Kleine Kunstwerke: So kann man wohl die Schrauben aus Titan bezeichnen, die einen künstlichen Zahn im Kieferknochen verankern. Sie sorgen für die notwendige Stabilität beim Zahnersatz, sind „das Implantat“ im engeren Sinn und in zahlreichen Varianten von verschiedenen Herstellern verfügbar. In Kombination mit dem Abutment und der Keramik-Krone lässt der Zahnarzt daraus für Auge und Zungenspitze die Illusion eines neuen Zahns entstehen.
Eine Titan-Halterung für die Titanschraube
Üblich ist es heute, diese durchaus kostbaren kleinen Titanteile in aufwendigen metallischen Halterungen bereitzustellen. Die meisten Hersteller fertigen diese Halterungen ebenfalls aus Titan und nutzen dafür die gleichen präzisen Drehmaschinen, auf denen auch die Schrauben selbst entstehen. So wird eine Titanschraube schließlich in der Titan-Halterung in eine Umhüllung aus Glas oder Kunststoff verpackt, beschriftet und sterilisiert, bevor sie den Einsatzort beim Zahnarzt oder Kieferchirurgen erreicht.
Es gibt jedoch eine interessante fertigungstechnische Alternative zum Drehen dieser hülsenförmigen Halterungen, die Vorteile in mehrerlei Hinsicht verspricht. „Wir haben eine Möglichkeit entwickelt, die Hülsen für die Implantatschrauben durch Tiefziehen herzustellen“, sagt Andreas Hellmann, der beim Tiefziehspezialisten Hubert Stüken GmbH & Co. KG aus Rinteln den Verkauf im Bereich Medical leitet. Das Tiefziehen spart laut Hellmann Material – was die Hülsen leichter macht–, und es fallen keine Späne an.
Ein weiterer Vorteil, der sich ergibt: Die präzisen Drehmaschinen wären nicht mit dem Herstellen der Halterungen belegt, die Betreiber könnten ihre Maschinen und Werkzeuge also ausschließlich für das Fertigen der Medizinprodukte nutzen. Ganz nebenbei ließe sich dabei der CO2-Fußabdruck um die Hälfte reduzieren, ergänzt Hellmann.
Von dieser Idee überzeugt zeigt sich bereits ein europäischer Hersteller von Implantatschrauben. Er hat diese Variante 2023 seiner Benannten Stelle vorgelegt und im Oktober das „Go“ dafür bekommen. Seither gibt es den ersten Pilotkunden für die tiefgezogenen Hülsen aus Titan.
Präzisions-Tiefziehteile für die Medizintechnik mit perfektem Schliff
Halterung: Zweiteiliger Aufbau passt für alle Schraubengrößen
In deren Entwicklung haben die Rintelner vier Jahre Arbeit investiert. Denn: Die Schrauben gibt es heute in verschiedenen Größen, und sowohl der Durchmesser als auch die Länge können variieren. In ihrer Halterung müssen sie alle aber so gelagert sein, dass sie an keiner Stelle mit den Wänden der Hülse in Kontakt kommen. Um das mit Tiefziehteilen abzubilden, haben sich die Fachleute von Stüken für einen zweiteiligen Aufbau der Hülse entschieden.
Die Hülse hat ein äußeres Element, das immer einen Durchmesser von 7 mm aufweist, aber in verschiedenen Varianten die unterschiedlichen Längen der im Markt verfügbaren Schrauben abbildet. In diese äußere Hülle eingepresst wird ein inneres Element. Dessen Gestaltung mit einer Art Kragen ist so konzipiert, dass die Implantatschrauben sicher gehalten sind – und die unterschiedlichen Durchmesser werden auch hier durch mehrere Varianten repräsentiert.
FEM beim Tiefziehen: Neue Lösungen wagen und kurz simulieren, was sie bringen
Das gereinigte äußere und innere Element der Hülle können bei Stüken optional im Reinraum Klasse 7 montiert werden. Genauer gesagt werden die Teile in einer halbautomatisierten Anlage miteinander verpresst und dann geschützt in geeigneten Tüten an die Hersteller der Implantatschrauben ausgeliefert.
Patentanmeldung läuft, Zertifizierung nach 13485 steht
Um die Elemente für die Hülse aus Titan Grade 1 herzustellen, sind die entsprechenden Werkzeuge bei Stüken entwickelt worden. Große Stückzahlen mit diesem Verfahren herzustellen, ist laut Hellmann kein Problem, die Patentanmeldung für die Herangehensweise läuft schon. Auch eine Zertifizierung gemäß ISO 13485 bieten die Tiefziehexperten.
Im Vergleich zu den gedrehten Hülsen, die jeweils bis zu 10 g wiegen, sind die tiefgezogenen Teile deutlich leichter, sie bringen je nach Variante 2 bis 3 g auf die Waage.
Solche Halterungen aus Metall, die als Bestandteil der Verpackung für ein Medizinprodukt eingesetzt werden, sind natürlich ein Sonderfall. Aus Sicht von Hellmann ist diese Anwendung aber ein schönes Beispiel dafür, dass sich der Blick auf alternative Fertigungsverfahren wie das Tiefziehen lohnen kann.
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Auf der Compamed: Halle 8a, Stand M14
(Bild: edwardolive /stock.adobe.com)
Über Dentalimplantate
Wenn im Zusammenhang mit den Zähnen vom „Implantat“ die Rede ist, geht es im Grunde um drei Bestandteile, die am Ende im Mund eine Einheit bilden und die Lücke füllen, die ein oder mehrere entfernte Zähne hinterlassen haben.
Sichtbar ist die Keramik-Krone des künstlichen Zahns. Sie wird befestigt auf dem Abutment, einem Verbindungselement aus Metall oder Zirkon, das in das eigentliche „Implantat“ aus Titan eingebracht wird. Andere Bezeichnungen für das Abutment sind Implantatpfosten oder Implantathals.
In den Kieferknochen „implantiert“ ist also letztlich nur eine Knochenschraube aus Titan, die die Aufgabe übernimmt, die beim natürlichen Zahn die Zahnwurzel hat: Sie trägt die Krone und hält dem Druck stand, den die Kiefer beim Kauen erzeugen.