Was in der Medizintechnik digitalisiert werden kann, wird heute vom Anwender auch lieber digital gelöst. So fasst Prof. Dr. Wolfgang Knaak, der stellvertretende Leiter des Instituts für eingebettete Systeme und Medizintechnik (ESM/Emb-Lab) der Hochschule Mannheim seinen Eindruck über die Entwicklungen in der Medizintelektronik zusammen. Ein Beispiel seien etwa die Dentalscanner, die in immer mehr Zahnarztpraxen den klassischen Abdruck ersetzen.
Zerlege man solches High-Tech-Equipment, fänden sich dort in vielen Fällen auch Standardbauteile aus dem Katalog. „Der Lieferant muss natürlich hinsichtlich des Anspruchs in der Medizintechnik zertifiziert sein. Komplett eigene Chips oder andere Bauteile werden aber nur selten speziell für die Medizin entworfen.“ Denn die Elektronikindustrie sei selbst sehr aktiv, es würden laufend neue Kameras, Speicherbausteine oder andere Komponenten entwickelt. „Der Fortschritt in der Medizintechnik kommt daher nicht selten dadurch zu Stande, dass eben solche innovativen Elemente hier schnell in neue Produkte integriert werden“, erklärt Knaak. Weil die Medizintechnik kein Massenmarkt sei, aber auch keiner, in dem ständig nahe der Losgröße 1 gearbeitet werden muss, lohne es sich für die Elektronik-OEMs durchaus, spezielle Komponenten für die hohen Ansprüche der Medizintechnik in Serie zu produzieren.
Die Mikroelektronik ist jedenfalls die Grundlage zahlreicher Innovationen der intelligenten Medizintechnik. Die Komponenten müssen spezielle Anforderungen hinsichtlich Biokompatibilität, Zuverlässigkeit, Energieverbrauch und Integrationsfähigkeit erfüllen – und viele unterschiedliche Bestandteile müssen zusammengeführt werden, darunter sensorische und aktorische Baugruppen sowie Komponenten zur Signalverarbeitung, Kommunikation und Energiegewinnung. Daher ist die elektronische Medizintechnik kein geschlossener Bereich, sondern
– beeinflusst von diversen Ingenieursdisziplinen – letztlich ein spezieller Anwendungsbereich der Elektronik.
Elektronik für die Medizin braucht interdisziplinäre Ideen
Deutlich wird das auch am ESM/Emb-Lab in Mannheim: Die rund 20 Mitarbeiter dort kommen aus der Medizintechnik, der Informatik, Nachrichtentechnik, Elektronik, Mechatronik und Informationstechnik. „In der medizinischen Anwendung sind natürlich die hohen regulatorischen Anforderungen zu berücksichtigen“, sagt Knaak.
Seiner Einschätzung nach gibt es einen Trend zu mehr digitaler Technik in Form von Embedded Systems oder FPGAs, die entsprechend programmiert werden. Erstere sind kleine Computer, die in einem Gerät dessen Steuerung übernehmen. FPGAs wiederum sind einzelne Chips, deren Funktion kundenspezifisch konfiguriert werden kann: Die interne Hardware wird quasi je nach Einsatz durch Software individuell verschaltet.
Wohin sich die elektronische Medizintechnik entwickelt, zeigen auch verschiedene Forschungsprojekte in Deutschland. Stark seheingeschränkte Menschen können sich bereits seit einiger Zeit operativ ein Netzhautimplantat in Form eines Mikrochips einsetzen lassen. Da dabei ein Kabel durch die Augenwand geführt werden muss, läuft das selten ganz ohne Komplikationen.
Im Projekt Light Bridge entwickelt die Reutlinger Retina Implant AG daher zusammen mit dem Freiburger Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE eine kabellose Energieversorgung und Ansteuerung der Netzhautimplantate. Diese arbeitet mittels Lichtimpulsen, die von außerhalb des Auges gesendet werden. Für diese „Lichtbrücke“ kombiniert man integrierte Mikroelektronikschaltungen, Leuchtdioden und hocheffiziente Solarzellen aus der Raumfahrt von einem weiteren Partner, der Azur Space Solar Power GmbH aus Heilbronn, und bettet das zusammen in eine flexible Trägerfolie. Die neue Technik verspricht auch eine bessere Verträglichkeit bei MRT-Untersuchungen sowie eine längere Nutzungsdauer.
