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Jeder Tag bringt neue technische Herausforderungen für die Ingenieure der Hörgerätebranche. Ein häufiges Problem ist beispielsweise die Rückkopplung, die hochtöniges Quietschen oder Pfeifen verursacht und so den Nutzen von Hörhilfen einschränkt. „Rückkopplungen treten meist auf, wenn das Mikrofon einer Hörhilfe Geräusche oder Schwingungen aufnimmt, die versehentlich vom in den Hörkanal geleiteten Klang abgeleitet wurden und sie zurück durch den Verstärker schickt, was zu unerwünschten Oszillationen führt“, erläutert Brenno Varanda, erfahrener Elektroakustikingenieur bei Knowles Corp. in Itasca, Illinois/USA.
„Für die meisten Kunden von Knowles stellt die Entwicklung einer neuen Hörhilfe einen zeit- und kostenintensiven Prozess dar, der bis zu seinem Abschluss zwei bis sechs Jahre in Anspruch nehmen kann“, erklärt Varanda. Exakte Modellierung unterstützt die Entwickler bei der Auswahl von Lautsprechern, einer verfeinerten Anbringung von Schwingungsisolation und Komponenten zur Reduzierung der Lautsprecherenergie, die ins Mikrofon zurückgeleitet wird.
Die Branche benötigt dringend einfache Wandlermodelle, die dieses Verfahren beschleunigen und den Kunden effektivere Optionen bereitstellen. Als weltweit führendes Unternehmen und Lieferant von Wandlern für Hörhilfen, intelligenten Audiosystemen und speziellen Akustikkomponenten hat das Unternehmen eine multilaterale Initiative eingeleitet, um schwingungsakustische Modelle für Wandler zu entwickeln, die leicht zu integrieren und kompatibel mit der Technologie der Kunden sind. Die Modelle sollen dazu beitragen, Entwürfe für Hörhilfen effizienter und gleichzeitig ohne Abstriche bei der Genauigkeit aus dem Prototyp-Stadium zum Endprodukt zu führen.
Bei der Entwicklung von Hörhilfen müssen die Ingenieure zwei gegensätzliche Anforderungen berücksichtigen: Die Geräte müssen kompakt und unaufdringlich gestaltet werden, jedoch zugleich eine leistungsstarke Klangausgabe erzeugen, um die Hörschädigung des Nutzers auszugleichen.
Fokus auf Hörhilfen-Design und Rückkopplungen
Kompakt und unaufdringlich gestaltete Hörhilfen werden vom Nutzer eher getragen. Dies macht eine Lösung des Rückkopplungsproblems deutlich schwieriger. „Die übliche Design-Herausforderung ist es, alle Hardware-Komponenten auf kleinstmöglichem Raum unterzubringen, ohne dass Rückkopplungsinstabilität entsteht“, so Varanda.
Zu einer typischen Hinter-dem-Ohr-Hörhilfe (HdO-Gerät) gehören Mikrofone zur Umwandlung der Umgebungsgeräusche in elektrische Signale, ein digitaler Signalverarbeiter und Verstärker zur Verarbeitung und Verstärkung der elektrischen Signale und ein kleiner Lautsprecher, auch als Receiver bezeichnet. Der Receiver oder Lautsprecher empfängt verstärkte elektrische Signale und wandelt sie in akustische Energie, also Schall, um, der dann durch ein Röhrchen oder ein Ohrpassstück in den Hörkanal geleitet wird. Der Receiver enthält einen elektromagnetisch gesteuerten Hebel – den Reed –, der mit einer Membran verbunden ist, die durch ihre Oszillationsbewegung Schall erzeugt. Obwohl die Konstruktion recht simpel erscheint, handelt es sich um einen komplexen Prozess: Das elektrische Signal wird zunächst in ein magnetisches, dann in ein mechanisches und schließlich in ein akustisches Signal umgewandelt. Jeder dieser Schritte weist seine eigenen, frequenzbedingten Eigenschaften auf. Eine präzise Modellierung des Receivers erfordert ein abschreckend umfassendes und komplexes multiphysikalisches Finite-Elemente-Modell, das für eine schnelle und effiziente Entwicklung von Hörhilfen unpraktisch ist.
Das Problem wurde gelöst, als Dr. Daniel Warren, ein anerkannter Experte für Empfänger- und Mikrofonforschung der Hörgerätebranche, 2013 ein „Blackbox“-Modell einführte. Dieses Modell verwendet ein Minimum einfacher Schaltkreiskomponenten, um die wichtigsten elektroakustischen Übertragungsfunktionen zwischen Spannung und Ausgabeschalldruck für vorgesteuerte Magnetankerreceiver zu erfassen. Dabei werden die Faktoren nicht berücksichtigt, die für die Betrachtung von Rückkopplungen nicht benötigt werden.
