Frau Rehlen, vom Fachkräftemangel wird viel gesprochen und geschrieben. Manche sagen, es gebe ihn nicht oder nur in der Pflege oder in ländlichen Regionen. Wie schätzen Sie die Lage für die Medizintechnik ein?
Eine Mangelsituation stellt sich ein, wo sich ein Markt stark verändert. Für die Medizintechnik ist das in verschiedenen Bereichen der Fall, und für die entsprechenden Aufgaben stehen tatsächlich nicht ausreichend Kandidaten zur Verfügung.
Welche Bereiche sind davon betroffen – und woher kommen dann die Fachleute?
Es sind mehrere Themen zu nennen: Im Vertrieb erfolgt eine Umstellung von produktorientierten zu lösungsorientierten Angeboten, die auch IT-Themen und die Supply Chain berühren oder sogar eine Prozessoptimierung im Krankenhaus einschließen. Das macht jeden möglichen Auftrag viel komplexer und erfordert – neben dem technischen Verständnis – viel Wissen in finanziellen und vertragsrechtlichen Fragen. Entsprechende Fachleute sind generell noch rar. Im technischen Bereich müssen solche lösungsorientierten Aspekte mitgedacht werden. Diese Denke ist bei Fachleuten im angelsächsischen Umfeld erheblich stärker vertreten als in Deutschland. Für die Veränderungen im regulatorischen Bereich wiederum – denken wir zum Beispiel an klinische Studien – wären Qualifikationen gefragt, die wir in der Pharmabranche finden. Aber dort ist die Unternehmenskultur eine ganz andere, da wird in viel längeren Zyklen gedacht als in der Medizintechnik. Das führt bei einem Branchenwechsel mitunter zu Problemen. Wenn es um Marketing-Positionen geht, die sich viel stärker an den Kunden – also den Patienten – orientieren sollen, so gibt es kaum Bewerber mit Erfahrung im Medizinprodukteumfeld. An deren Stelle treten Kandidaten, die entsprechende Projekte im Konsumgüterbereich oder der Telekommunikation betreut haben.
Wer einen Job in der Medizintechnik hat, will gern in der Branche bleiben
Welche Rolle spielt das Image oder der gute Ruf einer Branche?
Das ist nicht unwichtig, und die Medizintechnik hat einen guten Ruf als attraktive Branche. Ich bin vielen Maschinenbauern oder auch ehemaligen Mitarbeitern aus dem Umfeld der Automobilzulieferer begegnet, die in die Medizintechnik wechseln und dann auch dort bleiben wollten. Mein Eindruck ist, dass es dafür vor allem drei Gründe gibt. Einer ist, dass die Arbeit einen Sinn hat, Leben rettet oder die Lebensqualität verbessert. Da sind viele mit Idealismus dabei. Dann ist die Industrie hoch profitabel, was es den Unternehmen ermöglicht, für die Mitarbeiter etwas zu tun. In Konzernen ist das in Programmen und Konzepten festgeschrieben. Bei KMU erfolgen solche Aktivitäten spontaner, sind aber wegen der guten wirtschaftlichen Lage auch möglich. Der dritte Punkt ist, dass es starke europäische Player gibt und man nicht nur Arbeitsplätze bei den Niederlassungen globaler Unternehmen findet. Das zählt vor allem für Fachleute, die aus Europa kommen.
Wie könnte sich eine Kampagne wie derzeit die Implantfiles auf dieses Image auswirken?
Das Thema wird aktuell natürlich diskutiert. Schwarze Schafe gibt es in jeder Branche. Die gesetzlichen Vorgaben sind bereits strenger geworden, die Unternehmen haben sich wiederum darauf eingestellt und ihre Regeln verschärft. In der Folge der aktuellen Berichterstattung werden Unternehmen ihre Compliance-Vorgaben weiter verschärfen. Aber ich glaube nicht, dass es sich auf den Arbeitsmarkt langfristig auswirkt. Im Einzelfall könnte die Diskussion eine Rolle spielen, beispielsweise für Medtronic, da das Unternehmen jetzt hart in der Kritik steht.
Auch bei Medizintechnik-Jobs gilt: Je bekannter das Unternehmen, desto besser
Wie groß sind die Vorteile im Arbeitsmarkt, die Großunternehmen in der Medizintechnik gegenüber KMU haben?
Vieles hängt mit der Bekanntheit und der Marke eines Unternehmens zusammen. Da tun sich größere natürlich leichter, sie bekommen mehr Bewerbungen, auch Initiativbewerbungen, und sie finden schneller Praktikanten und Absolventen. Aber daran können auch kleinere Unternehmen arbeiten. Ein weiterer Aspekt ist der dezentrale Standort in ländlichen Gegenden, was wir gerade in Deutschland häufig finden. Bei einigen Unternehmen hat es sich positiv ausgewirkt, wenn sie einen zusätzliche Standort in oder in der Nähe einer Großstadt eröffnet haben. Für diesen ist es mitunter leichter, neue Mitarbeiter zu gewinnen.
Welche Anforderungen werden an die Mitarbeiter gestellt?
