Neue Sensoren für die Bildgebung ermöglichen es dem Operateur, im Bereich des Eingriffs durch das Blut hindurch die zu behandelnden Strukturen zu erkennen. Dafür wird Software gebraucht – und vor allem kurzwelliges Infrarotlicht.
Kleine Strukturen erkennbar zu machen: Diese Aufgabe erledigen optische Mikroskope mit Bravour, zum Beispiel auch im OP-Umfeld. Sie beleuchten das Operationsfeld mit Licht aus dem sichtbaren Spektralbereich und übertragen die Ansicht in hoher Auflösung auf einen Bildschirm. Aber an einer Stelle ist bisher Schluss: Wenn die Oberfläche durch Einblutungen verdeckt oder durch bakterielle Besiedlung kontaminiert ist, sieht der Mediziner nichts mehr.
SWIR-Operationsmikroskope mit neuen Bildsensoren
Das soll eine neue Generation von Operationsmikroskopen nun ändern. Sie nutzen Bildsensoren, die Aufnahmen im kurzwelligen Infrarot-Lichtspektrum erstellen, in Echtzeit verarbeiten und darstellen können. Dieses kurzwellige Infrarotlicht (short wave infrared), kurz SWIR, soll Blut, bakterielle Biofilme, Knorpel und Weichgewebe durchleuchten, räumlich darstellen und voneinander unterscheidbar machen.
Entwickelt werden die so genannten SWIR–Mikroskopsysteme im Kooperationsprojekt Betterview. Im Projekt arbeiten sieben Partnereinrichtungen zusammen, darunter die Universität Bielefeld und das Klinikum Bielefeld, eine der Trägerkliniken des Universitätsklinikums OWL. Das Medizintechnik-Unternehmen Munich Surgical Imaging koordiniert die Forschung, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert.
In Mikroskopen, die wie das SWIR-Operationsmikroskop mit den neuen Sensoren arbeiten, muss das aufgenommene Bildsignal zuerst automatisiert analysiert und verarbeitet werden. Damit das Operationsmikroskop die Kurzwellen-Infrarot-Signale darstellen kann, entwickeln Prof. Thomas Huser von der Fakultät für Physik der Universität Bielefeld und sein Team eine eigene Software. Sie filtert Licht außerhalb des Kurzwellen-Infrarot heraus und berechnet eine dreidimensionale Ansicht der Aufnahme. Huser ist Spezialist für biomedizinische Photonik, die sich mit der Entwicklung neuartiger Mikroskopieverfahren befasst.
Software hilft, Nerven und Weichgewebe voneinander zu unterscheiden
Die Software muss auch farbliche Kontraste erzeugen. „Solche farblichen Markierungen machen zum Beispiel Nerven und Weichgewebe leicht voneinander unterscheidbar“, erklärt Huser. Das Ausspielen des Videobildes in Echtzeit ermöglicht es den Chirurgen im Operationssaal, präzise zu arbeiten und ohne Verzögerung zu sehen, was ihr Eingriff im Operationsfeld gerade bewirkt.
Um das SWIR-Operationsmikroskop in der Praxis zu erproben, soll es zunächst in der Behandlung von Cholesteatomen – einer chronisch eitrigen Entzündung des Mittelohrs – eingesetzt werden. Getestet wird das Mikroskop in der Universitätsklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie des Klinikums Bielefeld. „Bleibt ein Cholesteatom unbehandelt, kann es zu ernsthaften Schäden führen“, sagt Prof. Holger Sudhoff, Direktor der Universitätsklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie des Klinikums Bielefeld. Entstehen kann ein Cholesteatom, auch bekannt als Knocheneiterung, durch eine Mittelohrentzündung oder dadurch, dass das Trommelfell ins Mittelohr einwuchert.
In gängigen Mikroskopen sind bakterielle Biofilme manchmal nicht zu erkennen
Entzündet sich ein Cholesteatom durch Bakterien, wächst es schneller und schädigt die befallenen Knochen stärker. Wie stark sich die bakterielle Besiedlung ausgebreitet hat, ist mit den gängigen Mikroskopen, die mit sichtbarem Licht arbeiten, aber oft nicht erkennbar, weil zum Beispiel Einblutungen den Biofilm verdecken. Wird zur Diagnose von Cholesteatomen zusätzlich die Computertomographie (CT) eingesetzt, lässt sich eventuell vorhandene Flüssigkeit im Mittelohr aber nicht von einem Cholesteatom unterscheiden. Die Magnetresonanztomographie (MRT) liefert zwar eine höhere Auflösung als die CT, aber auch damit lassen sich die Details der Gehörknöchelchen nicht präzise genug darstellen.
Das SWIR-Mikroskop soll hier eine Reihe von Vorteilen bringen. Da es ermöglicht, durch Blut hindurch zu sehen und bakteriell besiedeltes Gewebe, Knochen, Nerven und Weichgewebe voneinander unterscheidbar darstellt, „erkennen Operateure bereits während des Eingriffs, wo im Mittelohr sich noch verbleibende bakterielle Besiedlung befindet“, sagt der Projektkoordinator Dr. Hans Kiening von dem Medizintechnik-Unternehmen Munich Surgical Imaging (MSI). So lassen sich infizierte Bereiche vollständig entfernen, aus denen sich sonst wieder ein Cholesteatom entwickelt. Von MSI stammt ein bereits in der Chirurgie eingesetztes Operationsmikroskop, das hochauflösende Aufnahmen liefert. Das neue Projekt baut auf dieser Entwicklung auf.
Durch das Weichgewebe hindurch sollen sich künftig auch optisch verdeckte Stellen untersuchen lassen. Dann ließe sich erkennen, ob die Bakterien auch Knochenmaterial im Innenohr besiedelt oder beschädigt haben. Hinzu kommt, dass das Mikroskop die Sicherheit für die Patienten erhöhen soll. Denn durch die bessere Darstellung sinkt das Risiko, empfindliche Strukturen wie den Gesichtsnerv oder das Labyrinth des Innenohrs bei einem Eingriff zu verletzen.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Thomas Huser, Universität Bielefeld
Fakultät für Physik
Telefon: 0521 106-5451
E-Mail: thomas.huser@physik.uni-bielefeld.de
Weitere Informationen:
Projektsteckbrief im Portal Photonikforschung Deutschland:
https://www.photonikforschung.de/projekte/lebenswissenschaften/projekt/bettervie…