In den deutschen Krankenhäusern fallen jährlich mehrere Millionen Tonnen Abfall durch gebrauchte Schutzmasken, Testutensilien, Spritzen, Handschuhe oder Operationskittel an. Der Großteil dieser Einwegartikel wird thermisch verwertet, also verbrannt. Ein Forscherteam am Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU möchte sich damit nicht abfinden: Es schlägt Lösungen vor, die die Recyclingquote bei Kunststoffprodukten im Gesundheitssektor Schritt für Schritt anheben helfen. Das soll vonstatten gehen, ohne pflegendes Klinikpersonal mit zusätzlichen Aufgaben zu belasten.
Chirurgieinstrumente: Einweg nur in speziellen Fällen akzeptabel
Einwegprodukt im Gesundheitswesen: zu schade für den Abfall
Denn: Einwegprodukte aus Kunststoff wegzuwerfen oder zu verbrennen, ist das Gegenteil von Ressourceneffizienz. Doch bei stationären und ambulanten Behandlungen kommen viele Einwegprodukte zum Einsatz, die für ein erhebliches und weiter steigendes Abfallaufkommen sorgen.
Dabei gilt auch für den Gesundheitssektor die Vorgabe, zur Jahrhundertmitte klimaneutral zu sein und geschlossene Stoffkreisläufe aufzuweisen. Die Forschenden am Dresdner Institutsteil des Fraunhofer IWU sind überzeugt: Das ist zu schaffen. Im Whitepaper Remed (Recyling für eine nachhaltige Medizintechnik) zeigen sie Strategien, wie sich kurz-, mittel- und langfristige der Recyclinganteil von Kunststoffen aus Medizinprodukten erhöhen lässt.
Umfrage zu Entsorgungsprozessen in Kliniken
Der Schwerpunkt liegt dabei auf Abfällen in Kliniken. Eine wichtige Basis für das Paper sind die Ergebnisse einer Umfrage zu aktuellen Entsorgungsprozessen und Möglichkeiten für mehr Recycling bei Kunststoffen. Daran nahmen insgesamt 27 sächsische Klinken teil.
Forschung kann zu mehr Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen verhelfen
Eine Erkenntnis: Erfolgreiche Strategien, so die Fraunhofer-Forscher, müssen Kernfragen beantworten
- zur Zusammensetzung des Abfalls, zu den Beteiligten innerhalb der Prozesskette,
- zu Regularien,
- zu Materialströmen und
- zu Verarbeitungsmöglichkeiten von Rezyklaten.
Alle Vorschläge zum Sammeln, Trennen, Aufbereiten, Verwerten und Recyceln der Kunststoffabfälle hat das Team abschließend einem Realitätscheck ausgesetzt. Diesen haben Expertinnen des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden ausgeführt. Denn die Vorgaben aus dem Klinikalltag lauten: Der nachhaltige Umgang mit Einwegmedizinprodukten darf weder viel Fläche beanspruchen – dies gilt ganz besonders für die Operationssäle –, noch zu nennenswerter Mehrarbeit führen.
Besser kennzeichnen, damit gebrauchte Medizinprodukte nicht vorsorglich verbrannt werden
Unsicherheit beim Sortieren der Abfälle führt häufig zu Fehlern bei der Zuordnung. In der Folge werden so eigentlich unbedenkliche Kunststoffe dem Recyclingkreislauf entzogen und „vorsorglich“ verbrannt. Ein einheitliches, vereinfachtes und einrichtungsübergreifendes System für die Kennzeichnung der Abfallbehälter könnte da Abhilfe schaffen. Farben oder verständliche Symbole würden die Wahl des richtigen Behälters erleichtern.
Um den CO2-Fußabdruck zu reduzieren, sollte bei der Aufbereitung von Mischrezyklaten stärker in Betracht gezogen werden, biobasierte Kunststoffe beizumischen, unterstreicht das IWU-Team. Da sie aus Stärke und zuckerhaltigen Pflanzen gewonnen werden, gelten Biokunststoff-Compounds als Kohlenstoffsenke. Bei der Müllverbrennung setzen sie kaum fossilen Kohlenstoff frei.
Medizinprodukte: Zusätzlicher Abfallbehälter könnte helfen
Werden darüber hinaus Materialien aus einer Kunststoffgruppe gesondert gesammelt, entstehen weniger Mischrezyklate, was das Herstellen neuer, hochwertiger Kunststoffe erleichtert. Dazu müsste zunächst lediglich ein weiterer Abfallbehälter in den Kliniken aufgestellt werden.
Langfristige Verbesserungen erfordern jedoch einen längeren Atem. Medizinprodukte werden nach besonders hohen Qualitätsstandards gefertigt. Ein Zwischenziel auf dem Weg zum geschlossenen Materialkreislauf innerhalb des Medizinsektors sollte daher sein, das aufbereitete Material aus benutzten Gütern anderen Branchen zugänglich zu machen, die weniger stark reguliert sind.
Automatisierung beim Trennen der Kunststoffe
Langfristig ließen sich auch automatisierte Trennverfahren für weitere Kunststoffe oder Kunststoffgruppen erarbeiten. Neu entwickelte Anlagen sollten dann in einer geschlossenen Prozesskette Abfall in seine Bestandteile trennen und dekontaminieren. Wären solche Anlagen auf dem Klinikgelände installiert, könnten sie das händische Sortieren des Abfalls ersetzen.
Dem Weiterverkauf der aus dem Prozess generierten Rezyklate stünde nichts im Wege. Allerdings setzt dieser Ansatz weitere Werkstoffforschung voraus.
Recycling von Kunststoffen für Medizinprodukte: Auch eine Frage der Zulassung
Die Rückführung gebrauchter Kunststoffe in den Werkstoffkreislauf ist auch mittels rohstofflicher (chemischer) Recyclingverfahren möglich. Dabei wird der Kunststoff in seine Bestandteile zerlegt. So stehen die Monomere beziehungsweise Basischemikalien für eine neuerliche Produktion von Kunststoffen zur Verfügung.
Voraussetzung dafür, dass Materialien zu Medizinprodukten weiterverarbeitet werden können, ist jedoch eine erneute Zulassung. Diese künftig zu erleichtern, ist ein wichtiger Schritt in Richtung geschlossener Wertstoffkreisläufe.
Auch für viele weitere Vorschläge gilt: Soll die Recyclingquote bei Einweg-Kunststoffen im Medizinsektor deutlich steigen, muss der rechtliche Rahmen angepasst werden. Denn hoher Infektionsschutz, nach heutiger Rechtslage ein „Treiber“ für Plastikmüll in Kliniken, muss nicht in Widerspruch zu einem ressourcenschonenden Umgang mit Kunststoffprodukten stehen.
Über das Fraunhofer IWU
Das Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU beschreibt sich als „treibende Kraft für Forschung und Entwicklung in der Produktionstechnik“. Rund 670 hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind an den Standorten Chemnitz, Dresden, Leipzig, Wolfsburg und Zittau tätig. Das Ziel: Potenziale für die wettbewerbsfähige Fertigung im Automobil- und Maschinenbau, der Luft- und Raumfahrt, der Medizintechnik, der Elektrotechnik sowie der Feinwerk- und Mikrotechnik zu erschließen.