Schon relativ früh in meinem Bachelorstudium Medizintechnik, das ich an den Universitäten Stuttgart und Tübingen absolviert habe, hatte ich entschieden, dass ich gern ein Auslandssemester machen möchte. Statt in ein beliebtes Erasmus-Land, wie Spanien oder Frankreich, wollte ich in ein mir unbekanntes Land, dessen Kultur und Sprache komplett neu für mich ist.
Da der Medizintechnik-Studiengang in Stuttgart und Tübingen eine Erasmus-Kooperation mit der finnischen Aalto University in der Nähe von Helsinki hat, bin ich auf Finnland aufmerksam geworden. Nach ersten Recherchen war mir schnell klar, dass ich nach Finnland möchte: das Land der Nordlichter, der Saunen und des höchsten Kaffee-Konsums pro Kopf weltweit. Ich musste darüber hinaus in meinen dreieinhalb Monaten dort feststellen, dass Finnland auch ein landschaftlich traumhaftes Land mit tollen Menschen ist.
Inhaltsverzeichnis
1. Medizintechnik studieren in Finnland
2. Anderes Land, anderer Uni-Alltag
3. Ausgeprägtes Campus-Leben an der Aalto-University
4. Studium: Der Overall als Symbol fürs Studentenleben
5. Teekkari – Ingenieure tragen Mütze
6. Finnische Sprache und Kultur
7. Nicht nur finnische Studierende kennenlernen
8. Bis nach Lappland während des Auslandssemesters
Medizintechnik studieren in Finnland
Durch die Struktur meines Bachelorstudiums war es von vorne herein klar, dass ich mir maximal 9 ECTS anrechnen lassen kann. Dies war zwar auf der einen Seite etwas frustrierend, da man ja trotzdem mehr Kurse besuchen muss, auf der anderen Seite hatte ich dadurch die Möglichkeit, meine Kurse sehr frei zu wählen.
Da im zweiten Halbjahr 2018, als ich nach Finnland gehen wollte, alle Bachelorprogramme nur auf Finnisch angeboten wurden, konnte ich bis auf eine Ausnahme nur Master-Kurse wählen. Die Aalto University bietet den Master „Life Science Technologies“ an, in dem man sich unter anderem auf „Biomedical Engineering“ spezialisieren kann. Der Schwerpunkt in diesem Track liegt besonders auf physikalischen Inhalten und bildgebenden Verfahren. Letztlich muss man aber nur einen Teil der Kurse an seiner Fakultät belegen, sodass Fülle von Kursen aus verschiedensten Fachbereichen zur Wahl stehen. So habe ich die Möglichkeit genutzt, meine Programmierkenntnisse weiter auszubauen.
Anderes Land, anderer Uni-Alltag
Das Studienjahr in Finnland ist etwas anders aufgebaut als in Deutschland. Statt zwei Semestern mit Vorlesungszeit und vorlesungsfreier Zeit gibt es fünf Blöcke und längere Sommerferien. Die ersten beiden Blöcke bilden das Herbstsemester und die anderen drei das Frühlingssemester, was damit länger ist. Jeder Block besteht aus sechs Wochen, in denen die Vorlesungen und Übungen stattfinden, und anschließend einer Klausurenwoche. Die Kurse können einen oder zwei Blöcke dauern, aber auch das ganze Semester oder Jahr.
Auch sonst war der Uni-Alltag sehr verschieden von dem, was ich bisher in Deutschland kennengelernt habe. Ich hatte in keinem Kurs Anwesenheitspflicht, jedoch wöchentliche Abgaben oder Tests, die am Ende die Note meiner Kurse bildeten. Dadurch hatte ich in keinem Kurs eine Klausur, was allerdings nicht immer so üblich ist. Auch in Finnland wird in den meisten Kursen eine Klausur geschrieben, welche jedoch häufig mit anderen Leistungen verrechnet wird.
