurere und mit Blick auf Gefahren für Lebewesen und Umwelt nicht unumstrittene Silber ersetzen. Ein weiterer Aspekt war, dass entsprechende Oberflächen in einem skalierbaren Fertigungsansatz herstellbar sein sollten. Vor dem aktuellen Hintergrund der Covid-19-Pandemie sollte die Wirksamkeit nicht nur gegen Bakterien, sondern auch gegen Viren getestet werden.
Um den kupferdotierten Photokatalysator herzustellen, entwickelten die Mitarbeiter am Fraunhofer IFAM eigens einen Prozess. Den Katalysator dispergierten sie in einem PU-Lacksystem oder kompoundierten ihn in thermoplastische Polymere. Werden letztere zu Filamenten extrudiert, lässt sich das Material mit dem 3D-Druck-Verfahren Fused Filament Fabrication (FFF) zu komplexen Bauteilen verarbeiten.
Der Füllgehalt mit den Photokatalysatoren war entscheidend
Sehr gute antibakterielle und antivirale Wirksamkeit war zu erreichen, wenn im PU-Lack Füllgehalte des Photokatalysator-Komplexes von rund 35 Gewichtsprozent enthalten sind. Im Polymer waren 50 Gewichtsprozent erforderlich. Unter diesen Vorausserzunen war innerhalb von zwei Stunden eine Abbaurate der Erreger von über 80 % gegenüber den Kontrollbauteilen erreichbar – sowohl unter UV-Licht als auch mit einer sonnenlichtähnlichen Lichtquelle.
Kupfer kann das Silber also vollumfänglich ersetzen. Auch dieses Verfahren ist zum Patent angemeldet. Je nach Fragestellung können Unternehmen von diesen Forschungsergebnissen profitieren und am Fraunhofer IFAM Machbarkeitsstudien dazu beauftragen, ob sich die Katalysatoren für Anwendungen an ihren eigenen Produkten eignen. Eine umfangreiche Analytik am Institut kann dabei sämtliche Entwicklungsschritte wissenschaftlich begleiten und validieren.
Weitere Informationen:
Das Projekt Covid-Dekont hat Mittel aus dem Sofortprogramm Anti-Corona der Fraunhofer-Gesellschaft erhalten.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Volker Zöllmer
E-Mail: volker.zoellmer@ifam.fraunhofer.de
Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM
Wiener Straße 12
28359 Bremen
www.ifam.fraunhofer.de