Flexibler Elektronikchip lässt sich ins Auge implantieren
Ein weiteres Projekt beschäftigt sich ebenfalls mit dem Auge: Die Mainzer Prema Semiconductor GmbH erarbeitet zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT in Stuttgart und der Augenklinik Sulzbach im Rahmen des Projekts Flexi Ret ein Hilfsmittel: Es soll Menschen, die durch eine Netzhauterkrankung erblindet sind, das Sehen wieder ermöglichen. Ein dünner, flexibler Elektronikchip wird ins Auge implantiert und schmiegt sich dort eng an die Netzhaut an. Die Bilder einer Kamera – versteckt in einer Brille – werden drahtlos an den Chip übertragen. Dieser wandelt die Bildsignale um und stimuliert die Nerven der Netzhaut, sodass der erblindete Mensch wieder Bilder wahrnehmen kann.
Mehrere Implantate im Körper – und dann?
Durch die Digitalisierung in der Medizin kann aber auch damit gerechnet werden, dass künftig mehrere Implantate im Körper getragen werden – und diese müssen sich austauschen können. Eine langzeitstabile, biokompatible Signalübertragung ist insbesondere für die Verbesserung von Neuroprothesen entscheidend, da dort mehrere Implantateinheiten große Datenströme parallel übermitteln.
Im Projekt I-call will das Fraunhofer IBMT zusammen mit mehreren Partnerunternehmen ein ultraschallbasiertes System realisieren, mit dem sich mehrkanalig, sicher und störresistent Daten zwischen Implantaten im menschlichen Körper übertragen lassen. Die Erzeugung und Detektion der hochfrequenten Signale erfolgt hierzu mit kapazitiven Ultraschallwandlern (cMUT). Diese will man so stark miniaturisieren, dass sie direkt in den Schaltkreis (ASIC) integriert werden können.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind in Deutschland die häufigste Todesursache. Ziel des Projektes Mikro-BO ist daher die Entwicklung eines elektronischen Mikrosystems, mit dem sich der Blutdruck im Ohr permanent nicht-invasiv messen lässt. Beteiligt sind neben der koordinierenden Audifon GmbH, Kölleda, unter anderem auch das Forschungszentrum Informatik (FZI ) am Karlsruher Institut für Technologie und die Ruhr-Universität Bochum. Für etwa 25 Millionen Menschen, die unter Bluthochdruck leiden, verspricht das Sensorsystem eine einfache Kontrolle der Werte, die zu einer Früherkennung von Krankheiten und damit einer entsprechenden Kostenreduktion führt.
Die Messung soll durch eine aktive Erhöhung des Drucks in einer abgedichteten Luftkammer im äußeren Gehörgang erfolgen. Zur Steuerung und Auswertung dient eine hinter dem Ohr getragene Hörgeräte-Plattform. Die geplante Miniaturisierung erlaubt eine Anwendung innerhalb des Ohres, sodass der Blutdruck regelmäßig überwacht wird.
Treffpunkt Embedded World
Die 17. Embedded World Exhibition & Conference findet vom 26. bis 28. Februar 2019 im Messezentrum Nürnberg statt. Die Veranstaltung bietet jährlich die Möglichkeit, sich über alle Facetten der Embedded-Technologien zu informieren, von Bauelementen, Modulen und Komplettsystemen über Betriebssysteme und Software, Hard- und Softwaretools bis zu Dienstleistungen.
Angekündigt sind knapp 1100 Aussteller. Für das Jahr 2018 meldeten die Veranstalter 1021 Aussteller und mehr als 32 000 Besucher, die sich darüber austauschten, wohin sich das Internet der Dinge und die zunehmend digitalisierte Welt entwickeln.
Auf der Sonderfläche „safety & security Area“ in der Halle 4A können sich Besucher 2019 darüber informieren, wie man Embedded-Systeme vor Angriffen schützt, angriffssichere Hard- und Software für Embedded-Lösungen gestaltet und Angriffswege im Embedded-Bereich überwacht.
Erstmals wird es auf dem Gelände eine Start-up-Area geben. Jungen Unternehmen bietet diese Sonderfläche in der Halle 3A Gelegenheit, sich zu präsentieren. „Unsere Fachbesucher wünschen sich mehr frische Ideen von jungen, innovativen Unternehmen“, sagt Benedikt Weyerer, Leiter der Embedded World bei der Nürnberg Messe.