Wichtiger Schritt bei der Vereinfachung des Modells war der Nachweis durch Warren und Varanda, dass der vereinfachte elektroakustische Schaltkreis durch eine lediglich geringfügig erhöhte Komplexität zu einem leistungsfähigen schwingungsakustischen Modell umgewandelt werden konnte. Das „Blackbox“- und das schwingungsakustische Modell mussten getestet und mittels realer akustischer und mechanischer Erweiterungen des Receivers validiert werden, bevor sie für die Produktentwicklung eingesetzt werden konnten.
Im Jahr 2014 begann eine internationale Zusammenarbeit zwischen Knowles und seinen Kunden der Hörgerätebranche, um die Modelle unter Einsatz der Multiphysics-Software von Comsol und mit Standardtests zu validieren. Dazu mussten die Ingenieure unter Verwendung einer leicht mit FEA modellierbaren Struktur die akustische Ausgabe und die Schwingungskräfte gleichzeitig messen.
Zur weiteren Prüfung der Gültigkeit des Modells wurde der Receiver auch unter Verwendung einer komplexen Röhrchenanordnung in Anlehnung an ein HdO-Hörgerät getestet. Die langen Röhrchen dieser Anordnung verfügen über unterschiedliche Durchmesser und sind lang genug, um multiple akustische Resonanzen zu unterstützen. Gleichzeitig wurde die akustische Ausgabe gemessen, und die strukturelle Bewegung des Receivers wurde mit einem Laser-Schwingungsmesser erfasst. Sowohl translatorische als auch rotierende Bewegung wurden durch Überwachung der Bewegung an mehreren Punkten an der Oberfläche des Receiver-Gehäuses gemessen.
Warren und Varanda arbeiteten mit verschiedenen Knowles-Kunden zusammen, um die vorstehend beschriebenen Messungen auszuführen. Mit der Unterstützung durch Comsol Multiphysics konnten sie das vereinfachte schwingungsakustische Stromkreismodell in einer simulierten Nachbildung des beschriebenen Testaufbaus implementieren. Die Simulation koppelt die mechanische Interaktion zwischen der Bewegung von Receiver und Silikonröhrchenaufbau, den thermoviskosen Verlusten innerhalb der verschiedenen Röhrchendurchmesser und der akustischen Schalldrucklasten innerhalb des Hohlraums und der Röhrchen mit den internen elektromagnetisch-akustischen Effekten im „Blackbox“-Receivermodell.
Das Comsol-Modell zeigte die Abhängigkeit zwischen dem Ausgabedruck und den mechanischen Kräften der angelegten Spannung, Frequenz und Materialeigenschaften. Varandas Vergleich der Simulationsergebnisse mit den physikalischen Ergebnissen ergab eine ausgezeichnete Übereinstimmung. Die auf die Membran wirkenden Kräfte und der Reed stehen in akustischer Abhängigkeit zum Ausgabeschalldruck. Die Kopplung zwischen den auf die Membran wirkenden Kräften und den strukturellen Reaktionskräften erwies sich jedoch wie erwartet als direkt proportional.
Knowles stellte den Technikern anderer Hörgeräteunternehmen sein Modell bereit, damit auch dort die Rückkopplungsprobleme gelöst werden könnten. Mit dieser umfassenden Darstellung des akustischen, mechanischen und elektromagnetischen Verhaltens in der Hardware sind die Entwickler bestens ausgerüstet, um ihre Produkte zu optimieren.
Webinar-Tipp
Comsol Multiphysics ist eine Simulationsplattform, die alle Schritte im Modellierungsworkflow umfasst — von der Definition von Geometrien, Materialeigenschaften und der beschreibenden Physik, bis hin zum Lösen und Nachbearbeiten von Modellen zur Erzeugung genauer Ergebnisse. Durch den Einsatz von Multiphysik-Modellierung und -Analyse können Medizingeräteentwickler anspruchsvolle Leistungsanforderungen und regulatorische Vorgaben erfüllen.
In einem Live-Webinar über die Möglichkeiten von Multiphysik-Simulation in der Medizintechnik am 10. April werden Modellierungstechniken diskutiert, die für medizinische Geräte relevant sind – vom Transport von Körperflüssigkeiten über die elektromagnetische Erwärmung von Gewebe bis zur Modellierung von biologischem Material. Die Teilnehmer erhalten einen Überblick über verschiedene medizintechnische Anwendungen.
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10. April und zum Webcast-Abruf nach Live-Sendung:
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