Ausgeprägtes Campus-Leben an der Aalto-University
Der Campus der Aalto-University befindet sich westlich von Helsinki direkt am Wasser, wo es neben den Universitätsgebäuden unter anderem Supermärkte, Restaurants und Cafés, einen Arzt und eine Apotheke und ein großes Sportzentrum gibt. Auch wohnen die meisten Studierenden direkt auf dem Campus. Neben WGs und Appartements, wie in deutschen Studentenwohnheimen, kann man sich auch zu zweit, zu dritt oder mit sogar mit seiner Familie auf Wohnungen bewerben.
Dass der finnische Staat viel Geld in die Bildung investiert, ist schon beim ersten Rundgang durch die Uni sichtbar. Die Gebäude sind alle sehr modern und gut ausgestattet. In den Lernräumen gibt es Mac-Books, kostenlose Druckmöglichkeiten und Ecken mit Sofas und Sesseln, in denen man es sich auch mal gemütlich machen kann.
Obwohl Finnland ein eher teures Land für Lebensmittel und Ausgehen ist, sind die Mensen deutlich günstiger als in Deutschland. Für Studierende kostete jedes Essen nur 2,70 €, und man konnte dafür so viel essen, wie man auf einen Teller bekommt. Einige Mensen haben zudem bis 20 Uhr geöffnet, sodass man auch noch abends essen gehen kann. Da der Fußweg von den Wohnheimen nur fünf Minuten betrug, haben wir uns häufig auch zum Abendessen dort getroffen.
Studium: Der Overall als Symbol fürs Studentenleben
Das Studentenleben auf dem Campus ist sehr vielfältig. Die Fachschaften sind deutlich präsenter als in Deutschland, und viele zeigen ihre Zugehörigkeit zu ihrem Studiengang durch das Tragen von bunten Overalls an Festen oder gerne auch mal im Alltag. Bestickt werden die Overalls mit Patches, die bei Festen und Veranstaltungen gesammelt werden können.
Teekkari – Ingenieure tragen Mütze
Zu dem typischen Studentenoutfit an technischen Universitäten gehört außerdem noch die sogenannte Teekkari-Mütze (Teekkari = Studierende der Ingenieurwissenschaften). Um diese zu erhalten, müssen neue Studierende in ihrem ersten Jahr Aufgaben erledigen und Veranstaltungen besuchen. In einer feierlichen Zeremonie am 1. Mai, auch Tag der Studierenden oder „Vappu“ genannt, bekommt man dann die Kappe überreicht.
Neben den Fachschaften wird das Studentenleben hauptsächlich durch die Studierendenvereinigung AYY und verschiedenste Organisationen gestaltet. Es gibt Sportteams, Musik- und Theatergruppen, aber auch zum Beispiel Brettspiel-Gruppen, einen Beer-Pong-Club und einen Cocktail-Club. Letztendlich findet jeder für sein Hobby eine passende Organisation, bei der man auf Gleichgesinnte trifft.
Finnische Sprache und Kultur
Neben vier fach-spezifischen Kursen habe ich einen Finnischkurs und den Kurs „Get to know Finnland“ belegt, durch die ich viel über das Land lernen konnte. Finnisch gehört zu den finno-ugrischen Sprachen und hat dadurch überhaupt keine Ähnlichkeit mit Deutsch, Englisch oder den romanischen Sprachen.
Durch den Kurs war ich am Ende immerhin in der Lage, finnische Namen richtig auszusprechen und mich an der Supermarktkasse zu „unterhalten“ (mit drei Worten: Hallo, Danke und Tschüss; auf Finnisch: Moi, Kiitos, Moi moi).