Derzeit sind die Anforderungen sehr vielfältig, und sie verändern sich stark. Wer also vor zehn Jahren in die Branche eingestiegen ist und einen guten Stand hatte, ist heute vielleicht schon nicht mehr so gut positioniert. Um mitzuhalten, muss man bereit sein, immer weiter zu lernen – und ein Unternehmen kann seine Mitarbeiter mit Coachings und Entwicklungsprogrammen dabei unterstützen. Diese können zum Beispiel das wirtschaftliche Denken zum Thema haben, vielleicht ist ein MBA-Abschluss hilfreich. Und es geht nichts mehr ohne englische Sprachkenntnisse – wobei diese manchmal selbst bei Führungskräften noch nicht gut genug entwickelt sind.
Bekanntheit langfristig verbessern
Was ist bei einem Mangel an Fachkräften die richtige Strategie für das Unternehmen?
Für das Besetzen einer konkreten Position kann es hilfreich sein, mit einem Personalberater zusammenzuarbeiten, der geeignete Kandidaten auch aus anderen Branchen ins Spiel bringen kann. Wichtiger aber sind langfristige Konzepte, die zum Beispiel durch die Kooperation mit Schulen oder Hochschulen das Unternehmen bekannter machen und als modern präsentieren.
Welche Rolle spielt das Employer Branding ?
Das ist immer noch ein wichtiges Thema, wird von vielen auch so eingeschätzt, aber selten umgesetzt. Versprechen müssen aber nicht nur gemacht, sondern auch eingelöst werden. Denn es gilt, die einmal gewonnen Mitarbeiter mit guten Angeboten und einem passenden Umfeld zu binden. Heutige Absolventen wie auch Berufseinsteiger, die ihre ersten Erfahrungen gesammelt haben, legen sehr viel Wert auf Entwicklungsmöglichkeiten, flexible Arbeitszeiten, eigenständiges Arbeiten oder auch Homeoffice, Sabbaticals und Konzepte, mit denen sich Familie und Beruf vereinbaren lassen.
Employer Branding und Social Media sind immer noch ein Thema
Wie wichtig sind Social Media beim Recruiting?
Sie bieten sich an, um alle Informationen zum Unternehmen, die bisher in gedruckter Form verfügbar waren, auch digital zu präsentieren. Das machen in der Medizintechnik in der Tat noch wenige, und es braucht Kompetenzen dafür, die bisher nur in wenigen Industrien vorhanden sind und die man sich daher fast nur über Quereinsteiger ins Unternehmen holen kann.
Was empfehlen Sie den Absolventen und Berufseinsteigern, um zu einem passenden Medizintechnik-Job zu kommen?
Absolventen sollten sich möglichst gut über ihr Wunschunternehmen informieren und mit diesem schon durch Praktika oder eine Abschlussarbeit persönlich in Kontakt treten. Das eröffnet immer noch die besten Möglichkeiten für einen Berufsstart. Auch im Studium lohnt sich eine Spezialisierung wie zum Beispiel auf das Medical Engineering oder betriebswirtschaftliche Fragen im Krankenhausmanagement oder im Gesundheitswesen, sobald sich Vorlieben in dieser Richtung abzeichnen.
Und wie sieht es mit Quereinsteigern aus?
Wer in die Medizintechnik wechseln will, hat bei Funktionen wie Financial oder Human Resources immer gute Karten, sofern er sein Interesse am Unternehmen und an der Branche begründen kann. Kompetenzen aus dem IT-Bereich sind ebenfalls sehr gesucht. Lediglich im technischen Umfeld ist oft Branchenerfahrung erwünscht oder sogar Voraussetzung. Wer als Techniker aus einer anderen Branche in die Medizintechnik wechseln will, sollte das also in den ersten vier oder fünf Jahren seiner beruflichen Laufbahn in Angriff nehmen.
Weitere Informationen
Eric Salmon & Partners zählt nach eigenen Angaben zu den international führenden Executive Search Unternehmen. Die 1990 gegründete Partnerschaft ist spezialisiert auf die Suche, Beurteilung und Auswahl von Führungskräften und Aufsichtsräten. Das Unternehmen beschäftigt 120 Mitarbeiter und operiert in Europa und Asien mit Büros in Brüssel, Frankfurt, Genf, London, Mailand, Paris, Rom, Shanghai und Singapur.
Fünf Tipps für KMU
Zusammengefasst lässt sich für KMU sagen:
- Sehen Sie Rekrutierung als Teil einer langfristigen Personalstrategie.
- Legen Sie einen Fokus auf Employer Branding, um den Bekanntheitsgrad Ihres Unternehmens zu erhöhen.
- Gestalten Sie einen modernen Medienauftritt, der die Nutzung sozialer Medien wie LinkedIn oder Xing einschließt.
- Sprechen Sie potenzielle Mitarbeiter schon früh an – in der Schule, der Ausbildung oder an der Universität.
- Ein weiterer Hauptpunkgt ist die Mitarbeiterbindung. Sie gelingt durch gute Personalentwicklungsprogramme und das Schaffen eines attraktiven Arbeitsumfelds.