Spritzguss von biobasierten Kunststoffen? Damit betreten Unternehmen immer noch Neuland und tasten sich an die Parameter heran, die für diese Kombination von Verfahren und Werkstoff am besten geeignet sind. Überraschungen sind dabei nicht ausgeschlossen. Daher ist die erste Abmusterung an einem Spritzguss-Werkzeug ein wichtiger Schritt im Entwicklungsprozess – und diesen haben drei Unternehmen in einem gemeinsamen Projekt gerade hinter sich gebracht. Sie teilen ihre Erfahrungen in einer Artikelserie, damit auch andere davon profitieren können.
Erste Erfahrungen mit dem Spritzguss biobasierter Kunststoffe für eine IVD-Plattform
Erste Erkenntnisse? „Optik und Haptik der ersten biobasierten Muster fand ich überraschend gut“, sagt Auftraggeberin Dr. Tina Hassberg. Sie hat den Stein ins Rollen gebracht mit ihrem Produkt Rapido-DX – einer nachhaltigen Diagnostik-Plattform, die sich für viele verschiedene medizinische Tests eignen soll und daher künftig in großen Stückzahlen herstellbar sein muss. Definitiv ein Fall für den Spritzguss – und das führte Hassberg, Geschäftsführerin des Tübinger Start-ups Solios Diagnostics, zu den Kunststoffexperten der Sanner GmbH in Bensheim.
Was Optik und Haptik angeht, hat sie schon den direkten Vergleich. Denn um ihre Plattform auf Messen ersten Anwendern zu zeigen, gab es vorab einige Muster aus konventionellen Kunststoffen. Mit diesen war die Mitgründerin sehr zufrieden. Aber um ihrem Ziel, der Nachhaltigkeit des Produktes, näher zu kommen, soll die Plattform künftig aus einem biobasierten Kunststoff gespritzt sein.
Abmusterung im Spritzguss: Haptik und Optik der biobasierten Werkstoffe sind gut
Dass Haptik und Optik schon mal passen, wenn statt PP/PE der biobasierte Werkstoff Medeco IGH verwendet wird, ist ihr wichtig. „Dieser Aspekt spielt später für den Nutzer des Produktes eines sehr große Rolle“, sagt Hassberg, die selbst auch Medizinerin ist. „Diese Eigenschaften symbolisieren für den Anwender Seriosität, Sicherheit, Reinheit und Sterilität.“ Auch Dr. Julian Lotz, Geschäftsführer des Materialherstellers Biovox aus Darmstadt, bestätigt: „Unser Werkstoff Medeco IGH eignet sich sehr gut für alles, was man in die Hand nehmen soll.“
Gespritzt wurden die ersten Teile auf einem Musterwerkzeug aus Aluminium – demselben, das auch im Einsatz war, als die ersten Kunststoffteile zu Demonstrationszwecken aus klassischen Werkstoffen entstanden. Dafür war das Werkzeug ausgelegt und optimiert. Die spannende Frage war nun: Würde es auf Anhieb auch mit den neuen Werkstoffen, die Biovox bereitgestellt hatte, ebenso gut funktionieren?
Die Antwort: Im ersten Anlauf zeigte sich, dass die anderen Eigenschaften des neuen Materials – erwartungsgemäß – zu Abweichungen führten. Diese wirkten sich auf die gespritzten Teile aus. So trat bei den Bauteilen aus den biobasierten Werkstoffen weniger Schwindung auf, als man bei herkömmlichen Kunststoffen wie beispielsweise Polyolefinen erwarten würde.
Für den Spritzguss war die unterschiedliche Schwindung ein wichtiger Aspekt
Im Detail betrachtet zeigt der für die vorausgegangenen Tests verwendete Werkstoff PP im Vergleich zu anderen petrochemischen Kunststoffen besonders viel Schwindung – das biobasierte Material Medeco IGH hingegen bewegt sich am anderen Ende der Skala und zeigt besonders wenig Schwindung, etwa vergleichbar mit ABS.
Aus dem ursprünglich für PP ausgelegten Werkzeug waren die aus Medeco IGH gespritzten Teile schwieriger zu entformen – einige Bauteile gingen sogar zu Bruch. „Auch die Passgenauigkeit dieser ersten Teile war durch die veränderte Schwindung nicht mehr optimal“, berichtet Hassberg. Das machte sich auch bei den am Produkt vorgesehenen Gewindebereichen bemerkbar. Diese sind erforderlich, um das Probenahmewerkzeug mit der Probe in der Plattform zu fixieren. Wenn die Passgenauigkeit nicht stimmt, werden die Gewinde schwergängig.
Diese Erfahrungen haben die Partner nicht überrascht. Die Ursachen, den genauen Einfluss einzelner Faktoren wie Schwindung, Werkzeugauslegung und Entformschrägen, gilt es nun zu diskutieren.