Im „Get to know Finland“ Kurs habe ich viel über die finnische Kultur und Geschichte gelernt. Durch die geographische Lage zwischen Schweden und Russland ist diese geprägt durch diverse Belagerungen und Eroberungen. Erst seit 1917 ist Finnland komplett unabhängig von Schweden und auch heutzutage sprechen noch gut 5 % der Bevölkerung Schwedisch, welches auch eine offizielle Amtssprache Finnlands ist. Dies ist auch im Alltag überall sichtbar, da zum Beispiel Straßenschilder und Busstationen zweisprachig sind und auch im Supermarkt alle Produkte eine schwedische Erläuterung haben (die dem Deutschen übrigens deutlich näher ist, was das Einkaufen wesentlich erleichtert).
Am besten hat mir an der finnischen Gesellschaft der Umgang miteinander gefallen. Das Land hat eine sehr ausgeprägte Sozialpolitik und der Staat investiert viel in die Infrastruktur, das Gesundheitssystem und die Bildung. Laut dem World Happiness Report ist Finnland 2018 und 2019 als glücklichste Land, und auch nach anderen Studien hat Finnland eine sehr hohe Lebensqualität. Was mir besonders aufgefallen ist, ist die Wertschätzung der Menschen untereinander. Anders als in Deutschland wird versucht sich immer auf Augenhöhe zu begegnen, und so spricht man auch seinen Professor in der Vorlesung mit Vornamen an.
Nicht nur finnische Studierende kennenlernen
Ein Auslandssemester führt nicht nur dazu, dass man ein neues Land kennenlernt, sondern durch den Kontakt zu Studierenden verschiedenster Nationen auch viel über andere Länder und Kulturen erfährt. Anders als zunächst erhofft, sind natürlich auch finnische Universitäten inzwischen voll mit Erasmus- und anderen internationalen Studierenden. Obwohl die Deutschen hier den größten Teil bilden, kommt man mit dem notwendigen Willen auch in Kontakt mit vielen Studierenden anderer Nationen. Auch das typische Erasmus-Leben mit Veranstaltungen und Partys kommt in Finnland nicht zu kurz.
Kontakt zu einheimischen Studierenden zu bekommen, stellte sich dagegen meist als deutlich schwieriger dar. Ich hatte jedoch Glück, da die für mich zuständige Fachschaft (Inkubio, Fachschaft für Bioinformation Technology) sehr klein ist und es nur fünf internationale Studierende in dem Semester gab. Wir hatten dadurch ein sehr exklusives Einführungsprogramm und jeder einen persönlichen finnischen Tutor. Zusammen mit meiner Tutorin und als Gruppe mit den anderen internationalen Studierenden und Tutoren habe ich häufig etwas unternommen, wodurch ich letztlich viel Kontakt auch zu Finnen hatte.
Bis nach Lappland während des Auslandssemesters
Das Highlight meines Semesters war jedoch das Reisen. In mehreren Wochenendreisen und zwei 10-tägigen Reisen konnte ich viele Ecken des Landes kennenlernen. Auf den Reisen haben wir meistens kostenlos in Hütten in den Nationalparks geschlafen, was bei Minusgraden nicht immer ganz angenehm war. Die Natur belohnt einen dafür aber mit einer Fülle aus wunderschönen Seen und Wäldern. Aus Helsinki ist man außerdem auch schnell mit der Fähre in Estland, Schweden und Russland, sodass es bei all den Möglichkeiten selten langweilig wurde.
Für mich hat sich das Auslandssemester auf jeden Fall gelohnt und ich kann es nur jedem empfehlen. Ob es nun Finnland ist oder ein anderes Land: durch das Eintauchen in eine neue Kultur und den Kontakt zu Menschen aus verschiedenen Ländern lernt man nicht nur viel über andere, sondern auch über sich selbst.
Weitere Informationen
Die Aalto University stellt sich vor – auf Englisch
Rundgang – Aalto University in 2 min Bewegtbild
Overalls, Mützen, Umzug – Eindrücke von Vappu 2017 in Tampere, Beschreibungen auf Finnisch
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Über den Studiengang Medizintechnik an den Universitäten Stuttgart und Tübingen
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