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Winzige Netzwerke versorgen die künstliche Haut

Laserpolymerisation: Verfahrenskombination ermöglicht Strukturen unterschiedlicher Größe
Winzige Netzwerke versorgen die künstliche Haut

Drei Verfahren in einer Anlage braucht es, um hauchzarte verzweigte Gefäße künstlich herzustellen. Sie sollen ein mehrschichtiges Hautgewebe mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgen. Ohne Laserlicht läuft in diesem Prozess nichts.

Seit Jahrzehnten versuchen Menschen, künstliches Gewebe durch so genanntes Tissue Engineering in der Petrischale zu züchten. Ein großer Erfolg ist beispielsweise die Entwicklung eines dünnen Hautmodells, das aus Dermis und Epidermis besteht. Solche Hautmodelle sollen eingesetzt werden, wenn nach großflächigen Verbrennungen oder Tumorresektionen nicht ausreichend eigene Haut zur Verfügung steht.

Ein Nachteil dieser Systeme ist allerdings, dass sie nicht so elastisch sind wie die natürliche Haut: Dafür fehlt ihnen das Unterhautfettgewebe, das wesentlich dicker ist als Dermis und Epidermis. Dieses Fettgewebe aber ist es, das Elastizität und Plastizität bietet.
Um auch Unterhautfettgewebe künstlich herzustellen, müsste eine mehrschichtige Struktur von Zellen mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt werden. Darüber hinaus gilt es, den Abtransport von Abfallprodukten zu ermöglichen. Beides übernehmen im natürlichen System Blutgefäße, die mit kleinsten Verzweigungen das Gewebe durchziehen und versorgen. Ein Verfahren, um solch feinverzweigte Gefäße künstlich aufzubauen, ist somit die Voraussetzung dafür, ein Fettgewebe unter Laborbedingungen wachsen zu lassen. Sind künstliche Gefäße vorhanden und integriert, können sie als Stützstruktur für die Regeneration natürlicher Gefäße dienen.
Mit dieser Aufgabe haben sich Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Lasertechnik ILT in Aachen gemeinsam mit Forschern aus vier weiteren Fraunhofer-Instituten drei Jahre lang befasst. Sie haben eine Prozesskombination aus 3D-Inkjet-Druck und Multiphotonenpolymerisation entwickelt. Diese erlaubt es, verzweigte, elastische Gefäße mit einem Durchmesser von wenigen Mikrometern bis hin zu einigen Millimetern herzustellen, und sie wird nun in dem EU-Projekt ArtiVasc 3D weiterentwickelt. So soll ein mit Gefäßen versorgtes Hautmodell entstehen, das aus vaskularisiertem Unterfettgewebe, dermaler und epidermaler Schicht besteht.
Diese kleinlumigen künstlichen Blutgefäße werden am Fraunhofer ILT in der Gruppe Biotechnik und Lasertherapie durch zwei laserbasierte Verfahren aufgebaut: die Stereolithographie (STL) und die Multiphotonenpolymerisation (MPP). Diese generativen Verfahren basieren auf einem laserinduzierten Prozess, der photosensitive Polymer- Materialien vernetzt. Diese Prozesse unterscheiden sich in ihrem Auflösungsvermögen: Je nach ihren Eigenschaften können Strukturen unterschiedlicher Größe aufgebaut werden.
So eignet sich die STL dafür, kleine Blutgefäßen mit einem Durchmesser von einigen 100 µm und Wanddicken von über 10 µm herzustellen. Für den Aufbau der Gefäße wird ein speziell für diese Anwendung entwickeltes Polymer in einem Bad mit Hilfe einer UV-Laserstrahlquelle vernetzt. Die hierfür verwendete Wellenlänge beträgt 355 nm. Die Lichtenergie erreicht einen UV-sensitiven Aktivator, der die Polymerisationsreaktion anstößt. So können gezielt Strukturen erzeugt werden. Durch das Absen- ken des Polymerbades lassen sich Schicht für Schicht röhrenförmige Strukturen mit einer Auflösung im Mikrometer-Bereich aufbauen.
Im Gegensatz zur STL hat die MPP ein höheres Auflösungsvermögen im Submikrometerbereich, so dass nanoskalige Strukturen aufgebaut werden können. Das ist in nicht-linearen Absorptionsprozessen begründet: Sie wirken nur dort, wo zwei Photonen nahezu gleichzeitig eintreffen.
Für die MPP werden Femtosekundenlaser-Strahlquellen mit einer zentralen Wellenlänge von 800 nm oder Mikrochip-Pikosekundenlaserstrahlquellen mit einer Wellenlänge von 532 nm eingesetzt. Durch die Addition der Photonenenergie im Fokus des Laserstrahls wird ein UV-sensitiver Photoinitiator radikalisiert. Dieser löst dann die lokale Polymerisation aus. Da nur im Fokus des Laserstrahls die Photonendichte dafür ausreicht, kommt es auch nur dort zur Vernetzung des Polymers.
Gebraucht werden die nanoskaligen Strukturen beim Aufbau der Blutgefäße, um feine Poren für die Aussprossung neuer Blutgefäße zu ermöglichen. Die Kombination beider Verfahren in einer Anlage erlaubt den Aufbau mikroskaliger Gefäße mit nanoskaliger Oberflächenstrukturierung.
Am Fraunhofer ILT wurde ein Lasermodul konzipiert, das in eine Rapidprototyping- Anlage integriert werden kann. Zusätzlich zu MPP und STL wird hier die 3D-Inkjet-Druck-technologie eingesetzt, um unvernetztes Polymer aufzutragen. So können sogar unterschiedliche Materialien kombiniert werden. Je nach benötigter Strukturauflösung wird dieses zusätzlich aufgetragene Material direkt mit einer Lampe, via STL oder via MPP ausgehärtet. Die fertig entwickelten Gefäße werden am Ende in einem Bioreaktor mit Zellen besiedelt und dann in das 3-lagige Hautmodell integriert.
Nadine Seiler, Sascha Engelhardt, Dr. Martin Wehner, Dr. Arnold Gillner Gruppe Biotechnik und Lasertherapie, Fraunhofer ILT, Aachen

Auf dem Weg zum Hautmodell
Im EU-Projekt ArtiVasc 3D entwickeln Forscher ein vaskularisiertes, also von Gefäßen durchzogenes künstliches Hautmodell. In einem interdisziplinären Team arbeiten Biologen, Chemiker und Physiker sowie Ingenieure und Mediziner zusammen. Die Beteiligten sind in Industrie, Forschung und Klinik tätig und wollen auf lange Sicht eine automatisierte Prozesskette aufbauen, die es erlaubt, ein künstliches Stützgerüst herzustellen. Auf der Basis dieses Gerüsts können dann 3-lagige Hautmodelle aus vaskularisiertem Fettgewebe, Dermis und Epidermis entstehen.
Forschungseinrichtungen und Industrieunternehmen aus Deutschland, England, Finnland, Frankreich, Italien, Österreich und der Schweiz sind am Projekt beteiligt. Die Projektleitung hat das Fraunhofer ILT aus Aachen.
Mehr zum Projekt: www.artivasc.eu

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