Drei Optionen, um den Spritzguss der biobasierten Werkstoffe zu optimieren
Werkstoffhersteller und Spritzgussexperten sondieren die Optionen, wie sich das Ergebnis verbessern lässt. Dazu gehören grundsätzlich:
- weitere Tests mit dem bisher geprüften steifen biobasierten Werkstoff, allerdings mit anderen Prozessparametern,
- die Modifikation des biobasierten Werkstoffes, hin zu einer weicheren Variante, die sich mit angepassten Prozess-Parametern spritzen lässt,
- die Wahl eines ganz anderen Werkstoffes, dessen Biokompatibilität und Sterilisierbarkeit – und insgesamt Konformität zu regulatorischen Vorgaben – allerdings erst überprüft werden müssten.
Das Team bei Sanner hat die ersten Ergebnisse nach dem unternehmenseigenen Standardverfahren bewertet. Geprüft wurde, was bei allen Tests mit neuen Materialien wichtig ist.
Mit biobasierten Kunststoffen nachhaltige IVD-Produkte spritzen
„Wir müssen mit dem Auftraggeber gemeinsam überlegen, welche Eigenschaften für das Produkt im Vordergrund stehen“, sagt Peik-Christian Witte, Director R&D bei Sanner. Grundsätzlich gebe es für das bisher eingesetzte, eher steife Material von Biovox „gute andere Einsatzmöglichkeiten“. Das derzeitige Design der Plattform sei aber eher auf einen elastischeren Werkstoff ausgelegt.
Produktdesign, Werkzeugkonzept und Prozessparameter auf den gewünschten Werkstoff abstimmen
Um das biobasierte Material mit Blick auf Zykluszeiten, Qualität und Kosten in der Serienproduktion einzusetzen, müssten daher Produktdesign und Werkzeugkonzept, sofern möglich, dazu passend ausgelegt sein. Das aktuell genutzte Werkzeug aus Aluminium sei ja noch nicht das Serienwerkzeug, sondern der Ausgangspunkt für weitere Überlegungen. Aus den Erfahrungen mit den Tests sollen die Optimierungen für die Serie entstehen.
Das Ziel: Funktion und Entformbarkeit auch für das im Vergleich zu PP steifere und festere Material auf einen serientauglichen Stand zu bringen. „Dazu werden wir potenziell über 3D-gedruckte Prototypen verschiedene Geometrievarianten evaluieren“, sagt Biovox-Chef Lotz, „bevor teure Änderungen am Werkzeug umgesetzt werden.“ Mit duroplastischen Harzen, die in Stereolithografie-3D-Druckern eingesetzt werden, ließen sich die Eigenschaften der biobasierten Werkstoffe Medeco IGH und ICB sehr gut abbilden.
So lassen sich nachhaltige Medizinprodukte aus Kunststoff entwickeln
Prozess für den Spritzguss der biobasierten Werkstoffe an der Maschine optimieren
Ebenfalls in nächster Zeit geplant: Fachleute von Biovox und Sanner wollen sich gemeinsam an die Maschine stellen und den Austausch über Werkzeug-Parameter und Werkstoff-Besonderheiten intensivieren.
„Mit Blick auf die Optimierung am Computer haben wir auch einige rheologische Untersuchungen gemacht“, berichtet Lotz. „So können wir jetzt den Spritzgießprozess für unsere Materialien am Rechner simulieren.“ Das unterstütze dabei, die optimalen Details für Werkzeug und Geometrie zu erkennen. Denn: „Bauteilgeometrien und Werkstoff müssen gut aufeinander abgestimmt sein.“
Was genau und in welcher Reihenfolge als nächstes geschieht, entscheidet letztlich als Auftraggeberin die Solios-Diagnostics-Geschäfsführerin Dr. Tina Hassberg. Sie legt anhand der drei genannten Optionen – Produktdesign, Werkzeugauslegung und die Wahl des Kunststoffs – ihre Prioritäten fest. Die dazu erforderlichen Daten bekommt sie in Beratungsgesprächen an die Hand.
„Aktuell kann jetzt an mehreren Stellschrauben gedreht werden, so dass man sich von allen Seiten der optimalen Lösung weiter nähert“, fasst Hassberg zusammen. „Änderung des Materials, Änderung der Spritzparameter, Änderung des Designs – da alle Änderungen mit Kosten und Zeit verbunden sind, ist eine genaue Abwägung sinnvoll.“
Alles im Zeitplan – routinierte Denkstrukturen dürfen kreativen Ideen weichen
Bislang sind die Arbeiten zeitlich im vorgesehenen Plan – und die Geschäftsführerin hatte sich von Beginn an vorgenommen, sich auf dem Weg zum nachhaltigen Produkt nicht entmutigen zu lassen.
Ihre Einschätzung zum derzeitigen Stand des Projektes: „Mein Learning ist bisher, dass Material nicht gleich Material ist, so dass angefangen von Designänderungen über Materialeigenschaften bis hin zum konkreten Spritzgießvorgang alle sehr engmaschig kommunizieren sollten und routinierte Denkstrukturen zugunsten einer gewissen Kreativität und Offenheit weichen dürfen.“
Welche Lösungen die Partner für das Projekt in den folgenden Schritten finden, wird im nächsten Artikel der Serie zu lesen sein.